Reich, Moses Josef: Mammon im Gebirge. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–45. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.die Mutter nicht nachkommen? -- Q nein! die wird gar froh sein! -- Wie alt bist du! -- Zwölf, dreizehn, vierzehn Jahre! lachte Trude. -- Du weiß es nicht? -- Bei meiner Seele, nein! -- Hast Hunger? -- Nein, aber Durst, viel Durst! -- So komm herein! Er nahm ein Deckelglas, welches noch mit rother Farbe numerirt war, zum Zeichen, daß es sich noch des Schulzen und des alten, lustigen Lebens erinnere, ging zum Troge, welcher im Hofe stand, füllte es mit kristallhellem Wasser und gab ihr zu trinken, während er das Glas am Henkel hielt; sie schlürfte mit langen, durstigen Zügen, und er sah jedem Zuge mit Wohlbehagen bis in die Kehle nach. Zahl's Gott! sagte sie gewohntermaßen, ohne viel Innigkeit im Ausdruck. -- Gieb mir das Brod, das du da in der Schürze hast! meinte der Bauer. -- Ich darf nicht! muß es der Mutter bringen! -- Hast denn vergessen, Trudchen, daß du bei mir bleibst? du kriegst Butter aufs Brod, früh Milch, Mittags Fleisch -- er erschrak bei dem Worte, da er sich erinnerte, selbst kaum an Sonntagen einmal Fleisch zu essen; als sie noch immer unschlüssig und zweifelnd sann, fuhr er fort: Und schöne Kleider auf den Leib, Strümpfchen und Schühlein. -- Trude blickte auf Sommer's nackte Füße und sagte naiv: Ihr habt ja selber keine Schuhe! -- Blitzmädel! brummte Sommer vor sich hin, der sich auf einer Inconsequenz ertappt fühlte. Hast Recht, sagte er laut, ich bin stark und geh' lieber so, du sollst aber Schuh' und Strümpfe haben! -- Wie die Fritze Juliane? die Mutter nicht nachkommen? — Q nein! die wird gar froh sein! — Wie alt bist du! — Zwölf, dreizehn, vierzehn Jahre! lachte Trude. — Du weiß es nicht? — Bei meiner Seele, nein! — Hast Hunger? — Nein, aber Durst, viel Durst! — So komm herein! Er nahm ein Deckelglas, welches noch mit rother Farbe numerirt war, zum Zeichen, daß es sich noch des Schulzen und des alten, lustigen Lebens erinnere, ging zum Troge, welcher im Hofe stand, füllte es mit kristallhellem Wasser und gab ihr zu trinken, während er das Glas am Henkel hielt; sie schlürfte mit langen, durstigen Zügen, und er sah jedem Zuge mit Wohlbehagen bis in die Kehle nach. Zahl's Gott! sagte sie gewohntermaßen, ohne viel Innigkeit im Ausdruck. — Gieb mir das Brod, das du da in der Schürze hast! meinte der Bauer. — Ich darf nicht! muß es der Mutter bringen! — Hast denn vergessen, Trudchen, daß du bei mir bleibst? du kriegst Butter aufs Brod, früh Milch, Mittags Fleisch — er erschrak bei dem Worte, da er sich erinnerte, selbst kaum an Sonntagen einmal Fleisch zu essen; als sie noch immer unschlüssig und zweifelnd sann, fuhr er fort: Und schöne Kleider auf den Leib, Strümpfchen und Schühlein. — Trude blickte auf Sommer's nackte Füße und sagte naiv: Ihr habt ja selber keine Schuhe! — Blitzmädel! brummte Sommer vor sich hin, der sich auf einer Inconsequenz ertappt fühlte. Hast Recht, sagte er laut, ich bin stark und geh' lieber so, du sollst aber Schuh' und Strümpfe haben! — Wie die Fritze Juliane? <TEI> <text> <body> <div n="0"> <p><pb facs="#f0016"/> die Mutter nicht nachkommen? — Q nein! die wird gar froh sein! — Wie alt bist du! — Zwölf, dreizehn, vierzehn Jahre! lachte Trude. — Du weiß es nicht? — Bei meiner Seele, nein! — Hast Hunger? — Nein, aber Durst, viel Durst! — So komm herein! Er nahm ein Deckelglas, welches noch mit rother Farbe numerirt war, zum Zeichen, daß es sich noch des Schulzen und des alten, lustigen Lebens erinnere, ging zum Troge, welcher im Hofe stand, füllte es mit kristallhellem Wasser und gab ihr zu trinken, während er das Glas am Henkel hielt; sie schlürfte mit langen, durstigen Zügen, und er sah jedem Zuge mit Wohlbehagen bis in die Kehle nach. Zahl's Gott! sagte sie gewohntermaßen, ohne viel Innigkeit im Ausdruck. — Gieb mir das Brod, das du da in der Schürze hast! meinte der Bauer. — Ich darf nicht! muß es der Mutter bringen! — Hast denn vergessen, Trudchen, daß du bei mir bleibst? du kriegst Butter aufs Brod, früh Milch, Mittags Fleisch — er erschrak bei dem Worte, da er sich erinnerte, selbst kaum an Sonntagen einmal Fleisch zu essen; als sie noch immer unschlüssig und zweifelnd sann, fuhr er fort: Und schöne Kleider auf den Leib, Strümpfchen und Schühlein. — Trude blickte auf Sommer's nackte Füße und sagte naiv: Ihr habt ja selber keine Schuhe! — Blitzmädel! brummte Sommer vor sich hin, der sich auf einer Inconsequenz ertappt fühlte. Hast Recht, sagte er laut, ich bin stark und geh' lieber so, du sollst aber Schuh' und Strümpfe haben! — Wie die Fritze Juliane?<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0016]
die Mutter nicht nachkommen? — Q nein! die wird gar froh sein! — Wie alt bist du! — Zwölf, dreizehn, vierzehn Jahre! lachte Trude. — Du weiß es nicht? — Bei meiner Seele, nein! — Hast Hunger? — Nein, aber Durst, viel Durst! — So komm herein! Er nahm ein Deckelglas, welches noch mit rother Farbe numerirt war, zum Zeichen, daß es sich noch des Schulzen und des alten, lustigen Lebens erinnere, ging zum Troge, welcher im Hofe stand, füllte es mit kristallhellem Wasser und gab ihr zu trinken, während er das Glas am Henkel hielt; sie schlürfte mit langen, durstigen Zügen, und er sah jedem Zuge mit Wohlbehagen bis in die Kehle nach. Zahl's Gott! sagte sie gewohntermaßen, ohne viel Innigkeit im Ausdruck. — Gieb mir das Brod, das du da in der Schürze hast! meinte der Bauer. — Ich darf nicht! muß es der Mutter bringen! — Hast denn vergessen, Trudchen, daß du bei mir bleibst? du kriegst Butter aufs Brod, früh Milch, Mittags Fleisch — er erschrak bei dem Worte, da er sich erinnerte, selbst kaum an Sonntagen einmal Fleisch zu essen; als sie noch immer unschlüssig und zweifelnd sann, fuhr er fort: Und schöne Kleider auf den Leib, Strümpfchen und Schühlein. — Trude blickte auf Sommer's nackte Füße und sagte naiv: Ihr habt ja selber keine Schuhe! — Blitzmädel! brummte Sommer vor sich hin, der sich auf einer Inconsequenz ertappt fühlte. Hast Recht, sagte er laut, ich bin stark und geh' lieber so, du sollst aber Schuh' und Strümpfe haben! — Wie die Fritze Juliane?
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Zitationshilfe: | Reich, Moses Josef: Mammon im Gebirge. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–45. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/reich_mammon_1910/16>, abgerufen am 16.07.2024. |