er durch Verdünnung eines atrabilarischen Bluts und durch Schmelzung stockender Säfte im Pfort- adersystem berichtigen, Seelenschmerz mit Niese- wurz und verkehrte Gedankenspiele mit Klistir- sprützen bekämpfen. Wehe dem Ebenbilde Got- tes, das unter einen solchen Hobel fällt!
Wenn also der Wahnsinn nicht protopathische Krankheit, nicht von moralischen Ursachen ent- standen ist, wenn das Gehirn durch Reize der phrenischen Gegend, des Sonnengeflechts, der Geburtstheile erschüttert wird, oder es der Ve- getation überhaupt an Stoff zur Verarbeitung fehlt, so wirke man zunächst körperlich auf den Körper, und entferne diese Zustände aus der Organisation, durch welche das Seelenorgan er- krankt. Doch scheint selbst diese körperliche Curmethode mehr Salz nöthig zu haben, als ihre Handhaber in den Tollhäusern ihr zu geben wissen. Ich unterscheide einen ätherischen Stoff, eine beharrliche Materie und deren Organisation. Das gasförmige Fluidum ist beweglicher Natur, strömt zu und zerstreut sich wieder, hängt der beharrlichen Materie als + oder -- in entgegen- gesetzten Richtungen an, und begründet dadurch einen Antagonismus benachbarter Systeme, der sich durch Handlungen wieder ins Gleichgewicht zu stellen strebt. Von demselben scheint vor- züglich die Conspiration aller Organe zu einem Zweck, die Begründung neuer Sympathieen durch die Gewohnheit, und die bewegliche Tem-
er durch Verdünnung eines atrabilariſchen Bluts und durch Schmelzung ſtockender Säfte im Pfort- aderſyſtem berichtigen, Seelenſchmerz mit Nieſe- wurz und verkehrte Gedankenſpiele mit Kliſtir- ſprützen bekämpfen. Wehe dem Ebenbilde Got- tes, das unter einen ſolchen Hobel fällt!
Wenn alſo der Wahnſinn nicht protopathiſche Krankheit, nicht von moraliſchen Urſachen ent- ſtanden iſt, wenn das Gehirn durch Reize der phreniſchen Gegend, des Sonnengeflechts, der Geburtstheile erſchüttert wird, oder es der Ve- getation überhaupt an Stoff zur Verarbeitung fehlt, ſo wirke man zunächſt körperlich auf den Körper, und entferne dieſe Zuſtände aus der Organiſation, durch welche das Seelenorgan er- krankt. Doch ſcheint ſelbſt dieſe körperliche Curmethode mehr Salz nöthig zu haben, als ihre Handhaber in den Tollhäuſern ihr zu geben wiſſen. Ich unterſcheide einen ätheriſchen Stoff, eine beharrliche Materie und deren Organiſation. Das gasförmige Fluidum iſt beweglicher Natur, ſtrömt zu und zerſtreut ſich wieder, hängt der beharrlichen Materie als + oder — in entgegen- geſetzten Richtungen an, und begründet dadurch einen Antagoniſmus benachbarter Syſteme, der ſich durch Handlungen wieder ins Gleichgewicht zu ſtellen ſtrebt. Von demſelben ſcheint vor- züglich die Conſpiration aller Organe zu einem Zweck, die Begründung neuer Sympathieen durch die Gewohnheit, und die bewegliche Tem-
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er durch Verdünnung eines atrabilariſchen Bluts
und durch Schmelzung ſtockender Säfte im Pfort-
aderſyſtem berichtigen, Seelenſchmerz mit Nieſe-
wurz und verkehrte Gedankenſpiele mit Kliſtir-
ſprützen bekämpfen. Wehe dem Ebenbilde Got-
tes, das unter einen ſolchen Hobel fällt!
Wenn alſo der Wahnſinn nicht protopathiſche
Krankheit, nicht von moraliſchen Urſachen ent-
ſtanden iſt, wenn das Gehirn durch Reize der
phreniſchen Gegend, des Sonnengeflechts, der
Geburtstheile erſchüttert wird, oder es der Ve-
getation überhaupt an Stoff zur Verarbeitung
fehlt, ſo wirke man zunächſt körperlich auf den
Körper, und entferne dieſe Zuſtände aus der
Organiſation, durch welche das Seelenorgan er-
krankt. Doch ſcheint ſelbſt dieſe körperliche
Curmethode mehr Salz nöthig zu haben, als ihre
Handhaber in den Tollhäuſern ihr zu geben
wiſſen. Ich unterſcheide einen ätheriſchen Stoff,
eine beharrliche Materie und deren Organiſation.
Das gasförmige Fluidum iſt beweglicher Natur,
ſtrömt zu und zerſtreut ſich wieder, hängt der
beharrlichen Materie als + oder — in entgegen-
geſetzten Richtungen an, und begründet dadurch
einen Antagoniſmus benachbarter Syſteme, der
ſich durch Handlungen wieder ins Gleichgewicht
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/144>, abgerufen am 23.11.2024.
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