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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843.

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Neuntes Buch. Zweites Capitel.
Märtyrer bewundert und verehrt. Man erzählte sich, bei
der Übergabe jener ablehnenden Erklärung habe ein Donner-
schlag von heiterm Himmel gleichsam das göttliche Wohl-
gefallen bezeugt; man meinte die Gestalt des Churfürsten in
der Luft in den Bildungen der Wolken zu sehen.

Was würde erst geschehen seyn, wenn der Kaiser wirk-
lich, wie man ihm gerathen, den Versuch hätte machen wol-
len die alten kirchlichen Zustände geradehin zurückzuführen.
Er suchte jetzt nur einige Äußerlichkeiten herzustellen, eine
Modification in Lehre und Leben zu Stande zu bringen, in
welcher doch auch protestantische Elemente unverkennbar ent-
halten waren: und doch wurde sein Entwurf mit tiefem
und allgemeinem Widerwillen empfangen. Die Unterwür-
figkeit der besiegten, mit dem Ruin ihrer Städte bedrohten
oder erst jetzt im Gefolge der Niederlage eingesetzten Ma-
gistrate, und einiger schwächern Seelen welche das Exil fürch-
teten, wollte doch wenig sagen. Der protestantische Geist, in
seiner ganzen ursprünglichen Energie, setzte sich dagegen.

Dieser protestantische Geist aber sollte in demselben Au-
genblick einen Angriff erfahren, der ihm noch bei weitem tie-
fer gieng und gefährlicher wurde.

Churfürst Moritz hatte das Interim, wie wir wissen,
nicht geradezu angenommen: er hatte es aber auch nicht ent-
schieden abgelehnt. Er war dem Kaiser und dem König viel
zu sehr verpflichtet, um sich so dringenden Wünschen dersel-
ben zu widersetzen: hatte man ihn doch einst in Eger der
katholischen Messe beiwohnen sehen! Dagegen aber hatte
er seiner Landschaft, welche die protestantischen Doctrinen um
so lebendiger aufgenommen, je länger sie derselben entbehren

Neuntes Buch. Zweites Capitel.
Märtyrer bewundert und verehrt. Man erzählte ſich, bei
der Übergabe jener ablehnenden Erklärung habe ein Donner-
ſchlag von heiterm Himmel gleichſam das göttliche Wohl-
gefallen bezeugt; man meinte die Geſtalt des Churfürſten in
der Luft in den Bildungen der Wolken zu ſehen.

Was würde erſt geſchehen ſeyn, wenn der Kaiſer wirk-
lich, wie man ihm gerathen, den Verſuch hätte machen wol-
len die alten kirchlichen Zuſtände geradehin zurückzuführen.
Er ſuchte jetzt nur einige Äußerlichkeiten herzuſtellen, eine
Modification in Lehre und Leben zu Stande zu bringen, in
welcher doch auch proteſtantiſche Elemente unverkennbar ent-
halten waren: und doch wurde ſein Entwurf mit tiefem
und allgemeinem Widerwillen empfangen. Die Unterwür-
figkeit der beſiegten, mit dem Ruin ihrer Städte bedrohten
oder erſt jetzt im Gefolge der Niederlage eingeſetzten Ma-
giſtrate, und einiger ſchwächern Seelen welche das Exil fürch-
teten, wollte doch wenig ſagen. Der proteſtantiſche Geiſt, in
ſeiner ganzen urſprünglichen Energie, ſetzte ſich dagegen.

Dieſer proteſtantiſche Geiſt aber ſollte in demſelben Au-
genblick einen Angriff erfahren, der ihm noch bei weitem tie-
fer gieng und gefährlicher wurde.

Churfürſt Moritz hatte das Interim, wie wir wiſſen,
nicht geradezu angenommen: er hatte es aber auch nicht ent-
ſchieden abgelehnt. Er war dem Kaiſer und dem König viel
zu ſehr verpflichtet, um ſich ſo dringenden Wünſchen derſel-
ben zu widerſetzen: hatte man ihn doch einſt in Eger der
katholiſchen Meſſe beiwohnen ſehen! Dagegen aber hatte
er ſeiner Landſchaft, welche die proteſtantiſchen Doctrinen um
ſo lebendiger aufgenommen, je länger ſie derſelben entbehren

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[72/0084] Neuntes Buch. Zweites Capitel. Märtyrer bewundert und verehrt. Man erzählte ſich, bei der Übergabe jener ablehnenden Erklärung habe ein Donner- ſchlag von heiterm Himmel gleichſam das göttliche Wohl- gefallen bezeugt; man meinte die Geſtalt des Churfürſten in der Luft in den Bildungen der Wolken zu ſehen. Was würde erſt geſchehen ſeyn, wenn der Kaiſer wirk- lich, wie man ihm gerathen, den Verſuch hätte machen wol- len die alten kirchlichen Zuſtände geradehin zurückzuführen. Er ſuchte jetzt nur einige Äußerlichkeiten herzuſtellen, eine Modification in Lehre und Leben zu Stande zu bringen, in welcher doch auch proteſtantiſche Elemente unverkennbar ent- halten waren: und doch wurde ſein Entwurf mit tiefem und allgemeinem Widerwillen empfangen. Die Unterwür- figkeit der beſiegten, mit dem Ruin ihrer Städte bedrohten oder erſt jetzt im Gefolge der Niederlage eingeſetzten Ma- giſtrate, und einiger ſchwächern Seelen welche das Exil fürch- teten, wollte doch wenig ſagen. Der proteſtantiſche Geiſt, in ſeiner ganzen urſprünglichen Energie, ſetzte ſich dagegen. Dieſer proteſtantiſche Geiſt aber ſollte in demſelben Au- genblick einen Angriff erfahren, der ihm noch bei weitem tie- fer gieng und gefährlicher wurde. Churfürſt Moritz hatte das Interim, wie wir wiſſen, nicht geradezu angenommen: er hatte es aber auch nicht ent- ſchieden abgelehnt. Er war dem Kaiſer und dem König viel zu ſehr verpflichtet, um ſich ſo dringenden Wünſchen derſel- ben zu widerſetzen: hatte man ihn doch einſt in Eger der katholiſchen Meſſe beiwohnen ſehen! Dagegen aber hatte er ſeiner Landſchaft, welche die proteſtantiſchen Doctrinen um ſo lebendiger aufgenommen, je länger ſie derſelben entbehren

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843/84>, abgerufen am 05.05.2024.