Schlummer wecken. Man verwickelt den Kran- ken in ganz neue Lagen, ändert seine Lebensart, schickt ihn auf Reisen, lässt ihn heirathen, kün- digt ihm Gefahren seines Vermögens, seiner Ehre, der Seligkeit, des Lebens an. Eine Frau, die sehr thätig gewesen war, und in dem Zirkel der grossen Welt gelebt hatte, verlohr einen Theil ihres Ver- mögens, so dass sie genöthigt war, sich zurück- zuziehn. Gram und Langeweile stürzten sie in die benannte Auszehrung. Nun verlohr sie den Rest ihres Vermögens, und wurde von Mangel und Armuth bedroht. Sie suchte eine Stelle in einer Versorgungsanstalt; Hoffnung und Furcht, Erinnerungen der Vergangenheit und Aussich- ten in die Zukunft bestürmten sie wechselseitig; ihr Nervensystem wurde von neuem erregt und sie genas *). Endlich entsteht von dem anhaltenden Nagen dieser Leidenschaften Schwermuth, Ver- zweiflung und Selbstmord. Die Kranken ver- zweifeln an ihrem Auskommen oder an der Gna- de Gottes. Sie morden sich oder andere; andere, weil sie dieselben für die Ursache ihrer Leiden ansehn, sie von eingebildeten Leiden erlösen wol- len, oder aus Furchtsamkeit sich selbst zu morden, um durch das Schwerdt des Richters zu fallen,
sur la consomption. Mem. de la Soc. medic. d'emul. T. II. p. 178. Crichton l. c. T. II. p. 173. Tissot l. c. 2. B. 28 S. Blumen- bach med. Bibl. 1. B. 4. St. 732 S.
*) Mem. de la Soc. medic. d'emulat. T. H. p. 214.
Schlummer wecken. Man verwickelt den Kran- ken in ganz neue Lagen, ändert ſeine Lebensart, ſchickt ihn auf Reiſen, läſst ihn heirathen, kün- digt ihm Gefahren ſeines Vermögens, ſeiner Ehre, der Seligkeit, des Lebens an. Eine Frau, die ſehr thätig geweſen war, und in dem Zirkel der groſsen Welt gelebt hatte, verlohr einen Theil ihres Ver- mögens, ſo daſs ſie genöthigt war, ſich zurück- zuziehn. Gram und Langeweile ſtürzten ſie in die benannte Auszehrung. Nun verlohr ſie den Reſt ihres Vermögens, und wurde von Mangel und Armuth bedroht. Sie ſuchte eine Stelle in einer Verſorgungsanſtalt; Hoffnung und Furcht, Erinnerungen der Vergangenheit und Ausſich- ten in die Zukunft beſtürmten ſie wechſelſeitig; ihr Nervenſyſtem wurde von neuem erregt und ſie genas *). Endlich entſteht von dem anhaltenden Nagen dieſer Leidenſchaften Schwermuth, Ver- zweiflung und Selbſtmord. Die Kranken ver- zweifeln an ihrem Auskommen oder an der Gna- de Gottes. Sie morden ſich oder andere; andere, weil ſie dieſelben für die Urſache ihrer Leiden anſehn, ſie von eingebildeten Leiden erlöſen wol- len, oder aus Furchtſamkeit ſich ſelbſt zu morden, um durch das Schwerdt des Richters zu fallen,
ſur la conſomption. Mém. de la Soc. médic. d’émul. T. II. p. 178. Crichton l. c. T. II. p. 173. Tiſſot l. c. 2. B. 28 S. Blumen- bach med. Bibl. 1. B. 4. St. 732 S.
*) Mém. de la Soc. médic. d’émulat. T. H. p. 214.
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Schlummer wecken. Man verwickelt den Kran-
ken in ganz neue Lagen, ändert ſeine Lebensart,
ſchickt ihn auf Reiſen, läſst ihn heirathen, kün-
digt ihm Gefahren ſeines Vermögens, ſeiner Ehre,
der Seligkeit, des Lebens an. Eine Frau, die ſehr
thätig geweſen war, und in dem Zirkel der groſsen
Welt gelebt hatte, verlohr einen Theil ihres Ver-
mögens, ſo daſs ſie genöthigt war, ſich zurück-
zuziehn. Gram und Langeweile ſtürzten ſie in
die benannte Auszehrung. Nun verlohr ſie den
Reſt ihres Vermögens, und wurde von Mangel
und Armuth bedroht. Sie ſuchte eine Stelle in
einer Verſorgungsanſtalt; Hoffnung und Furcht,
Erinnerungen der Vergangenheit und Ausſich-
ten in die Zukunft beſtürmten ſie wechſelſeitig;
ihr Nervenſyſtem wurde von neuem erregt und ſie
genas *). Endlich entſteht von dem anhaltenden
Nagen dieſer Leidenſchaften Schwermuth, Ver-
zweiflung und Selbſtmord. Die Kranken ver-
zweifeln an ihrem Auskommen oder an der Gna-
de Gottes. Sie morden ſich oder andere; andere,
weil ſie dieſelben für die Urſache ihrer Leiden
anſehn, ſie von eingebildeten Leiden erlöſen wol-
len, oder aus Furchtſamkeit ſich ſelbſt zu morden,
um durch das Schwerdt des Richters zu fallen,
**)
*) Mém. de la Soc. médic. d’émulat. T. H. p. 214.
**) ſur la conſomption. Mém. de la Soc. médic.
d’émul. T. II. p. 178. Crichton l. c. T. II.
p. 173. Tiſſot l. c. 2. B. 28 S. Blumen-
bach med. Bibl. 1. B. 4. St. 732 S.
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/295>, abgerufen am 23.11.2024.
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