bemerke noch, dass auch Verrückte geistige Ge- fühle, aber diese von ganz eigner Art haben. Sie werden auch afficirt von sich und von der Welt, aber nach Maassgabe der eigenthümlichen Ansicht dieser Objekte, von demjenigen Stand- punkt, auf welchen ihre Krankheit sie gestelllt hat. In diesem Verhältnisse sollen ihre Gefühle erst noch beobachtet, und die gemachten Beob- achtungen zum Behuf der praktischen Arznei- kunde in dem pathologischen Theil der empiri- schen Psychologie für Aerzte, die noch in Petto ist, verzeichnet werden. Eine solche Darstellung der geistigen Gefühle Irrender, welche an sich schon, als Natur-Produkte, Interesse haben, würde uns noch besonders in den Stand setzen, mit mehrerer Gewissheit auf die Irrenden zu wirken, sofern wir vorzüglich durch ihr Gefühlsvermögen auf sie wirken müssen. Doch zu solchen Beob- achtungen gehören hellere Köpfe, als ich neulich einen traf, der auf meine Aeusserungen über die noch vorhandenen Mängel in den Tollhäusern, mir bestimmt antwortete, das seinige sey nun- mehr vollendet, nachdem der Vorsteher desselben dem übrigen heroischen Apparat noch ein Bade- haus zugefügt habe, in welches alle Irrende nach einem fixen Typus täglich zur Schwemme getrie- ben würden. Und dieser Sünder war ein Lehrer der Jugend. Hätte sein Wasser die Kraft des Teichs Bethesda gehabt, er hätte zuerst darin baden sollen. Fast wäre ich durch ihn an einem
Glau-
bemerke noch, daſs auch Verrückte geiſtige Ge- fühle, aber dieſe von ganz eigner Art haben. Sie werden auch afficirt von ſich und von der Welt, aber nach Maaſsgabe der eigenthümlichen Anſicht dieſer Objekte, von demjenigen Stand- punkt, auf welchen ihre Krankheit ſie geſtelllt hat. In dieſem Verhältniſſe ſollen ihre Gefühle erſt noch beobachtet, und die gemachten Beob- achtungen zum Behuf der praktiſchen Arznei- kunde in dem pathologiſchen Theil der empiri- ſchen Pſychologie für Aerzte, die noch in Petto iſt, verzeichnet werden. Eine ſolche Darſtellung der geiſtigen Gefühle Irrender, welche an ſich ſchon, als Natur-Produkte, Intereſſe haben, würde uns noch beſonders in den Stand ſetzen, mit mehrerer Gewiſsheit auf die Irrenden zu wirken, ſofern wir vorzüglich durch ihr Gefühlsvermögen auf ſie wirken müſſen. Doch zu ſolchen Beob- achtungen gehören hellere Köpfe, als ich neulich einen traf, der auf meine Aeuſserungen über die noch vorhandenen Mängel in den Tollhäuſern, mir beſtimmt antwortete, das ſeinige ſey nun- mehr vollendet, nachdem der Vorſteher deſſelben dem übrigen heroiſchen Apparat noch ein Bade- haus zugefügt habe, in welches alle Irrende nach einem fixen Typus täglich zur Schwemme getrie- ben würden. Und dieſer Sünder war ein Lehrer der Jugend. Hätte ſein Waſſer die Kraft des Teichs Bethesda gehabt, er hätte zuerſt darin baden ſollen. Faſt wäre ich durch ihn an einem
Glau-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0165"n="160"/>
bemerke noch, daſs auch Verrückte geiſtige Ge-<lb/>
fühle, aber dieſe von ganz eigner Art haben.<lb/>
Sie werden auch afficirt von ſich und von der<lb/>
Welt, aber nach Maaſsgabe der eigenthümlichen<lb/>
Anſicht dieſer Objekte, von demjenigen Stand-<lb/>
punkt, auf welchen ihre Krankheit ſie geſtelllt<lb/>
hat. In dieſem Verhältniſſe ſollen ihre Gefühle<lb/>
erſt noch beobachtet, und die gemachten Beob-<lb/>
achtungen zum Behuf der praktiſchen Arznei-<lb/>
kunde in dem pathologiſchen Theil der empiri-<lb/>ſchen Pſychologie für Aerzte, die noch in Petto<lb/>
iſt, verzeichnet werden. Eine ſolche Darſtellung<lb/>
der geiſtigen Gefühle Irrender, welche an ſich<lb/>ſchon, als Natur-Produkte, Intereſſe haben, würde<lb/>
uns noch beſonders in den Stand ſetzen, mit<lb/>
mehrerer Gewiſsheit auf die Irrenden zu wirken,<lb/>ſofern wir vorzüglich durch ihr Gefühlsvermögen<lb/>
auf ſie wirken müſſen. Doch zu ſolchen Beob-<lb/>
achtungen gehören hellere Köpfe, als ich neulich<lb/>
einen traf, der auf meine Aeuſserungen über die<lb/>
noch vorhandenen Mängel in den Tollhäuſern,<lb/>
mir beſtimmt antwortete, das ſeinige ſey nun-<lb/>
mehr vollendet, nachdem der Vorſteher deſſelben<lb/>
dem übrigen heroiſchen Apparat noch ein Bade-<lb/>
haus zugefügt habe, in welches alle Irrende nach<lb/>
einem fixen Typus täglich zur Schwemme getrie-<lb/>
ben würden. Und dieſer Sünder war ein Lehrer<lb/>
der Jugend. Hätte ſein Waſſer die Kraft des<lb/>
Teichs Bethesda gehabt, er hätte zuerſt darin<lb/>
baden ſollen. Faſt wäre ich durch ihn an einem<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Glau-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[160/0165]
bemerke noch, daſs auch Verrückte geiſtige Ge-
fühle, aber dieſe von ganz eigner Art haben.
Sie werden auch afficirt von ſich und von der
Welt, aber nach Maaſsgabe der eigenthümlichen
Anſicht dieſer Objekte, von demjenigen Stand-
punkt, auf welchen ihre Krankheit ſie geſtelllt
hat. In dieſem Verhältniſſe ſollen ihre Gefühle
erſt noch beobachtet, und die gemachten Beob-
achtungen zum Behuf der praktiſchen Arznei-
kunde in dem pathologiſchen Theil der empiri-
ſchen Pſychologie für Aerzte, die noch in Petto
iſt, verzeichnet werden. Eine ſolche Darſtellung
der geiſtigen Gefühle Irrender, welche an ſich
ſchon, als Natur-Produkte, Intereſſe haben, würde
uns noch beſonders in den Stand ſetzen, mit
mehrerer Gewiſsheit auf die Irrenden zu wirken,
ſofern wir vorzüglich durch ihr Gefühlsvermögen
auf ſie wirken müſſen. Doch zu ſolchen Beob-
achtungen gehören hellere Köpfe, als ich neulich
einen traf, der auf meine Aeuſserungen über die
noch vorhandenen Mängel in den Tollhäuſern,
mir beſtimmt antwortete, das ſeinige ſey nun-
mehr vollendet, nachdem der Vorſteher deſſelben
dem übrigen heroiſchen Apparat noch ein Bade-
haus zugefügt habe, in welches alle Irrende nach
einem fixen Typus täglich zur Schwemme getrie-
ben würden. Und dieſer Sünder war ein Lehrer
der Jugend. Hätte ſein Waſſer die Kraft des
Teichs Bethesda gehabt, er hätte zuerſt darin
baden ſollen. Faſt wäre ich durch ihn an einem
Glau-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/165>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.