Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

eins verhütet wird. Der Verlust eines Kindes
wird uns wahrscheinlich nicht fesseln, wenn
wir in demselben Augenblick in Gefahr gerathen,
ein zweites durch Krankheit zu verlieren, das
unsere Vorsorge erfordert und dessen langsame
Genesung uns Ruhepunkte zur Erinnerung an
den erlittenen Verlust verstattet, wodurch wir
mit demselben familiarisirt werden. Ein Mensch,
der durch einen unerwarteten Glücksfall erschüt-
tert wird, kann dadurch gehalten werden, dass
man denselben schmälert, ihn von der Möglichkeit
des Verlustes oder von der Gefahr eines andern
Unfalls überzeugt.

Dann muss man den Kranken Gehorsam und
Ehrfurcht für die Personen beibringen, die auf
sie wirken sollen, ihre Besonnenheit wecken und
sie nach den oben angegebenen Regeln zur Kur
vorbereiten. Der Arzt muss sich ihrer Herzen
bemeistern, bald durch Ernst und Strenge, bald
durch Gelindigkeit und Theilnahme an ihren
Schicksalen, wenn sie durch Unglücksfälle ge-
beugt sind. Dadurch wird er in den Stand ge-
setzt, entweder durch Gründe und sanfte Anmah-
nungen, oder durch Zwangsmittel, sie anhaltend
zu einer Körper- oder Seelenarbeit zu bestimmen,
die ihre fixen Ideen verdrängt und Intervalle her-
beiführt, in welchen sie von selbst erlöschen. Die
Arbeit muss mit Wechsel verbunden seyn, damit
der Kranke nicht zu schnell seine fixen Vorsätze
mit den unwandelbaren Gegenständen, die bald

eins verhütet wird. Der Verluſt eines Kindes
wird uns wahrſcheinlich nicht feſſeln, wenn
wir in demſelben Augenblick in Gefahr gerathen,
ein zweites durch Krankheit zu verlieren, das
unſere Vorſorge erfordert und deſſen langſame
Geneſung uns Ruhepunkte zur Erinnerung an
den erlittenen Verluſt verſtattet, wodurch wir
mit demſelben familiariſirt werden. Ein Menſch,
der durch einen unerwarteten Glücksfall erſchüt-
tert wird, kann dadurch gehalten werden, daſs
man denſelben ſchmälert, ihn von der Möglichkeit
des Verluſtes oder von der Gefahr eines andern
Unfalls überzeugt.

Dann muſs man den Kranken Gehorſam und
Ehrfurcht für die Perſonen beibringen, die auf
ſie wirken ſollen, ihre Beſonnenheit wecken und
ſie nach den oben angegebenen Regeln zur Kur
vorbereiten. Der Arzt muſs ſich ihrer Herzen
bemeiſtern, bald durch Ernſt und Strenge, bald
durch Gelindigkeit und Theilnahme an ihren
Schickſalen, wenn ſie durch Unglücksfälle ge-
beugt ſind. Dadurch wird er in den Stand ge-
ſetzt, entweder durch Gründe und ſanfte Anmah-
nungen, oder durch Zwangsmittel, ſie anhaltend
zu einer Körper- oder Seelenarbeit zu beſtimmen,
die ihre fixen Ideen verdrängt und Intervalle her-
beiführt, in welchen ſie von ſelbſt erlöſchen. Die
Arbeit muſs mit Wechſel verbunden ſeyn, damit
der Kranke nicht zu ſchnell ſeine fixen Vorſätze
mit den unwandelbaren Gegenſtänden, die bald

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0331" n="326"/>
eins verhütet wird. Der Verlu&#x017F;t eines Kindes<lb/>
wird uns wahr&#x017F;cheinlich nicht fe&#x017F;&#x017F;eln, wenn<lb/>
wir in dem&#x017F;elben Augenblick in Gefahr gerathen,<lb/>
ein zweites durch Krankheit zu verlieren, das<lb/>
un&#x017F;ere Vor&#x017F;orge erfordert und de&#x017F;&#x017F;en lang&#x017F;ame<lb/>
Gene&#x017F;ung uns Ruhepunkte zur Erinnerung an<lb/>
den erlittenen Verlu&#x017F;t ver&#x017F;tattet, wodurch wir<lb/>
mit dem&#x017F;elben familiari&#x017F;irt werden. Ein Men&#x017F;ch,<lb/>
der durch einen unerwarteten Glücksfall er&#x017F;chüt-<lb/>
tert wird, kann dadurch gehalten werden, da&#x017F;s<lb/>
man den&#x017F;elben &#x017F;chmälert, ihn von der Möglichkeit<lb/>
des Verlu&#x017F;tes oder von der Gefahr eines andern<lb/>
Unfalls überzeugt.</p><lb/>
            <p>Dann mu&#x017F;s man den Kranken Gehor&#x017F;am und<lb/>
Ehrfurcht für die Per&#x017F;onen beibringen, die auf<lb/>
&#x017F;ie wirken &#x017F;ollen, ihre Be&#x017F;onnenheit wecken und<lb/>
&#x017F;ie nach den oben angegebenen Regeln zur Kur<lb/>
vorbereiten. Der Arzt mu&#x017F;s &#x017F;ich ihrer Herzen<lb/>
bemei&#x017F;tern, bald durch Ern&#x017F;t und Strenge, bald<lb/>
durch Gelindigkeit und Theilnahme an ihren<lb/>
Schick&#x017F;alen, wenn &#x017F;ie durch Unglücksfälle ge-<lb/>
beugt &#x017F;ind. Dadurch wird er in den Stand ge-<lb/>
&#x017F;etzt, entweder durch Gründe und &#x017F;anfte Anmah-<lb/>
nungen, oder durch Zwangsmittel, &#x017F;ie anhaltend<lb/>
zu einer Körper- oder Seelenarbeit zu be&#x017F;timmen,<lb/>
die ihre fixen Ideen verdrängt und Intervalle her-<lb/>
beiführt, in welchen &#x017F;ie von &#x017F;elb&#x017F;t erlö&#x017F;chen. Die<lb/>
Arbeit mu&#x017F;s mit Wech&#x017F;el verbunden &#x017F;eyn, damit<lb/>
der Kranke nicht zu &#x017F;chnell &#x017F;eine fixen Vor&#x017F;ätze<lb/>
mit den unwandelbaren Gegen&#x017F;tänden, die bald<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[326/0331] eins verhütet wird. Der Verluſt eines Kindes wird uns wahrſcheinlich nicht feſſeln, wenn wir in demſelben Augenblick in Gefahr gerathen, ein zweites durch Krankheit zu verlieren, das unſere Vorſorge erfordert und deſſen langſame Geneſung uns Ruhepunkte zur Erinnerung an den erlittenen Verluſt verſtattet, wodurch wir mit demſelben familiariſirt werden. Ein Menſch, der durch einen unerwarteten Glücksfall erſchüt- tert wird, kann dadurch gehalten werden, daſs man denſelben ſchmälert, ihn von der Möglichkeit des Verluſtes oder von der Gefahr eines andern Unfalls überzeugt. Dann muſs man den Kranken Gehorſam und Ehrfurcht für die Perſonen beibringen, die auf ſie wirken ſollen, ihre Beſonnenheit wecken und ſie nach den oben angegebenen Regeln zur Kur vorbereiten. Der Arzt muſs ſich ihrer Herzen bemeiſtern, bald durch Ernſt und Strenge, bald durch Gelindigkeit und Theilnahme an ihren Schickſalen, wenn ſie durch Unglücksfälle ge- beugt ſind. Dadurch wird er in den Stand ge- ſetzt, entweder durch Gründe und ſanfte Anmah- nungen, oder durch Zwangsmittel, ſie anhaltend zu einer Körper- oder Seelenarbeit zu beſtimmen, die ihre fixen Ideen verdrängt und Intervalle her- beiführt, in welchen ſie von ſelbſt erlöſchen. Die Arbeit muſs mit Wechſel verbunden ſeyn, damit der Kranke nicht zu ſchnell ſeine fixen Vorſätze mit den unwandelbaren Gegenſtänden, die bald

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/331
Zitationshilfe: Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/331>, abgerufen am 22.11.2024.