eins verhütet wird. Der Verlust eines Kindes wird uns wahrscheinlich nicht fesseln, wenn wir in demselben Augenblick in Gefahr gerathen, ein zweites durch Krankheit zu verlieren, das unsere Vorsorge erfordert und dessen langsame Genesung uns Ruhepunkte zur Erinnerung an den erlittenen Verlust verstattet, wodurch wir mit demselben familiarisirt werden. Ein Mensch, der durch einen unerwarteten Glücksfall erschüt- tert wird, kann dadurch gehalten werden, dass man denselben schmälert, ihn von der Möglichkeit des Verlustes oder von der Gefahr eines andern Unfalls überzeugt.
Dann muss man den Kranken Gehorsam und Ehrfurcht für die Personen beibringen, die auf sie wirken sollen, ihre Besonnenheit wecken und sie nach den oben angegebenen Regeln zur Kur vorbereiten. Der Arzt muss sich ihrer Herzen bemeistern, bald durch Ernst und Strenge, bald durch Gelindigkeit und Theilnahme an ihren Schicksalen, wenn sie durch Unglücksfälle ge- beugt sind. Dadurch wird er in den Stand ge- setzt, entweder durch Gründe und sanfte Anmah- nungen, oder durch Zwangsmittel, sie anhaltend zu einer Körper- oder Seelenarbeit zu bestimmen, die ihre fixen Ideen verdrängt und Intervalle her- beiführt, in welchen sie von selbst erlöschen. Die Arbeit muss mit Wechsel verbunden seyn, damit der Kranke nicht zu schnell seine fixen Vorsätze mit den unwandelbaren Gegenständen, die bald
eins verhütet wird. Der Verluſt eines Kindes wird uns wahrſcheinlich nicht feſſeln, wenn wir in demſelben Augenblick in Gefahr gerathen, ein zweites durch Krankheit zu verlieren, das unſere Vorſorge erfordert und deſſen langſame Geneſung uns Ruhepunkte zur Erinnerung an den erlittenen Verluſt verſtattet, wodurch wir mit demſelben familiariſirt werden. Ein Menſch, der durch einen unerwarteten Glücksfall erſchüt- tert wird, kann dadurch gehalten werden, daſs man denſelben ſchmälert, ihn von der Möglichkeit des Verluſtes oder von der Gefahr eines andern Unfalls überzeugt.
Dann muſs man den Kranken Gehorſam und Ehrfurcht für die Perſonen beibringen, die auf ſie wirken ſollen, ihre Beſonnenheit wecken und ſie nach den oben angegebenen Regeln zur Kur vorbereiten. Der Arzt muſs ſich ihrer Herzen bemeiſtern, bald durch Ernſt und Strenge, bald durch Gelindigkeit und Theilnahme an ihren Schickſalen, wenn ſie durch Unglücksfälle ge- beugt ſind. Dadurch wird er in den Stand ge- ſetzt, entweder durch Gründe und ſanfte Anmah- nungen, oder durch Zwangsmittel, ſie anhaltend zu einer Körper- oder Seelenarbeit zu beſtimmen, die ihre fixen Ideen verdrängt und Intervalle her- beiführt, in welchen ſie von ſelbſt erlöſchen. Die Arbeit muſs mit Wechſel verbunden ſeyn, damit der Kranke nicht zu ſchnell ſeine fixen Vorſätze mit den unwandelbaren Gegenſtänden, die bald
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eins verhütet wird. Der Verluſt eines Kindes
wird uns wahrſcheinlich nicht feſſeln, wenn
wir in demſelben Augenblick in Gefahr gerathen,
ein zweites durch Krankheit zu verlieren, das
unſere Vorſorge erfordert und deſſen langſame
Geneſung uns Ruhepunkte zur Erinnerung an
den erlittenen Verluſt verſtattet, wodurch wir
mit demſelben familiariſirt werden. Ein Menſch,
der durch einen unerwarteten Glücksfall erſchüt-
tert wird, kann dadurch gehalten werden, daſs
man denſelben ſchmälert, ihn von der Möglichkeit
des Verluſtes oder von der Gefahr eines andern
Unfalls überzeugt.
Dann muſs man den Kranken Gehorſam und
Ehrfurcht für die Perſonen beibringen, die auf
ſie wirken ſollen, ihre Beſonnenheit wecken und
ſie nach den oben angegebenen Regeln zur Kur
vorbereiten. Der Arzt muſs ſich ihrer Herzen
bemeiſtern, bald durch Ernſt und Strenge, bald
durch Gelindigkeit und Theilnahme an ihren
Schickſalen, wenn ſie durch Unglücksfälle ge-
beugt ſind. Dadurch wird er in den Stand ge-
ſetzt, entweder durch Gründe und ſanfte Anmah-
nungen, oder durch Zwangsmittel, ſie anhaltend
zu einer Körper- oder Seelenarbeit zu beſtimmen,
die ihre fixen Ideen verdrängt und Intervalle her-
beiführt, in welchen ſie von ſelbſt erlöſchen. Die
Arbeit muſs mit Wechſel verbunden ſeyn, damit
der Kranke nicht zu ſchnell ſeine fixen Vorſätze
mit den unwandelbaren Gegenſtänden, die bald
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/331>, abgerufen am 22.11.2024.
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