rungsvermögen, die Handlungen und Leiden- schaften des Kranken, die Dauer und der Grad des Wahnsinns und sein Verhältniss zu seiner entfernten Ursache sind unbeständig, und daher ausserwesentlich. Noch weniger können körper- liche Erscheinungen, eine blassgelbe Farbe der Haut, atrabilarisches Blut, Zögerung der Aus- und Absonderungen und Unempfindlichkeit des Darmkanals *) als Merkmale des Wahnsinns ge- stattet werden, der als geistiges Object nicht weiss noch gelb aussieht, und aus einem rothen Blut eben so wenig als aus einem atrabilarischen verstanden werden kann.
Die fixe Idee kann so verschieden seyn, als es subjektive und objektive Gegenstände des Vor- stellens und Begehrens giebt. Sie kann ein Hirn- gespinst seyn, das in sich selbst Widersprüche hat, oder einen möglichen Fall des menschlichen Lebens betreffen, der aber unter den vorhan-
*) Man gebe dem Kranken, an dessen Gemüthszu- stand man zweifelt, Brechweinstein, sagte einmal ein Arzt und Schriftsteller; diese Feuer- probe entscheidet gewiss, besteht er sie, ohne zu brechen, so ist er melancholisch. Armer Wichmann, wie weit bleiben deine Ideen zur Diagnostik gegen diesen sublimen Gedanken zurück! Dass doch Hogarths Pinsel dem Er- finder dieses Probierkabinets neben Lichten- bergs Vorschlag, die Aerzte durch einen Strick Hunde zu sekundiren, ein Ehrendenkmal stiften möge, das seiner würdig ist.
rungsvermögen, die Handlungen und Leiden- ſchaften des Kranken, die Dauer und der Grad des Wahnſinns und ſein Verhältniſs zu ſeiner entfernten Urſache ſind unbeſtändig, und daher auſserweſentlich. Noch weniger können körper- liche Erſcheinungen, eine blaſsgelbe Farbe der Haut, atrabilariſches Blut, Zögerung der Aus- und Abſonderungen und Unempfindlichkeit des Darmkanals *) als Merkmale des Wahnſinns ge- ſtattet werden, der als geiſtiges Object nicht weiſs noch gelb ausſieht, und aus einem rothen Blut eben ſo wenig als aus einem atrabilariſchen verſtanden werden kann.
Die fixe Idee kann ſo verſchieden ſeyn, als es ſubjektive und objektive Gegenſtände des Vor- ſtellens und Begehrens giebt. Sie kann ein Hirn- geſpinſt ſeyn, das in ſich ſelbſt Widerſprüche hat, oder einen möglichen Fall des menſchlichen Lebens betreffen, der aber unter den vorhan-
*) Man gebe dem Kranken, an deſſen Gemüthszu- ſtand man zweifelt, Brechweinſtein, ſagte einmal ein Arzt und Schriftſteller; dieſe Feuer- probe entſcheidet gewiſs, beſteht er ſie, ohne zu brechen, ſo iſt er melancholiſch. Armer Wichmann, wie weit bleiben deine Ideen zur Diagnoſtik gegen dieſen ſublimen Gedanken zurück! Daſs doch Hogarths Pinſel dem Er- finder dieſes Probierkabinets neben Lichten- bergs Vorſchlag, die Aerzte durch einen Strick Hunde zu ſekundiren, ein Ehrendenkmal ſtiften möge, das ſeiner würdig iſt.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0315"n="310"/>
rungsvermögen, die Handlungen und Leiden-<lb/>ſchaften des Kranken, die Dauer und der Grad<lb/>
des Wahnſinns und ſein Verhältniſs zu ſeiner<lb/>
entfernten Urſache ſind unbeſtändig, und daher<lb/>
auſserweſentlich. Noch weniger können körper-<lb/>
liche Erſcheinungen, eine blaſsgelbe Farbe der<lb/>
Haut, atrabilariſches Blut, Zögerung der Aus-<lb/>
und Abſonderungen und Unempfindlichkeit des<lb/>
Darmkanals <noteplace="foot"n="*)">Man gebe dem Kranken, an deſſen Gemüthszu-<lb/>ſtand man zweifelt, <hirendition="#g">Brechweinſtein</hi>, ſagte<lb/>
einmal ein Arzt und Schriftſteller; dieſe Feuer-<lb/>
probe entſcheidet gewiſs, beſteht er ſie, ohne<lb/>
zu brechen, ſo iſt er melancholiſch. Armer<lb/><hirendition="#g">Wichmann</hi>, wie weit bleiben deine Ideen<lb/>
zur Diagnoſtik gegen dieſen ſublimen Gedanken<lb/>
zurück! Daſs doch <hirendition="#g">Hogarths</hi> Pinſel dem Er-<lb/>
finder dieſes Probierkabinets neben <hirendition="#g">Lichten-<lb/>
bergs</hi> Vorſchlag, die Aerzte durch einen Strick<lb/>
Hunde zu ſekundiren, ein Ehrendenkmal ſtiften<lb/>
möge, das ſeiner würdig iſt.</note> als Merkmale des Wahnſinns ge-<lb/>ſtattet werden, der als geiſtiges Object nicht<lb/>
weiſs noch gelb ausſieht, und aus einem rothen<lb/>
Blut eben ſo wenig als aus einem atrabilariſchen<lb/>
verſtanden werden kann.</p><lb/><p>Die fixe Idee kann ſo verſchieden ſeyn, als<lb/>
es ſubjektive und objektive Gegenſtände des Vor-<lb/>ſtellens und Begehrens giebt. Sie kann ein Hirn-<lb/>
geſpinſt ſeyn, das in ſich ſelbſt Widerſprüche<lb/>
hat, oder einen möglichen Fall des menſchlichen<lb/>
Lebens betreffen, der aber unter den vorhan-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[310/0315]
rungsvermögen, die Handlungen und Leiden-
ſchaften des Kranken, die Dauer und der Grad
des Wahnſinns und ſein Verhältniſs zu ſeiner
entfernten Urſache ſind unbeſtändig, und daher
auſserweſentlich. Noch weniger können körper-
liche Erſcheinungen, eine blaſsgelbe Farbe der
Haut, atrabilariſches Blut, Zögerung der Aus-
und Abſonderungen und Unempfindlichkeit des
Darmkanals *) als Merkmale des Wahnſinns ge-
ſtattet werden, der als geiſtiges Object nicht
weiſs noch gelb ausſieht, und aus einem rothen
Blut eben ſo wenig als aus einem atrabilariſchen
verſtanden werden kann.
Die fixe Idee kann ſo verſchieden ſeyn, als
es ſubjektive und objektive Gegenſtände des Vor-
ſtellens und Begehrens giebt. Sie kann ein Hirn-
geſpinſt ſeyn, das in ſich ſelbſt Widerſprüche
hat, oder einen möglichen Fall des menſchlichen
Lebens betreffen, der aber unter den vorhan-
*) Man gebe dem Kranken, an deſſen Gemüthszu-
ſtand man zweifelt, Brechweinſtein, ſagte
einmal ein Arzt und Schriftſteller; dieſe Feuer-
probe entſcheidet gewiſs, beſteht er ſie, ohne
zu brechen, ſo iſt er melancholiſch. Armer
Wichmann, wie weit bleiben deine Ideen
zur Diagnoſtik gegen dieſen ſublimen Gedanken
zurück! Daſs doch Hogarths Pinſel dem Er-
finder dieſes Probierkabinets neben Lichten-
bergs Vorſchlag, die Aerzte durch einen Strick
Hunde zu ſekundiren, ein Ehrendenkmal ſtiften
möge, das ſeiner würdig iſt.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/315>, abgerufen am 28.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.