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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803.

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sie des Wahns leben, als könne ihnen nichts
widerstehn. Diese überzeugt man vom Gegen-
theil. Man ergreift sie mit hinlänglicher Kraft,
ohne Rücksicht auf ihr Widerstreben, taucht sie
in kaltes Wasser, oder stürzt sie in einen reissen-
den Strom. Andere zarte und furchtsame Sub-
jekte können durch ein rauhes Anfahren, durch
Drohungen oder durch den blossen Anblick einer
schauderhaften Scene zum Gehorsam gebracht
werden. Ein gewisser Monarch wurde wahn-
sinnig. Man nahm ihm allen eitelen Prunk,
trennte ihn von seiner Familie und sperrte ihn in
einem einsamen Pallast ein. Dann erklärte ihm
derjenige, der die Behandlung leitete, dass er
kein Souverain mehr, sondern zu gehorchen jetzt
an ihm die Reihe sey. Man gab ihm zwey Pagen,
die ihn theils bedienen, theils durch ihre Ueber-
legenheit an Kräften ihn überzeugen sollten, dass
er ganz von ihnen abhänge. Eines Tages empfing
er seinen Arzt hart, und sich hatte er mit Koth be-
sudelt. Gleich trat einer der Pagen ins Zimmer,
ergriff ihn mit drohender Miene um die Mitte des
Leibes, warf ihn mit Kraft auf eine Matratze,
entkleidete ihn, wusch ihn, zog ihn frisch an,
und trat dann wieder auf seinen Posten zurück.
Durch dergleichen wiederholte Warnungen wur-
de der Kranke bald folgsam, unterwarf sich der
Cur und genas durch dieselbe bald völlig *).

*) Pinel l. c. 205 S.

ſie des Wahns leben, als könne ihnen nichts
widerſtehn. Dieſe überzeugt man vom Gegen-
theil. Man ergreift ſie mit hinlänglicher Kraft,
ohne Rückſicht auf ihr Widerſtreben, taucht ſie
in kaltes Waſſer, oder ſtürzt ſie in einen reiſsen-
den Strom. Andere zarte und furchtſame Sub-
jekte können durch ein rauhes Anfahren, durch
Drohungen oder durch den bloſsen Anblick einer
ſchauderhaften Scene zum Gehorſam gebracht
werden. Ein gewiſſer Monarch wurde wahn-
ſinnig. Man nahm ihm allen eitelen Prunk,
trennte ihn von ſeiner Familie und ſperrte ihn in
einem einſamen Pallaſt ein. Dann erklärte ihm
derjenige, der die Behandlung leitete, daſs er
kein Souverain mehr, ſondern zu gehorchen jetzt
an ihm die Reihe ſey. Man gab ihm zwey Pagen,
die ihn theils bedienen, theils durch ihre Ueber-
legenheit an Kräften ihn überzeugen ſollten, daſs
er ganz von ihnen abhänge. Eines Tages empfing
er ſeinen Arzt hart, und ſich hatte er mit Koth be-
ſudelt. Gleich trat einer der Pagen ins Zimmer,
ergriff ihn mit drohender Miene um die Mitte des
Leibes, warf ihn mit Kraft auf eine Matratze,
entkleidete ihn, wuſch ihn, zog ihn friſch an,
und trat dann wieder auf ſeinen Poſten zurück.
Durch dergleichen wiederholte Warnungen wur-
de der Kranke bald folgſam, unterwarf ſich der
Cur und genas durch dieſelbe bald völlig *).

*) Pinel l. c. 205 S.
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[228/0233] ſie des Wahns leben, als könne ihnen nichts widerſtehn. Dieſe überzeugt man vom Gegen- theil. Man ergreift ſie mit hinlänglicher Kraft, ohne Rückſicht auf ihr Widerſtreben, taucht ſie in kaltes Waſſer, oder ſtürzt ſie in einen reiſsen- den Strom. Andere zarte und furchtſame Sub- jekte können durch ein rauhes Anfahren, durch Drohungen oder durch den bloſsen Anblick einer ſchauderhaften Scene zum Gehorſam gebracht werden. Ein gewiſſer Monarch wurde wahn- ſinnig. Man nahm ihm allen eitelen Prunk, trennte ihn von ſeiner Familie und ſperrte ihn in einem einſamen Pallaſt ein. Dann erklärte ihm derjenige, der die Behandlung leitete, daſs er kein Souverain mehr, ſondern zu gehorchen jetzt an ihm die Reihe ſey. Man gab ihm zwey Pagen, die ihn theils bedienen, theils durch ihre Ueber- legenheit an Kräften ihn überzeugen ſollten, daſs er ganz von ihnen abhänge. Eines Tages empfing er ſeinen Arzt hart, und ſich hatte er mit Koth be- ſudelt. Gleich trat einer der Pagen ins Zimmer, ergriff ihn mit drohender Miene um die Mitte des Leibes, warf ihn mit Kraft auf eine Matratze, entkleidete ihn, wuſch ihn, zog ihn friſch an, und trat dann wieder auf ſeinen Poſten zurück. Durch dergleichen wiederholte Warnungen wur- de der Kranke bald folgſam, unterwarf ſich der Cur und genas durch dieſelbe bald völlig *). *) Pinel l. c. 205 S.

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Zitationshilfe: Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/233>, abgerufen am 04.05.2024.