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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843.

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Zehntes Buch. Achtes Capitel.
der Natur nachgehn von Land zu Land, da jedes einzelne nur
ein Blatt des großen Buches sey; die Augen, "die an der
Erfahrenheit Lust haben", die seyen die wahren Professoren;
und wie er sonst seinen Widerwillen gegen die Schriftgelehr-
samkeit ausspricht. Auch das was er leistete, ist in neuern
Zeiten wieder mehr zu Ehren gekommen: 1 auf einen Laien,
der seine Bücher durchläuft, macht besonders seine Ansicht
von der fortwirkenden Energie des einmal angeregten Lebens
Eindruck, von der dem Organismus eingebornen und den-
selben von innen her erhaltenden Kraft der Natur. Es lebt in
ihm ein sinnvoller, tiefer und mit seltenen Kenntnissen aus-
gerüsteter Geist, der aber von dem Einen Puncte aus, den
er ergriffen, die Welt zu erobern meint: viel zu weit aus-
greifend, selbstgenügsam, trotzig und phantastisch: wie solche
wohl in der deutschen Nation noch öfter hervorgegangen
sind. Damals war mit der allgemeinen Bewegung der Gei-
ster auch ein Versuch verknüpft, das Joch der Zucht, die
Regel der antiken Disciplin, ja Kirche und Staat von sich
abzuwerfen. Die münzerischen Inspirationen, die sociali-
stischen Versuche der Wiedertäufer und diese paracelsischen
Theorien entsprechen einander sehr gut; vereinigt hätten sie
die Welt umgestaltet. Zur Herrschaft aber konnten sie doch
nicht kommen: dazu waren sie in sich zu verworren und
überladen: sie hätten nur den großen welthistorischen Gang
der Cultur unterbrochen.

In der Medicin war es zunächst, eben wie in andern
Wissenschaften, erforderlich, auf die ächtern Quellen der Be-
lehrung zurückzugehn.


1 Marx Zur Würdigung des Paracelsus, Lessing Leben des
Paracelsus, Schulz Homöobiotik u. A.

Zehntes Buch. Achtes Capitel.
der Natur nachgehn von Land zu Land, da jedes einzelne nur
ein Blatt des großen Buches ſey; die Augen, „die an der
Erfahrenheit Luſt haben“, die ſeyen die wahren Profeſſoren;
und wie er ſonſt ſeinen Widerwillen gegen die Schriftgelehr-
ſamkeit ausſpricht. Auch das was er leiſtete, iſt in neuern
Zeiten wieder mehr zu Ehren gekommen: 1 auf einen Laien,
der ſeine Bücher durchläuft, macht beſonders ſeine Anſicht
von der fortwirkenden Energie des einmal angeregten Lebens
Eindruck, von der dem Organismus eingebornen und den-
ſelben von innen her erhaltenden Kraft der Natur. Es lebt in
ihm ein ſinnvoller, tiefer und mit ſeltenen Kenntniſſen aus-
gerüſteter Geiſt, der aber von dem Einen Puncte aus, den
er ergriffen, die Welt zu erobern meint: viel zu weit aus-
greifend, ſelbſtgenügſam, trotzig und phantaſtiſch: wie ſolche
wohl in der deutſchen Nation noch öfter hervorgegangen
ſind. Damals war mit der allgemeinen Bewegung der Gei-
ſter auch ein Verſuch verknüpft, das Joch der Zucht, die
Regel der antiken Diſciplin, ja Kirche und Staat von ſich
abzuwerfen. Die münzeriſchen Inſpirationen, die ſociali-
ſtiſchen Verſuche der Wiedertäufer und dieſe paracelſiſchen
Theorien entſprechen einander ſehr gut; vereinigt hätten ſie
die Welt umgeſtaltet. Zur Herrſchaft aber konnten ſie doch
nicht kommen: dazu waren ſie in ſich zu verworren und
überladen: ſie hätten nur den großen welthiſtoriſchen Gang
der Cultur unterbrochen.

In der Medicin war es zunächſt, eben wie in andern
Wiſſenſchaften, erforderlich, auf die ächtern Quellen der Be-
lehrung zurückzugehn.


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Paracelſus, Schulz Homoͤobiotik u. A.
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[476/0488] Zehntes Buch. Achtes Capitel. der Natur nachgehn von Land zu Land, da jedes einzelne nur ein Blatt des großen Buches ſey; die Augen, „die an der Erfahrenheit Luſt haben“, die ſeyen die wahren Profeſſoren; und wie er ſonſt ſeinen Widerwillen gegen die Schriftgelehr- ſamkeit ausſpricht. Auch das was er leiſtete, iſt in neuern Zeiten wieder mehr zu Ehren gekommen: 1 auf einen Laien, der ſeine Bücher durchläuft, macht beſonders ſeine Anſicht von der fortwirkenden Energie des einmal angeregten Lebens Eindruck, von der dem Organismus eingebornen und den- ſelben von innen her erhaltenden Kraft der Natur. Es lebt in ihm ein ſinnvoller, tiefer und mit ſeltenen Kenntniſſen aus- gerüſteter Geiſt, der aber von dem Einen Puncte aus, den er ergriffen, die Welt zu erobern meint: viel zu weit aus- greifend, ſelbſtgenügſam, trotzig und phantaſtiſch: wie ſolche wohl in der deutſchen Nation noch öfter hervorgegangen ſind. Damals war mit der allgemeinen Bewegung der Gei- ſter auch ein Verſuch verknüpft, das Joch der Zucht, die Regel der antiken Diſciplin, ja Kirche und Staat von ſich abzuwerfen. Die münzeriſchen Inſpirationen, die ſociali- ſtiſchen Verſuche der Wiedertäufer und dieſe paracelſiſchen Theorien entſprechen einander ſehr gut; vereinigt hätten ſie die Welt umgeſtaltet. Zur Herrſchaft aber konnten ſie doch nicht kommen: dazu waren ſie in ſich zu verworren und überladen: ſie hätten nur den großen welthiſtoriſchen Gang der Cultur unterbrochen. In der Medicin war es zunächſt, eben wie in andern Wiſſenſchaften, erforderlich, auf die ächtern Quellen der Be- lehrung zurückzugehn. 1 Marx Zur Wuͤrdigung des Paracelſus, Leſſing Leben des Paracelſus, Schulz Homoͤobiotik u. A.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843, S. 476. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843/488>, abgerufen am 22.11.2024.