Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Reichardt, Christian: Land- u. Garten-Schatzes. Bd. 2. Erfurt, 1753.

Bild:
<< vorherige Seite

6. Cap. Vom Oculiren.
dennoch das Wort unverrückt, daß Gott ein jeg-
liches nach seiner Art geschaffen habe, und das
Sprichwort bleibet in allen Creaturen feste: Art
läßt nicht von Art. Wolte aber einer dennoch
die Verwandelung derer wilden Bäume in gu-
te vertheidigen und dabey bleiben, dem wil ich
seine Meinung nicht mit Gewalt nehmen, son-
dern wil nochmal, wie vorgesagt, erinnern, es sey
nichts weniger als eine Verwandelung. Denn
man bedenke es wohl, der unterste Stam des wil-
den Baumes behält ja seine wilde Wurzel, wie
vor, und diese wird nimmermehr verwandelt, das
Obertheil, welches abgeschnitten wird, so weit
auf den untersten Stam gepfropfet werden sol,
das wird ja weggeschmissen und nicht verwandelt,
sondern behält auch seine Eigenschaft bis ins
Feuer: also verwandelt sich vom ganzen wilden
Stam ja nichts, sondern es bleibet das abge-
schnittene und noch stehende Theil nach wie vor
wilde.

Ob man nun zwar sagt, es werde ja durch
das Pfropfen aus diesem wilden Stam ein gu-
ter Obst-Baum, der annehmliche Früchte trüge,
die den vorigen wilden gar nicht zu vergleichen
wären: dem dienet zur Antwort, daß obgleich
hinfort gute Früchte auf einem solchen gepfropften
Baume wachsen, so wachsen doch die guten Früch-
te nicht auf dem wilden Stamme, sondern auf
dem in den wilden Stam gepfropften guten
Reise welches zwar mit dem wilden Stamme zu
einem ganzen Baume gewachsen ist, an sich selbst

aber

6. Cap. Vom Oculiren.
dennoch das Wort unverruͤckt, daß Gott ein jeg-
liches nach ſeiner Art geſchaffen habe, und das
Sprichwort bleibet in allen Creaturen feſte: Art
laͤßt nicht von Art. Wolte aber einer dennoch
die Verwandelung derer wilden Baͤume in gu-
te vertheidigen und dabey bleiben, dem wil ich
ſeine Meinung nicht mit Gewalt nehmen, ſon-
dern wil nochmal, wie vorgeſagt, erinnern, es ſey
nichts weniger als eine Verwandelung. Denn
man bedenke es wohl, der unterſte Stam des wil-
den Baumes behaͤlt ja ſeine wilde Wurzel, wie
vor, und dieſe wird nimmermehr verwandelt, das
Obertheil, welches abgeſchnitten wird, ſo weit
auf den unterſten Stam gepfropfet werden ſol,
das wird ja weggeſchmiſſen und nicht verwandelt,
ſondern behaͤlt auch ſeine Eigenſchaft bis ins
Feuer: alſo verwandelt ſich vom ganzen wilden
Stam ja nichts, ſondern es bleibet das abge-
ſchnittene und noch ſtehende Theil nach wie vor
wilde.

Ob man nun zwar ſagt, es werde ja durch
das Pfropfen aus dieſem wilden Stam ein gu-
ter Obſt-Baum, der annehmliche Fruͤchte truͤge,
die den vorigen wilden gar nicht zu vergleichen
waͤren: dem dienet zur Antwort, daß obgleich
hinfort gute Fruͤchte auf einem ſolchen gepfropften
Baume wachſen, ſo wachſen doch die guten Fruͤch-
te nicht auf dem wilden Stamme, ſondern auf
dem in den wilden Stam gepfropften guten
Reiſe welches zwar mit dem wilden Stamme zu
einem ganzen Baume gewachſen iſt, an ſich ſelbſt

aber
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0114" n="82"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">6. Cap. Vom Oculiren.</hi></fw><lb/>
dennoch das Wort unverru&#x0364;ckt, daß Gott ein jeg-<lb/>
liches nach &#x017F;einer Art ge&#x017F;chaffen habe, und das<lb/>
Sprichwort bleibet in allen Creaturen fe&#x017F;te: Art<lb/>
la&#x0364;ßt nicht von Art. Wolte aber einer dennoch<lb/>
die Verwandelung derer wilden Ba&#x0364;ume in gu-<lb/>
te vertheidigen und dabey bleiben, dem wil ich<lb/>
&#x017F;eine Meinung nicht mit Gewalt nehmen, &#x017F;on-<lb/>
dern wil nochmal, wie vorge&#x017F;agt, erinnern, es &#x017F;ey<lb/>
nichts weniger als eine Verwandelung. Denn<lb/>
man bedenke es wohl, der unter&#x017F;te Stam des wil-<lb/>
den Baumes beha&#x0364;lt ja &#x017F;eine wilde Wurzel, wie<lb/>
vor, und die&#x017F;e wird nimmermehr verwandelt, das<lb/>
Obertheil, welches abge&#x017F;chnitten wird, &#x017F;o weit<lb/>
auf den unter&#x017F;ten Stam gepfropfet werden &#x017F;ol,<lb/>
das wird ja wegge&#x017F;chmi&#x017F;&#x017F;en und nicht verwandelt,<lb/>
&#x017F;ondern beha&#x0364;lt auch &#x017F;eine Eigen&#x017F;chaft bis ins<lb/>
Feuer: al&#x017F;o verwandelt &#x017F;ich vom ganzen wilden<lb/>
Stam ja nichts, &#x017F;ondern es bleibet das abge-<lb/>
&#x017F;chnittene und noch &#x017F;tehende Theil nach wie vor<lb/>
wilde.</p><lb/>
          <p>Ob man nun zwar &#x017F;agt, es werde ja durch<lb/>
das Pfropfen aus die&#x017F;em wilden Stam ein gu-<lb/>
ter Ob&#x017F;t-Baum, der annehmliche Fru&#x0364;chte tru&#x0364;ge,<lb/>
die den vorigen wilden gar nicht zu vergleichen<lb/>
wa&#x0364;ren: dem dienet zur Antwort, daß obgleich<lb/>
hinfort gute Fru&#x0364;chte auf einem &#x017F;olchen gepfropften<lb/>
Baume wach&#x017F;en, &#x017F;o wach&#x017F;en doch die guten Fru&#x0364;ch-<lb/>
te nicht auf dem wilden Stamme, &#x017F;ondern auf<lb/>
dem in den wilden Stam gepfropften guten<lb/>
Rei&#x017F;e welches zwar mit dem wilden Stamme zu<lb/>
einem ganzen Baume gewach&#x017F;en i&#x017F;t, an &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">aber</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[82/0114] 6. Cap. Vom Oculiren. dennoch das Wort unverruͤckt, daß Gott ein jeg- liches nach ſeiner Art geſchaffen habe, und das Sprichwort bleibet in allen Creaturen feſte: Art laͤßt nicht von Art. Wolte aber einer dennoch die Verwandelung derer wilden Baͤume in gu- te vertheidigen und dabey bleiben, dem wil ich ſeine Meinung nicht mit Gewalt nehmen, ſon- dern wil nochmal, wie vorgeſagt, erinnern, es ſey nichts weniger als eine Verwandelung. Denn man bedenke es wohl, der unterſte Stam des wil- den Baumes behaͤlt ja ſeine wilde Wurzel, wie vor, und dieſe wird nimmermehr verwandelt, das Obertheil, welches abgeſchnitten wird, ſo weit auf den unterſten Stam gepfropfet werden ſol, das wird ja weggeſchmiſſen und nicht verwandelt, ſondern behaͤlt auch ſeine Eigenſchaft bis ins Feuer: alſo verwandelt ſich vom ganzen wilden Stam ja nichts, ſondern es bleibet das abge- ſchnittene und noch ſtehende Theil nach wie vor wilde. Ob man nun zwar ſagt, es werde ja durch das Pfropfen aus dieſem wilden Stam ein gu- ter Obſt-Baum, der annehmliche Fruͤchte truͤge, die den vorigen wilden gar nicht zu vergleichen waͤren: dem dienet zur Antwort, daß obgleich hinfort gute Fruͤchte auf einem ſolchen gepfropften Baume wachſen, ſo wachſen doch die guten Fruͤch- te nicht auf dem wilden Stamme, ſondern auf dem in den wilden Stam gepfropften guten Reiſe welches zwar mit dem wilden Stamme zu einem ganzen Baume gewachſen iſt, an ſich ſelbſt aber

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/reichart_landschatz02_1753
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/reichart_landschatz02_1753/114
Zitationshilfe: Reichardt, Christian: Land- u. Garten-Schatzes. Bd. 2. Erfurt, 1753, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reichart_landschatz02_1753/114>, abgerufen am 21.11.2024.