sind und suchen die Personen, welche sie umge- ben, zu überreden, dass sie den Tod nicht fürch- ten, um sie desto eher von der Wirklichkeit ihrer Vorgefühle zu überzeugen. Andere verber- gen ihre Grille mit stummer Hartnäckigkeit und diese sind am unheilbarsten. In der Lebensord- nung machen sie die sonderbarsten Bockssprünge, hüllen sich gegen jedes kleine Lüftchen ein, ge- niessen viele Dinge nicht, oder meiden gewisse Oerter, von denen sie glauben, dass sie ungesund sind. Swieten*) erzählt von einem übrigens gescheuten Mann, der sich von Niemandem anrüh- ren liess, weil er von der Hundswuth angesteckt zu werden fürchtete. Zuweilen entwickelt sich aus dieser Todesfurcht der Wahn, als stelle man ihnen nach dem Leben, oder sie ergeben sich dem Trunk und den Ausschweifungen der Liebe, weil sie an ihrer Gesundheit nichts weiter verder- ben zu können glauben. Einige heilt man da- durch, dass man ihre Klage nicht bemerkt. An- deren muss der Arzt nachgeben und einen sol- chen Kurplan wider ihre angebliche Krankheit entwerfen, der sie von ihrer fixen Idee ableitet, und sie von früh bis in die Nacht beschäfftiget. Denn diese Krankheit befällt nur reiche und müssige Menschen und flieht vor der Arbeit, die den Armen drückt. Man lässt sie reiten, reisen, zu Schiffe fahren, jagen, gymnastische Uebungen
*) Comm. in aphor. T. III. p. 475.
ſind und ſuchen die Perſonen, welche ſie umge- ben, zu überreden, daſs ſie den Tod nicht fürch- ten, um ſie deſto eher von der Wirklichkeit ihrer Vorgefühle zu überzeugen. Andere verber- gen ihre Grille mit ſtummer Hartnäckigkeit und dieſe ſind am unheilbarſten. In der Lebensord- nung machen ſie die ſonderbarſten Bocksſprünge, hüllen ſich gegen jedes kleine Lüftchen ein, ge- nieſsen viele Dinge nicht, oder meiden gewiſſe Oerter, von denen ſie glauben, daſs ſie ungeſund ſind. Swieten*) erzählt von einem übrigens geſcheuten Mann, der ſich von Niemandem anrüh- ren lieſs, weil er von der Hundswuth angeſteckt zu werden fürchtete. Zuweilen entwickelt ſich aus dieſer Todesfurcht der Wahn, als ſtelle man ihnen nach dem Leben, oder ſie ergeben ſich dem Trunk und den Ausſchweifungen der Liebe, weil ſie an ihrer Geſundheit nichts weiter verder- ben zu können glauben. Einige heilt man da- durch, daſs man ihre Klage nicht bemerkt. An- deren muſs der Arzt nachgeben und einen ſol- chen Kurplan wider ihre angebliche Krankheit entwerfen, der ſie von ihrer fixen Idee ableitet, und ſie von früh bis in die Nacht beſchäfftiget. Denn dieſe Krankheit befällt nur reiche und müſsige Menſchen und flieht vor der Arbeit, die den Armen drückt. Man läſst ſie reiten, reiſen, zu Schiffe fahren, jagen, gymnaſtiſche Uebungen
*) Comm. in aphor. T. III. p. 475.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0362"n="357"/>ſind und ſuchen die Perſonen, welche ſie umge-<lb/>
ben, zu überreden, daſs ſie den Tod nicht fürch-<lb/>
ten, um ſie deſto eher von der Wirklichkeit ihrer<lb/>
Vorgefühle zu überzeugen. Andere verber-<lb/>
gen ihre Grille mit ſtummer Hartnäckigkeit und<lb/>
dieſe ſind am unheilbarſten. In der Lebensord-<lb/>
nung machen ſie die ſonderbarſten Bocksſprünge,<lb/>
hüllen ſich gegen jedes kleine Lüftchen ein, ge-<lb/>
nieſsen viele Dinge nicht, oder meiden gewiſſe<lb/>
Oerter, von denen ſie glauben, daſs ſie ungeſund<lb/>ſind. <hirendition="#g">Swieten</hi><noteplace="foot"n="*)">Comm. in aphor. T. III. p. 475.</note> erzählt von einem übrigens<lb/>
geſcheuten Mann, der ſich von Niemandem anrüh-<lb/>
ren lieſs, weil er von der Hundswuth angeſteckt<lb/>
zu werden fürchtete. Zuweilen entwickelt ſich<lb/>
aus dieſer Todesfurcht der Wahn, als ſtelle man<lb/>
ihnen nach dem Leben, oder ſie ergeben ſich dem<lb/>
Trunk und den Ausſchweifungen der Liebe,<lb/>
weil ſie an ihrer Geſundheit nichts weiter verder-<lb/>
ben zu können glauben. Einige heilt man da-<lb/>
durch, daſs man ihre Klage nicht bemerkt. An-<lb/>
deren muſs der Arzt nachgeben und einen ſol-<lb/>
chen Kurplan wider ihre angebliche Krankheit<lb/>
entwerfen, der ſie von ihrer fixen Idee ableitet,<lb/>
und ſie von früh bis in die Nacht beſchäfftiget.<lb/>
Denn dieſe Krankheit befällt nur reiche und<lb/>
müſsige Menſchen und flieht vor der Arbeit, die<lb/>
den Armen drückt. Man läſst ſie reiten, reiſen,<lb/>
zu Schiffe fahren, jagen, gymnaſtiſche Uebungen<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[357/0362]
ſind und ſuchen die Perſonen, welche ſie umge-
ben, zu überreden, daſs ſie den Tod nicht fürch-
ten, um ſie deſto eher von der Wirklichkeit ihrer
Vorgefühle zu überzeugen. Andere verber-
gen ihre Grille mit ſtummer Hartnäckigkeit und
dieſe ſind am unheilbarſten. In der Lebensord-
nung machen ſie die ſonderbarſten Bocksſprünge,
hüllen ſich gegen jedes kleine Lüftchen ein, ge-
nieſsen viele Dinge nicht, oder meiden gewiſſe
Oerter, von denen ſie glauben, daſs ſie ungeſund
ſind. Swieten *) erzählt von einem übrigens
geſcheuten Mann, der ſich von Niemandem anrüh-
ren lieſs, weil er von der Hundswuth angeſteckt
zu werden fürchtete. Zuweilen entwickelt ſich
aus dieſer Todesfurcht der Wahn, als ſtelle man
ihnen nach dem Leben, oder ſie ergeben ſich dem
Trunk und den Ausſchweifungen der Liebe,
weil ſie an ihrer Geſundheit nichts weiter verder-
ben zu können glauben. Einige heilt man da-
durch, daſs man ihre Klage nicht bemerkt. An-
deren muſs der Arzt nachgeben und einen ſol-
chen Kurplan wider ihre angebliche Krankheit
entwerfen, der ſie von ihrer fixen Idee ableitet,
und ſie von früh bis in die Nacht beſchäfftiget.
Denn dieſe Krankheit befällt nur reiche und
müſsige Menſchen und flieht vor der Arbeit, die
den Armen drückt. Man läſst ſie reiten, reiſen,
zu Schiffe fahren, jagen, gymnaſtiſche Uebungen
*) Comm. in aphor. T. III. p. 475.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/362>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.