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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843.

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Astronomie. (Copernicus.)
sam unter dieser geistigen Atmosphäre, eine der größten Ent-
deckungen hervor die dieß Jahrhundert auszeichnen, die des
wahren Sonnensystems.

Ptolemäus beherrschte, wie die Erdkunde, so auch die
Astronomie: seit vielen Jahrhunderten war er hierin das Ora-
kel von Orient und Occident.

Schon einige Zeit daher aber, nachdem man ihn besser
verstand und wieder eigene Beobachtungen begannen, regten
sich Zweifel gegen seine Unfehlbarkeit. Neue Berechnungen
der Polhöhe verschiedener Städte z. B. wollten mit seinen
Angaben nicht stimmen; aber so groß war die Verehrung für
ihn und die Alten, daß man eher an eine seitdem eingetretene
Veränderung im Weltsysteme als an die Mangelhaftigkeit ih-
rer Beobachtungen glaubte.

Nicolaus Copernicus aus Thorn, Domherr zu Frauen-
burg, -- ein auch in den Staatsgeschäften des dem deut-
schen Orden entrissenen preußischen Landes vielbeschäftigter
Mann -- fand nicht allein die Beobachtungen mangelhaft,
wenigstens so weit sie vorlagen, sondern auch das ganze
System unverständlich und zur Erklärung vieler Erscheinun-
gen unzureichend. Er meinte wohl, die besten Beobachtun-
gen möchten verloren gegangen oder den Hypothesen zu Gun-
sten willkührlich verändert worden seyn; indem er dann in
den Alten weiter forschte, fand er auch Andeutungen eines
ganz andern Systems als des ptolemäischen. 1 Im Alter-
thum war gesagt worden, daß sich die Erde bewege, daß

1 Incertitudinem mathematicarum traditionum cum diu me-
cum revolverem - - hanc mihi operam sumpsi ut omninm philo-
sophorum quos habere possem, libros relegerem - - ac reperi

Aſtronomie. (Copernicus.)
ſam unter dieſer geiſtigen Atmoſphäre, eine der größten Ent-
deckungen hervor die dieß Jahrhundert auszeichnen, die des
wahren Sonnenſyſtems.

Ptolemäus beherrſchte, wie die Erdkunde, ſo auch die
Aſtronomie: ſeit vielen Jahrhunderten war er hierin das Ora-
kel von Orient und Occident.

Schon einige Zeit daher aber, nachdem man ihn beſſer
verſtand und wieder eigene Beobachtungen begannen, regten
ſich Zweifel gegen ſeine Unfehlbarkeit. Neue Berechnungen
der Polhöhe verſchiedener Städte z. B. wollten mit ſeinen
Angaben nicht ſtimmen; aber ſo groß war die Verehrung für
ihn und die Alten, daß man eher an eine ſeitdem eingetretene
Veränderung im Weltſyſteme als an die Mangelhaftigkeit ih-
rer Beobachtungen glaubte.

Nicolaus Copernicus aus Thorn, Domherr zu Frauen-
burg, — ein auch in den Staatsgeſchäften des dem deut-
ſchen Orden entriſſenen preußiſchen Landes vielbeſchäftigter
Mann — fand nicht allein die Beobachtungen mangelhaft,
wenigſtens ſo weit ſie vorlagen, ſondern auch das ganze
Syſtem unverſtändlich und zur Erklärung vieler Erſcheinun-
gen unzureichend. Er meinte wohl, die beſten Beobachtun-
gen möchten verloren gegangen oder den Hypotheſen zu Gun-
ſten willkührlich verändert worden ſeyn; indem er dann in
den Alten weiter forſchte, fand er auch Andeutungen eines
ganz andern Syſtems als des ptolemäiſchen. 1 Im Alter-
thum war geſagt worden, daß ſich die Erde bewege, daß

1 Incertitudinem mathematicarum traditionum cum diu me-
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[485/0497] Aſtronomie. (Copernicus.) ſam unter dieſer geiſtigen Atmoſphäre, eine der größten Ent- deckungen hervor die dieß Jahrhundert auszeichnen, die des wahren Sonnenſyſtems. Ptolemäus beherrſchte, wie die Erdkunde, ſo auch die Aſtronomie: ſeit vielen Jahrhunderten war er hierin das Ora- kel von Orient und Occident. Schon einige Zeit daher aber, nachdem man ihn beſſer verſtand und wieder eigene Beobachtungen begannen, regten ſich Zweifel gegen ſeine Unfehlbarkeit. Neue Berechnungen der Polhöhe verſchiedener Städte z. B. wollten mit ſeinen Angaben nicht ſtimmen; aber ſo groß war die Verehrung für ihn und die Alten, daß man eher an eine ſeitdem eingetretene Veränderung im Weltſyſteme als an die Mangelhaftigkeit ih- rer Beobachtungen glaubte. Nicolaus Copernicus aus Thorn, Domherr zu Frauen- burg, — ein auch in den Staatsgeſchäften des dem deut- ſchen Orden entriſſenen preußiſchen Landes vielbeſchäftigter Mann — fand nicht allein die Beobachtungen mangelhaft, wenigſtens ſo weit ſie vorlagen, ſondern auch das ganze Syſtem unverſtändlich und zur Erklärung vieler Erſcheinun- gen unzureichend. Er meinte wohl, die beſten Beobachtun- gen möchten verloren gegangen oder den Hypotheſen zu Gun- ſten willkührlich verändert worden ſeyn; indem er dann in den Alten weiter forſchte, fand er auch Andeutungen eines ganz andern Syſtems als des ptolemäiſchen. 1 Im Alter- thum war geſagt worden, daß ſich die Erde bewege, daß 1 Incertitudinem mathematicarum traditionum cum diu me- cum revolverem ‒ ‒ hanc mihi operam sumpsi ut omninm philo- sophorum quos habere possem, libros relegerem ‒ ‒ ac reperi

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843, S. 485. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843/497>, abgerufen am 20.05.2024.