Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843.Neuntes Buch. Zweites Capitel. bei die Gefahr die eine Verwerfung desselben nach sich ziehenmöchte: man könne bewirken, daß die Klostergüter, von de- nen sich jetzt Kirchen und Schulen erhalten, ihnen wieder entrissen würden, oder daß gar ein fremdes Kriegsvolk ein- dringe und in Sachsen hause wie in Würtenberg. Vorstel- lungen, die auf die armen Gelehrten, welche an der Wahr- haftigkeit und überlegenen Weltkenntniß dieser Räthe keinen Augenblick zweifelten, den größten Eindruck hervorbrachten. Sie suchten nur den Vorwurf von sich abzulehnen, als seyen sie starrköpfige Leute: vielmehr betheuerten sie, auch sie seyen kaiserlicher Majestät und ihrem gnädigsten Herrn zu unterthänigstem gebührlichem Gehorsam erbötig. Ge- nug sie gaben nach. 1 Eine Formel kam dort in Celle zu Stande, worin die bischöfliche Jurisdiction wiederhergestellt ward, ohne weitere Bedingung, als die ganz allgemeine, das bischöfliche Amt solle nach göttlichem Befehl ausgerich- tet werden; ja der größte Theil der schon abgeschafften Ce- rimonien ward für wieder annehmbar erklärt, Firmelung, Ölung, canonische Gesänge, Lichter, Gefäße, Läuten, fast der ganze Ritus der alten Messe, Fasten, Feiertage. Neh- men wir Rücksicht auf die spätern Äußerungen der Theo- logen, so läßt sich wohl nicht bezweifeln, daß man ihnen hier Vieles so zu sagen über den Kopf weggenommen, ihr Stillschweigen für Übereinstimmung erklärt hat; aber sie 1 Schreiben vom 19 Nov. Das deutsche Original: "wird
schwer seyn bei dem Volk diese beschwerliche Rede zu stillen," wäre dunkel, wenn es nicht durch die lateinische Fassung erklärt würde, AA. Synodica X, x, 4: Consideretis ipsi, quam non difficiles se pastores exhibuerint, - - sed potius faciles, neglectis iniquis ju- diciis et obtrectationibus, quas secuturas esse intelligunt et ut reprimantur difficile esse futurum. Neuntes Buch. Zweites Capitel. bei die Gefahr die eine Verwerfung deſſelben nach ſich ziehenmöchte: man könne bewirken, daß die Kloſtergüter, von de- nen ſich jetzt Kirchen und Schulen erhalten, ihnen wieder entriſſen würden, oder daß gar ein fremdes Kriegsvolk ein- dringe und in Sachſen hauſe wie in Würtenberg. Vorſtel- lungen, die auf die armen Gelehrten, welche an der Wahr- haftigkeit und überlegenen Weltkenntniß dieſer Räthe keinen Augenblick zweifelten, den größten Eindruck hervorbrachten. Sie ſuchten nur den Vorwurf von ſich abzulehnen, als ſeyen ſie ſtarrköpfige Leute: vielmehr betheuerten ſie, auch ſie ſeyen kaiſerlicher Majeſtät und ihrem gnädigſten Herrn zu unterthänigſtem gebührlichem Gehorſam erbötig. Ge- nug ſie gaben nach. 1 Eine Formel kam dort in Celle zu Stande, worin die biſchöfliche Jurisdiction wiederhergeſtellt ward, ohne weitere Bedingung, als die ganz allgemeine, das biſchöfliche Amt ſolle nach göttlichem Befehl ausgerich- tet werden; ja der größte Theil der ſchon abgeſchafften Ce- rimonien ward für wieder annehmbar erklärt, Firmelung, Ölung, canoniſche Geſänge, Lichter, Gefäße, Läuten, faſt der ganze Ritus der alten Meſſe, Faſten, Feiertage. Neh- men wir Rückſicht auf die ſpätern Äußerungen der Theo- logen, ſo läßt ſich wohl nicht bezweifeln, daß man ihnen hier Vieles ſo zu ſagen über den Kopf weggenommen, ihr Stillſchweigen für Übereinſtimmung erklärt hat; aber ſie 1 Schreiben vom 19 Nov. Das deutſche Original: „wird
ſchwer ſeyn bei dem Volk dieſe beſchwerliche Rede zu ſtillen,“ waͤre dunkel, wenn es nicht durch die lateiniſche Faſſung erklaͤrt wuͤrde, AA. Synodica X, x, 4: Consideretis ipsi, quam non difficiles se pastores exhibuerint, ‒ ‒ sed potius faciles, neglectis iniquis ju- diciis et obtrectationibus, quas secuturas esse intelligunt et ut reprimantur difficile esse futurum. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0094" n="82"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Neuntes Buch. Zweites Capitel</hi>.</fw><lb/> bei die Gefahr die eine Verwerfung deſſelben nach ſich ziehen<lb/> möchte: man könne bewirken, daß die Kloſtergüter, von de-<lb/> nen ſich jetzt Kirchen und Schulen erhalten, ihnen wieder<lb/> entriſſen würden, oder daß gar ein fremdes Kriegsvolk ein-<lb/> dringe und in Sachſen hauſe wie in Würtenberg. Vorſtel-<lb/> lungen, die auf die armen Gelehrten, welche an der Wahr-<lb/> haftigkeit und überlegenen Weltkenntniß dieſer Räthe keinen<lb/> Augenblick zweifelten, den größten Eindruck hervorbrachten.<lb/> Sie ſuchten nur den Vorwurf von ſich abzulehnen, als<lb/> ſeyen ſie ſtarrköpfige Leute: vielmehr betheuerten ſie, auch<lb/> ſie ſeyen kaiſerlicher Majeſtät und ihrem gnädigſten Herrn<lb/> zu unterthänigſtem gebührlichem Gehorſam erbötig. Ge-<lb/> nug ſie gaben nach. <note place="foot" n="1">Schreiben vom 19 Nov. Das deutſche Original: „wird<lb/> ſchwer ſeyn bei dem Volk dieſe beſchwerliche Rede zu ſtillen,“ waͤre<lb/> dunkel, wenn es nicht durch die lateiniſche Faſſung erklaͤrt wuͤrde,<lb/><hi rendition="#aq">AA. Synodica X, <hi rendition="#k">x</hi>, 4: Consideretis ipsi, quam non difficiles se<lb/> pastores exhibuerint, ‒ ‒ sed potius faciles, neglectis iniquis ju-<lb/> diciis et obtrectationibus, quas secuturas esse intelligunt et ut<lb/> reprimantur difficile esse futurum.</hi></note> Eine Formel kam dort in Celle zu<lb/> Stande, worin die biſchöfliche Jurisdiction wiederhergeſtellt<lb/> ward, ohne weitere Bedingung, als die ganz allgemeine,<lb/> das biſchöfliche Amt ſolle nach göttlichem Befehl ausgerich-<lb/> tet werden; ja der größte Theil der ſchon abgeſchafften Ce-<lb/> rimonien ward für wieder annehmbar erklärt, Firmelung,<lb/> Ölung, canoniſche Geſänge, Lichter, Gefäße, Läuten, faſt<lb/> der ganze Ritus der alten Meſſe, Faſten, Feiertage. Neh-<lb/> men wir Rückſicht auf die ſpätern Äußerungen der Theo-<lb/> logen, ſo läßt ſich wohl nicht bezweifeln, daß man ihnen<lb/> hier Vieles ſo zu ſagen über den Kopf weggenommen, ihr<lb/> Stillſchweigen für Übereinſtimmung erklärt hat; aber ſie<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [82/0094]
Neuntes Buch. Zweites Capitel.
bei die Gefahr die eine Verwerfung deſſelben nach ſich ziehen
möchte: man könne bewirken, daß die Kloſtergüter, von de-
nen ſich jetzt Kirchen und Schulen erhalten, ihnen wieder
entriſſen würden, oder daß gar ein fremdes Kriegsvolk ein-
dringe und in Sachſen hauſe wie in Würtenberg. Vorſtel-
lungen, die auf die armen Gelehrten, welche an der Wahr-
haftigkeit und überlegenen Weltkenntniß dieſer Räthe keinen
Augenblick zweifelten, den größten Eindruck hervorbrachten.
Sie ſuchten nur den Vorwurf von ſich abzulehnen, als
ſeyen ſie ſtarrköpfige Leute: vielmehr betheuerten ſie, auch
ſie ſeyen kaiſerlicher Majeſtät und ihrem gnädigſten Herrn
zu unterthänigſtem gebührlichem Gehorſam erbötig. Ge-
nug ſie gaben nach. 1 Eine Formel kam dort in Celle zu
Stande, worin die biſchöfliche Jurisdiction wiederhergeſtellt
ward, ohne weitere Bedingung, als die ganz allgemeine,
das biſchöfliche Amt ſolle nach göttlichem Befehl ausgerich-
tet werden; ja der größte Theil der ſchon abgeſchafften Ce-
rimonien ward für wieder annehmbar erklärt, Firmelung,
Ölung, canoniſche Geſänge, Lichter, Gefäße, Läuten, faſt
der ganze Ritus der alten Meſſe, Faſten, Feiertage. Neh-
men wir Rückſicht auf die ſpätern Äußerungen der Theo-
logen, ſo läßt ſich wohl nicht bezweifeln, daß man ihnen
hier Vieles ſo zu ſagen über den Kopf weggenommen, ihr
Stillſchweigen für Übereinſtimmung erklärt hat; aber ſie
1 Schreiben vom 19 Nov. Das deutſche Original: „wird
ſchwer ſeyn bei dem Volk dieſe beſchwerliche Rede zu ſtillen,“ waͤre
dunkel, wenn es nicht durch die lateiniſche Faſſung erklaͤrt wuͤrde,
AA. Synodica X, x, 4: Consideretis ipsi, quam non difficiles se
pastores exhibuerint, ‒ ‒ sed potius faciles, neglectis iniquis ju-
diciis et obtrectationibus, quas secuturas esse intelligunt et ut
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Zitationshilfe: | Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843/94>, abgerufen am 16.02.2025. |