Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

des Mangels an Besonnenheit wieder in ihre na-
türliche Verhältnisse tritt. Der Rasende zerstört
also in der Regel, aber ohne Zweck. Daher ist
auch sein innerer blinder Drang nicht bloss auf
Mordlust beschränkt, sondern er zerstört todte
und lebendige Wesen. Er zerreisst seine Kleider
und Betten, zerschlägt die Fenster und zertrüm-
mert die Geräthe seines Zimmers. Dass er or-
ganische Wesen und unter diesen die Menschen
am häufigsten zerstört, mag wahrscheinlich von
der dunklen Vorstellung herrühren, dass sie nur
Ursachen von Quaalen, und Hindernisse von
Zwecken seyn können, gegen welche der Zorn
sich mit Grund empören könne. Doch zuweilen
äussert sich die Raserey auch durch wilde und
unzusammenhängende Ausbrüche eines joviali-
schen Muthwillens; oft sind die Handlungen in
Rücksicht ihres absoluten Gehalts gleichgültig.
Der Kranke lacht heftig und ohne alle Veranlas-
sung, schreit, heult, brüllt, springt, läuft, wälzt
sich auf der Erde, in seinem eignen Koth, macht
die sonderbarsten Gestikulationen, schüttelt die
Kette ohne Nachlass. Einige weigern sich hart-
näckig zu essen und zu trinken, andere schlingen
alles begierig hinter, was ihnen vorkommt, selbst
ihren eigenen Koth *).


*) Vidi maniacum omnia corporis integumenta la-
cerasse et nudum stramini incubuisse in loco
lapidibus strato, dum asperrima saeviebat
hyems, per plures septimanas; quandoque
A a

des Mangels an Beſonnenheit wieder in ihre na-
türliche Verhältniſſe tritt. Der Raſende zerſtört
alſo in der Regel, aber ohne Zweck. Daher iſt
auch ſein innerer blinder Drang nicht bloſs auf
Mordluſt beſchränkt, ſondern er zerſtört todte
und lebendige Weſen. Er zerreiſst ſeine Kleider
und Betten, zerſchlägt die Fenſter und zertrüm-
mert die Geräthe ſeines Zimmers. Daſs er or-
ganiſche Weſen und unter dieſen die Menſchen
am häufigſten zerſtört, mag wahrſcheinlich von
der dunklen Vorſtellung herrühren, daſs ſie nur
Urſachen von Quaalen, und Hinderniſſe von
Zwecken ſeyn können, gegen welche der Zorn
ſich mit Grund empören könne. Doch zuweilen
äuſsert ſich die Raſerey auch durch wilde und
unzuſammenhängende Ausbrüche eines joviali-
ſchen Muthwillens; oft ſind die Handlungen in
Rückſicht ihres abſoluten Gehalts gleichgültig.
Der Kranke lacht heftig und ohne alle Veranlaſ-
ſung, ſchreit, heult, brüllt, ſpringt, läuft, wälzt
ſich auf der Erde, in ſeinem eignen Koth, macht
die ſonderbarſten Geſtikulationen, ſchüttelt die
Kette ohne Nachlaſs. Einige weigern ſich hart-
näckig zu eſſen und zu trinken, andere ſchlingen
alles begierig hinter, was ihnen vorkommt, ſelbſt
ihren eigenen Koth *).


*) Vidi maniacum omnia corporis integumenta la-
ceraſſe et nudum ſtramini incubuiſſe in loco
lapidibus ſtrato, dum asperrima ſaeviebat
hyems, per plures ſeptimanas; quandoque
A a
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0374" n="369"/>
des Mangels an Be&#x017F;onnenheit wieder in ihre na-<lb/>
türliche Verhältni&#x017F;&#x017F;e tritt. Der Ra&#x017F;ende zer&#x017F;tört<lb/>
al&#x017F;o in der Regel, aber ohne Zweck. Daher i&#x017F;t<lb/>
auch &#x017F;ein innerer blinder Drang nicht blo&#x017F;s auf<lb/>
Mordlu&#x017F;t be&#x017F;chränkt, &#x017F;ondern er zer&#x017F;tört todte<lb/>
und lebendige We&#x017F;en. Er zerrei&#x017F;st &#x017F;eine Kleider<lb/>
und Betten, zer&#x017F;chlägt die Fen&#x017F;ter und zertrüm-<lb/>
mert die Geräthe &#x017F;eines Zimmers. Da&#x017F;s er or-<lb/>
gani&#x017F;che We&#x017F;en und unter die&#x017F;en die Men&#x017F;chen<lb/>
am häufig&#x017F;ten zer&#x017F;tört, mag wahr&#x017F;cheinlich von<lb/>
der dunklen Vor&#x017F;tellung herrühren, da&#x017F;s &#x017F;ie nur<lb/>
Ur&#x017F;achen von Quaalen, und Hinderni&#x017F;&#x017F;e von<lb/>
Zwecken &#x017F;eyn können, gegen welche der Zorn<lb/>
&#x017F;ich mit Grund empören könne. Doch zuweilen<lb/>
äu&#x017F;sert &#x017F;ich die Ra&#x017F;erey auch durch wilde und<lb/>
unzu&#x017F;ammenhängende Ausbrüche eines joviali-<lb/>
&#x017F;chen Muthwillens; oft &#x017F;ind die Handlungen in<lb/>
Rück&#x017F;icht ihres ab&#x017F;oluten Gehalts gleichgültig.<lb/>
Der Kranke lacht heftig und ohne alle Veranla&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ung, &#x017F;chreit, heult, brüllt, &#x017F;pringt, läuft, wälzt<lb/>
&#x017F;ich auf der Erde, in &#x017F;einem eignen Koth, macht<lb/>
die &#x017F;onderbar&#x017F;ten Ge&#x017F;tikulationen, &#x017F;chüttelt die<lb/>
Kette ohne Nachla&#x017F;s. Einige weigern &#x017F;ich hart-<lb/>
näckig zu e&#x017F;&#x017F;en und zu trinken, andere &#x017F;chlingen<lb/>
alles begierig hinter, was ihnen vorkommt, &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
ihren eigenen Koth <note xml:id="seg2pn_7_1" next="#seg2pn_7_2" place="foot" n="*)">Vidi maniacum omnia corporis integumenta la-<lb/>
cera&#x017F;&#x017F;e et nudum &#x017F;tramini incubui&#x017F;&#x017F;e in loco<lb/>
lapidibus &#x017F;trato, dum asperrima &#x017F;aeviebat<lb/>
hyems, per plures &#x017F;eptimanas; quandoque</note>.</p><lb/>
            <fw place="bottom" type="sig">A a</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[369/0374] des Mangels an Beſonnenheit wieder in ihre na- türliche Verhältniſſe tritt. Der Raſende zerſtört alſo in der Regel, aber ohne Zweck. Daher iſt auch ſein innerer blinder Drang nicht bloſs auf Mordluſt beſchränkt, ſondern er zerſtört todte und lebendige Weſen. Er zerreiſst ſeine Kleider und Betten, zerſchlägt die Fenſter und zertrüm- mert die Geräthe ſeines Zimmers. Daſs er or- ganiſche Weſen und unter dieſen die Menſchen am häufigſten zerſtört, mag wahrſcheinlich von der dunklen Vorſtellung herrühren, daſs ſie nur Urſachen von Quaalen, und Hinderniſſe von Zwecken ſeyn können, gegen welche der Zorn ſich mit Grund empören könne. Doch zuweilen äuſsert ſich die Raſerey auch durch wilde und unzuſammenhängende Ausbrüche eines joviali- ſchen Muthwillens; oft ſind die Handlungen in Rückſicht ihres abſoluten Gehalts gleichgültig. Der Kranke lacht heftig und ohne alle Veranlaſ- ſung, ſchreit, heult, brüllt, ſpringt, läuft, wälzt ſich auf der Erde, in ſeinem eignen Koth, macht die ſonderbarſten Geſtikulationen, ſchüttelt die Kette ohne Nachlaſs. Einige weigern ſich hart- näckig zu eſſen und zu trinken, andere ſchlingen alles begierig hinter, was ihnen vorkommt, ſelbſt ihren eigenen Koth *). *) Vidi maniacum omnia corporis integumenta la- ceraſſe et nudum ſtramini incubuiſſe in loco lapidibus ſtrato, dum asperrima ſaeviebat hyems, per plures ſeptimanas; quandoque A a

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/374
Zitationshilfe: Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 369. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/374>, abgerufen am 23.11.2024.