Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

und Bewegung, die durch diese Wirksamkeit
producirt wird. Allein was sind denn geistige
Gefühle
? Zuverlässig Phänomene verschiedener
Natur, wenn ich nemlich bey dem Wirken der
Einbildungskraft und des Verstandes von den
gleichzeitigen Spielen absehe, die im Gehirn vor-
handen sind. Es sind also Anschauungen der
Objekte ohne Gefühle; und Gefühle ohne An-
schauung eines Objects möglich. Das erste, wenn
die Action habituell ist; das letzte, wenn die
Nerven ihre eignen und eigenmächtig entstande-
nen Zustände vorstellen oder durch Reize, z. B.
durch innere Theile des Körpers, erregt sind, die
nicht vorgestellt werden können.

Geistige Gefühle sind Produkte einer freien
oder gehinderten Wirksamkeit unserer Seelenver-
mögen, und beziehen sich entweder auf unsere
theoretischen Erkenntnisse, auf den Geschmack,
oder auf unsern moralischen Sinn. Wir empfin-
den es mit Lust, wenn unsere Einbildungskraft
durch ein leichtes Spiel producirt, Vorstellungen
erneuert, die ehemals mit Vergnügen verknüpft
waren, der Verstand ohne Hindernisse wirksam
ist, oder dieselben, wenn sie äussere sind, leicht
besiegt, wenn unsere körperlichen und Seelen-
Vollkommenheiten uns vorgestellt, unsere Wün-
sche erfüllt werden, und unsere Aussenverhält-
nisse der Art sind, dass sie unsere Vorsätze
unterstützen. Hingegen empfinden wir es
mit Unlust, wenn das Spiel der Imaginations-

und Bewegung, die durch dieſe Wirkſamkeit
producirt wird. Allein was ſind denn geiſtige
Gefühle
? Zuverläſſig Phänomene verſchiedener
Natur, wenn ich nemlich bey dem Wirken der
Einbildungskraft und des Verſtandes von den
gleichzeitigen Spielen abſehe, die im Gehirn vor-
handen ſind. Es ſind alſo Anſchauungen der
Objekte ohne Gefühle; und Gefühle ohne An-
ſchauung eines Objects möglich. Das erſte, wenn
die Action habituell iſt; das letzte, wenn die
Nerven ihre eignen und eigenmächtig entſtande-
nen Zuſtände vorſtellen oder durch Reize, z. B.
durch innere Theile des Körpers, erregt ſind, die
nicht vorgeſtellt werden können.

Geiſtige Gefühle ſind Produkte einer freien
oder gehinderten Wirkſamkeit unſerer Seelenver-
mögen, und beziehen ſich entweder auf unſere
theoretiſchen Erkenntniſſe, auf den Geſchmack,
oder auf unſern moraliſchen Sinn. Wir empfin-
den es mit Luſt, wenn unſere Einbildungskraft
durch ein leichtes Spiel producirt, Vorſtellungen
erneuert, die ehemals mit Vergnügen verknüpft
waren, der Verſtand ohne Hinderniſſe wirkſam
iſt, oder dieſelben, wenn ſie äuſsere ſind, leicht
beſiegt, wenn unſere körperlichen und Seelen-
Vollkommenheiten uns vorgeſtellt, unſere Wün-
ſche erfüllt werden, und unſere Auſsenverhält-
niſſe der Art ſind, daſs ſie unſere Vorſätze
unterſtützen. Hingegen empfinden wir es
mit Unluſt, wenn das Spiel der Imaginations-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0163" n="158"/>
und Bewegung, die durch die&#x017F;e Wirk&#x017F;amkeit<lb/>
producirt wird. Allein was &#x017F;ind denn <hi rendition="#g">gei&#x017F;tige<lb/>
Gefühle</hi>? Zuverlä&#x017F;&#x017F;ig Phänomene ver&#x017F;chiedener<lb/>
Natur, wenn ich nemlich bey dem Wirken der<lb/>
Einbildungskraft und des Ver&#x017F;tandes von den<lb/>
gleichzeitigen Spielen ab&#x017F;ehe, die im Gehirn vor-<lb/>
handen &#x017F;ind. Es &#x017F;ind al&#x017F;o An&#x017F;chauungen der<lb/>
Objekte ohne Gefühle; und Gefühle ohne An-<lb/>
&#x017F;chauung eines Objects möglich. Das er&#x017F;te, wenn<lb/>
die Action habituell i&#x017F;t; das letzte, wenn die<lb/>
Nerven ihre eignen und eigenmächtig ent&#x017F;tande-<lb/>
nen Zu&#x017F;tände vor&#x017F;tellen oder durch Reize, z. B.<lb/>
durch innere Theile des Körpers, erregt &#x017F;ind, die<lb/>
nicht vorge&#x017F;tellt werden können.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#g">Gei&#x017F;tige</hi> Gefühle &#x017F;ind Produkte einer freien<lb/>
oder gehinderten Wirk&#x017F;amkeit un&#x017F;erer Seelenver-<lb/>
mögen, und beziehen &#x017F;ich entweder auf un&#x017F;ere<lb/>
theoreti&#x017F;chen Erkenntni&#x017F;&#x017F;e, auf den Ge&#x017F;chmack,<lb/>
oder auf un&#x017F;ern morali&#x017F;chen Sinn. Wir empfin-<lb/>
den es mit Lu&#x017F;t, wenn un&#x017F;ere Einbildungskraft<lb/>
durch ein leichtes Spiel producirt, Vor&#x017F;tellungen<lb/>
erneuert, die ehemals mit Vergnügen verknüpft<lb/>
waren, der Ver&#x017F;tand ohne Hinderni&#x017F;&#x017F;e wirk&#x017F;am<lb/>
i&#x017F;t, oder die&#x017F;elben, wenn &#x017F;ie äu&#x017F;sere &#x017F;ind, leicht<lb/>
be&#x017F;iegt, wenn un&#x017F;ere körperlichen und Seelen-<lb/>
Vollkommenheiten uns vorge&#x017F;tellt, un&#x017F;ere Wün-<lb/>
&#x017F;che erfüllt werden, und un&#x017F;ere Au&#x017F;senverhält-<lb/>
ni&#x017F;&#x017F;e der Art &#x017F;ind, da&#x017F;s &#x017F;ie un&#x017F;ere Vor&#x017F;ätze<lb/>
unter&#x017F;tützen. Hingegen empfinden wir es<lb/>
mit Unlu&#x017F;t, wenn das Spiel der Imaginations-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[158/0163] und Bewegung, die durch dieſe Wirkſamkeit producirt wird. Allein was ſind denn geiſtige Gefühle? Zuverläſſig Phänomene verſchiedener Natur, wenn ich nemlich bey dem Wirken der Einbildungskraft und des Verſtandes von den gleichzeitigen Spielen abſehe, die im Gehirn vor- handen ſind. Es ſind alſo Anſchauungen der Objekte ohne Gefühle; und Gefühle ohne An- ſchauung eines Objects möglich. Das erſte, wenn die Action habituell iſt; das letzte, wenn die Nerven ihre eignen und eigenmächtig entſtande- nen Zuſtände vorſtellen oder durch Reize, z. B. durch innere Theile des Körpers, erregt ſind, die nicht vorgeſtellt werden können. Geiſtige Gefühle ſind Produkte einer freien oder gehinderten Wirkſamkeit unſerer Seelenver- mögen, und beziehen ſich entweder auf unſere theoretiſchen Erkenntniſſe, auf den Geſchmack, oder auf unſern moraliſchen Sinn. Wir empfin- den es mit Luſt, wenn unſere Einbildungskraft durch ein leichtes Spiel producirt, Vorſtellungen erneuert, die ehemals mit Vergnügen verknüpft waren, der Verſtand ohne Hinderniſſe wirkſam iſt, oder dieſelben, wenn ſie äuſsere ſind, leicht beſiegt, wenn unſere körperlichen und Seelen- Vollkommenheiten uns vorgeſtellt, unſere Wün- ſche erfüllt werden, und unſere Auſsenverhält- niſſe der Art ſind, daſs ſie unſere Vorſätze unterſtützen. Hingegen empfinden wir es mit Unluſt, wenn das Spiel der Imaginations-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/163
Zitationshilfe: Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/163>, abgerufen am 25.11.2024.