ren Werth ist. Auf diese Art fasst sie auf, was die Vernunft aufzufassen gebietet, was in das allgemeine Interesse aller Menschen, und in ihr individuelles Verhältniss besonders einschlägt. Sie ist im Besitz einer zweckmässigen Locomoti- vität, und ihr Wirken steht mit ihrer Naturbe- stimmung in einem so vortheilhaftem Gleichgewicht, dass jenes sich dieser gemäss äussern muss.
Man theilt die Besonnenheit in eine äusse- re und innere; diese bezieht sich auf die Wahrnehmung der Reproduktionen des inneren, jene auf die Wahrnehmung der Eindrücke des äusseren Sinns. Vermöge der äusseren Beson- nenheit werden die Eindrücke der Welt und des eignen Körpers, sofern derselbe als äusseres Object im Gemeingefühl angekündiget wird, angemerkt und zum Bewusstseyn gebracht. Die Seele lässt, wenn sie mit irgend etwas emsig beschäfftiget ist, die Reize der Welt, als Nebelsterne in weiter Entfernung vorüberschleichen, aber dunkel merkt sie dieselben doch an, und hebt diejenigen augen- blicklich aus der fliehenden Menge aus, die mit ihren Zwecken in Verbindung stehn. Die in- nere Besonnenheit ist die nemliche Fertigkeit der Seele in Rücksicht ihrer inneren Bestimmungen, Vorsätze, Maximen und Pflichtverhältnisse. Wir gebieten Ruhe dem Gedächtniss und der Phanta- sie, um alle Kraft auf einen Punkt zu sammlen, behalten aber doch für solche Reproduktionen dieser Vermögen ein leises Gehör übrig, die in
ren Werth iſt. Auf dieſe Art faſst ſie auf, was die Vernunft aufzufaſſen gebietet, was in das allgemeine Intereſſe aller Menſchen, und in ihr individuelles Verhältniſs beſonders einſchlägt. Sie iſt im Beſitz einer zweckmäſsigen Locomoti- vität, und ihr Wirken ſteht mit ihrer Naturbe- ſtimmung in einem ſo vortheilhaftem Gleichgewicht, daſs jenes ſich dieſer gemäſs äuſsern muſs.
Man theilt die Beſonnenheit in eine äuſse- re und innere; dieſe bezieht ſich auf die Wahrnehmung der Reproduktionen des inneren, jene auf die Wahrnehmung der Eindrücke des äuſseren Sinns. Vermöge der äuſseren Beſon- nenheit werden die Eindrücke der Welt und des eignen Körpers, ſofern derſelbe als äuſseres Object im Gemeingefühl angekündiget wird, angemerkt und zum Bewuſstſeyn gebracht. Die Seele läſst, wenn ſie mit irgend etwas emſig beſchäfftiget iſt, die Reize der Welt, als Nebelſterne in weiter Entfernung vorüberſchleichen, aber dunkel merkt ſie dieſelben doch an, und hebt diejenigen augen- blicklich aus der fliehenden Menge aus, die mit ihren Zwecken in Verbindung ſtehn. Die in- nere Beſonnenheit iſt die nemliche Fertigkeit der Seele in Rückſicht ihrer inneren Beſtimmungen, Vorſätze, Maximen und Pflichtverhältniſſe. Wir gebieten Ruhe dem Gedächtniſs und der Phanta- ſie, um alle Kraft auf einen Punkt zu ſammlen, behalten aber doch für ſolche Reproduktionen dieſer Vermögen ein leiſes Gehör übrig, die in
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ren Werth iſt. Auf dieſe Art faſst ſie auf, was
die Vernunft aufzufaſſen gebietet, was in das
allgemeine Intereſſe aller Menſchen, und in ihr
individuelles Verhältniſs beſonders einſchlägt.
Sie iſt im Beſitz einer zweckmäſsigen Locomoti-
vität, und ihr Wirken ſteht mit ihrer Naturbe-
ſtimmung in einem ſo vortheilhaftem Gleichgewicht,
daſs jenes ſich dieſer gemäſs äuſsern muſs.
Man theilt die Beſonnenheit in eine äuſse-
re und innere; dieſe bezieht ſich auf die
Wahrnehmung der Reproduktionen des inneren,
jene auf die Wahrnehmung der Eindrücke des
äuſseren Sinns. Vermöge der äuſseren Beſon-
nenheit werden die Eindrücke der Welt und des
eignen Körpers, ſofern derſelbe als äuſseres Object
im Gemeingefühl angekündiget wird, angemerkt
und zum Bewuſstſeyn gebracht. Die Seele läſst,
wenn ſie mit irgend etwas emſig beſchäfftiget iſt,
die Reize der Welt, als Nebelſterne in weiter
Entfernung vorüberſchleichen, aber dunkel merkt
ſie dieſelben doch an, und hebt diejenigen augen-
blicklich aus der fliehenden Menge aus, die mit
ihren Zwecken in Verbindung ſtehn. Die in-
nere Beſonnenheit iſt die nemliche Fertigkeit der
Seele in Rückſicht ihrer inneren Beſtimmungen,
Vorſätze, Maximen und Pflichtverhältniſſe. Wir
gebieten Ruhe dem Gedächtniſs und der Phanta-
ſie, um alle Kraft auf einen Punkt zu ſammlen,
behalten aber doch für ſolche Reproduktionen
dieſer Vermögen ein leiſes Gehör übrig, die in
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Reil, Johann Christian: Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen Curmethode auf Geisteszerrüttungen. Halle, 1803, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reil_curmethode_1803/105>, abgerufen am 27.11.2024.
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