Reich, Moses Josef: Mammon im Gebirge. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–45. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Moritz Reich, geboren den 20. April 1831 zu Rokitnitz an der böhmisch-preußischen Grenze, aus einer israelitischen Familie stammend, wurde nach Reichenau in das Gymnasium gesendet, ging 1847 auf die Universität nach Prag, wo er, arm und krank, in Ahnung eines frühen Todes den Entschluß faßte, sich ohne Zeitverlust ganz der Poesie zu widmen, und 1853 nach Wien, wo er, zu sehr Poet, um Journalist zu sein, gleichwohl mit seltener Ausdauer das traurigste Literatenleben führte. Es ist hier nicht der Ort, dieses ergreifende Bild auszumalen: wir verweisen auf die Schilderung Alfred Meißner's, der sich seiner im Leben warm angenommen und nach seinem den 26. März 1857 durch eigene Hand erfolgten Tode seine Erzählungen herausgegeben hat. "Eine weiche, träumerische Natur", sagt dieser sein Biograph, "voll überquellender Empfindung, waffenlos gegen die Bosheit und die Mißgunst der Menschen, ohne andere Erfahrung als die seines Herzens, verbrannte er rasch, wie in reinem Sauerstoff, und machte in ein paar Jahren ein Unglücksleben durch, wie kaum die Unglücklichsten in Decennien. Wenn seine Gefühlswelt oft überhitzt, seine Phantastik grell und gewaltsam ist, wenn seine Menschen, in seinen späteren Erzählungen namentlich, dämonisch über ihr Maß hinauswachsen, dürfen wir nicht vergessen, welche Geier an ihm fraßen, und wie jung und erfahrungslos er war. Seine Seele war keusch und rein und lebte nur für die Kunst. Er hatte eine ideale Sehnsucht, die Höhen zu erstiegen, die nur erklommen werden Moritz Reich, geboren den 20. April 1831 zu Rokitnitz an der böhmisch-preußischen Grenze, aus einer israelitischen Familie stammend, wurde nach Reichenau in das Gymnasium gesendet, ging 1847 auf die Universität nach Prag, wo er, arm und krank, in Ahnung eines frühen Todes den Entschluß faßte, sich ohne Zeitverlust ganz der Poesie zu widmen, und 1853 nach Wien, wo er, zu sehr Poet, um Journalist zu sein, gleichwohl mit seltener Ausdauer das traurigste Literatenleben führte. Es ist hier nicht der Ort, dieses ergreifende Bild auszumalen: wir verweisen auf die Schilderung Alfred Meißner's, der sich seiner im Leben warm angenommen und nach seinem den 26. März 1857 durch eigene Hand erfolgten Tode seine Erzählungen herausgegeben hat. „Eine weiche, träumerische Natur“, sagt dieser sein Biograph, „voll überquellender Empfindung, waffenlos gegen die Bosheit und die Mißgunst der Menschen, ohne andere Erfahrung als die seines Herzens, verbrannte er rasch, wie in reinem Sauerstoff, und machte in ein paar Jahren ein Unglücksleben durch, wie kaum die Unglücklichsten in Decennien. Wenn seine Gefühlswelt oft überhitzt, seine Phantastik grell und gewaltsam ist, wenn seine Menschen, in seinen späteren Erzählungen namentlich, dämonisch über ihr Maß hinauswachsen, dürfen wir nicht vergessen, welche Geier an ihm fraßen, und wie jung und erfahrungslos er war. Seine Seele war keusch und rein und lebte nur für die Kunst. Er hatte eine ideale Sehnsucht, die Höhen zu erstiegen, die nur erklommen werden <TEI> <text> <front> <pb facs="#f0008"/> <div type="preface"> <p>Moritz Reich, geboren den 20. April 1831 zu Rokitnitz an der böhmisch-preußischen Grenze, aus einer israelitischen Familie stammend, wurde nach Reichenau in das Gymnasium gesendet, ging 1847 auf die Universität nach Prag, wo er, arm und krank, in Ahnung eines frühen Todes den Entschluß faßte, sich ohne Zeitverlust ganz der Poesie zu widmen, und 1853 nach Wien, wo er, zu sehr Poet, um Journalist zu sein, gleichwohl mit seltener Ausdauer das traurigste Literatenleben führte. Es ist hier nicht der Ort, dieses ergreifende Bild auszumalen: wir verweisen auf die Schilderung Alfred Meißner's, der sich seiner im Leben warm angenommen und nach seinem den 26. März 1857 durch eigene Hand erfolgten Tode seine Erzählungen herausgegeben hat. „Eine weiche, träumerische Natur“, sagt dieser sein Biograph, „voll überquellender Empfindung, waffenlos gegen die Bosheit und die Mißgunst der Menschen, ohne andere Erfahrung als die seines Herzens, verbrannte er rasch, wie in reinem Sauerstoff, und machte in ein paar Jahren ein Unglücksleben durch, wie kaum die Unglücklichsten in Decennien. Wenn seine Gefühlswelt oft überhitzt, seine Phantastik grell und gewaltsam ist, wenn seine Menschen, in seinen späteren Erzählungen namentlich, dämonisch über ihr Maß hinauswachsen, dürfen wir nicht vergessen, welche Geier an ihm fraßen, und wie jung und erfahrungslos er war. Seine Seele war keusch und rein und lebte nur für die Kunst. Er hatte eine ideale Sehnsucht, die Höhen zu erstiegen, die nur erklommen werden<lb/></p> </div> </front> </text> </TEI> [0008]
Moritz Reich, geboren den 20. April 1831 zu Rokitnitz an der böhmisch-preußischen Grenze, aus einer israelitischen Familie stammend, wurde nach Reichenau in das Gymnasium gesendet, ging 1847 auf die Universität nach Prag, wo er, arm und krank, in Ahnung eines frühen Todes den Entschluß faßte, sich ohne Zeitverlust ganz der Poesie zu widmen, und 1853 nach Wien, wo er, zu sehr Poet, um Journalist zu sein, gleichwohl mit seltener Ausdauer das traurigste Literatenleben führte. Es ist hier nicht der Ort, dieses ergreifende Bild auszumalen: wir verweisen auf die Schilderung Alfred Meißner's, der sich seiner im Leben warm angenommen und nach seinem den 26. März 1857 durch eigene Hand erfolgten Tode seine Erzählungen herausgegeben hat. „Eine weiche, träumerische Natur“, sagt dieser sein Biograph, „voll überquellender Empfindung, waffenlos gegen die Bosheit und die Mißgunst der Menschen, ohne andere Erfahrung als die seines Herzens, verbrannte er rasch, wie in reinem Sauerstoff, und machte in ein paar Jahren ein Unglücksleben durch, wie kaum die Unglücklichsten in Decennien. Wenn seine Gefühlswelt oft überhitzt, seine Phantastik grell und gewaltsam ist, wenn seine Menschen, in seinen späteren Erzählungen namentlich, dämonisch über ihr Maß hinauswachsen, dürfen wir nicht vergessen, welche Geier an ihm fraßen, und wie jung und erfahrungslos er war. Seine Seele war keusch und rein und lebte nur für die Kunst. Er hatte eine ideale Sehnsucht, die Höhen zu erstiegen, die nur erklommen werden
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Zitationshilfe: | Reich, Moses Josef: Mammon im Gebirge. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–45. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reich_mammon_1910/8>, abgerufen am 04.07.2024. |