Theil der Seele amputirt. Ein Meer von Ideen in den Archiven der Dichtkunst, die feinsten Spie- le des Witzes, die sinnreichsten Erfindungen, die zartesten Gefühle, die brennendsten Bilder der Phantasie, die heftigsten Triebe, die die Seele unaufhaltbar zum Handeln fortreissen, wären nicht, wenn der Theil des Körpers nicht wäre, der seine Art fortpflanzt. Ein Faser im Gehirn erschlafft, und der in uns wohnende Götterfunke ist zu einem Feen-Mährchen geworden.
Die grosse Welt spielt immerhin auf die kleine nach ihrer zufälligen Verbindung mit der- selben. Die empfangenen Eindrücke werden vorgestellt und im Selbstbewusstseyn als Eigen- thum aufgenommen. Sie dringen vorwärts an die Leitschnüre des Nervensystems, bis zum Hauptbrennpunkt der Organisation, und werden von da nach aussen, oder nach andern Regio- nen, innerhalb ihrer Grenzen, reflectirt. Die Aussendinge wechseln; es wechseln die Reflectionspunkte in der Organisa- tion. Diese werden nemlich nach Maassgabe der Thätigkeiten, die jene ehemals erregt haben, immerhin nach andern Orten verlegt. Es con- struirt sich durch sich selbst unvermerkt ein ande- res Instrument. So entstehen meandrische Züge und unvorhergesehne Impulse zur Thätigkeit, die uns als Spontaneität blenden, weil wir ihre Cau- salität, und daher auch ihre bedingte Nothwen- digkeit nicht kennen. Es ist sogar nicht un-
Theil der Seele amputirt. Ein Meer von Ideen in den Archiven der Dichtkunſt, die feinſten Spie- le des Witzes, die ſinnreichſten Erfindungen, die zarteſten Gefühle, die brennendſten Bilder der Phantaſie, die heftigſten Triebe, die die Seele unaufhaltbar zum Handeln fortreiſsen, wären nicht, wenn der Theil des Körpers nicht wäre, der ſeine Art fortpflanzt. Ein Faſer im Gehirn erſchlafft, und der in uns wohnende Götterfunke iſt zu einem Feen-Mährchen geworden.
Die groſse Welt ſpielt immerhin auf die kleine nach ihrer zufälligen Verbindung mit der- ſelben. Die empfangenen Eindrücke werden vorgeſtellt und im Selbſtbewuſstſeyn als Eigen- thum aufgenommen. Sie dringen vorwärts an die Leitſchnüre des Nervenſyſtems, bis zum Hauptbrennpunkt der Organiſation, und werden von da nach auſsen, oder nach andern Regio- nen, innerhalb ihrer Grenzen, reflectirt. Die Auſsendinge wechſeln; es wechſeln die Reflectionspunkte in der Organiſa- tion. Dieſe werden nemlich nach Maaſsgabe der Thätigkeiten, die jene ehemals erregt haben, immerhin nach andern Orten verlegt. Es con- ſtruirt ſich durch ſich ſelbſt unvermerkt ein ande- res Inſtrument. So entſtehen meandriſche Züge und unvorhergeſehne Impulſe zur Thätigkeit, die uns als Spontaneität blenden, weil wir ihre Cau- ſalität, und daher auch ihre bedingte Nothwen- digkeit nicht kennen. Es iſt ſogar nicht un-
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Theil der Seele amputirt. Ein Meer von Ideen
in den Archiven der Dichtkunſt, die feinſten Spie-
le des Witzes, die ſinnreichſten Erfindungen, die
zarteſten Gefühle, die brennendſten Bilder der
Phantaſie, die heftigſten Triebe, die die Seele
unaufhaltbar zum Handeln fortreiſsen, wären
nicht, wenn der Theil des Körpers nicht wäre,
der ſeine Art fortpflanzt. Ein Faſer im Gehirn
erſchlafft, und der in uns wohnende Götterfunke
iſt zu einem Feen-Mährchen geworden.
Die groſse Welt ſpielt immerhin auf die
kleine nach ihrer zufälligen Verbindung mit der-
ſelben. Die empfangenen Eindrücke werden
vorgeſtellt und im Selbſtbewuſstſeyn als Eigen-
thum aufgenommen. Sie dringen vorwärts an
die Leitſchnüre des Nervenſyſtems, bis zum
Hauptbrennpunkt der Organiſation, und werden
von da nach auſsen, oder nach andern Regio-
nen, innerhalb ihrer Grenzen, reflectirt. Die
Auſsendinge wechſeln; es wechſeln
die Reflectionspunkte in der Organiſa-
tion. Dieſe werden nemlich nach Maaſsgabe der
Thätigkeiten, die jene ehemals erregt haben,
immerhin nach andern Orten verlegt. Es con-
ſtruirt ſich durch ſich ſelbſt unvermerkt ein ande-
res Inſtrument. So entſtehen meandriſche Züge
und unvorhergeſehne Impulſe zur Thätigkeit, die
uns als Spontaneität blenden, weil wir ihre Cau-
ſalität, und daher auch ihre bedingte Nothwen-
digkeit nicht kennen. Es iſt ſogar nicht un-
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/14>, abgerufen am 21.11.2024.
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