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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843.

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Stellung und Politik Carls V.

Von der Königin Maria, welche das Geheimniß der
kaiserlichen Politik am meisten theilte, haben wir ein Schreiben
aus der Zeit, in der, mitten in großen Gefahren, eine An-
näherung an die Protestanten durchaus nöthig geworden, in
welchem sie dem Kaiser den dringenden Rath giebt darauf
einzugehn; aber bemerken wir wohl: sie fügt hinzu: es
werde wohl Zeit und Gelegenheit kommen anders mit ihnen
zu verfahren. 1

Der Kaiser trat ihnen nun, wie wir wissen, sehr nahe,
aber die Folge zeigte daß er dabei den Vorbehalt künftiger
Feindseligkeit keinen Augenblick aufgegeben hat.

Man könnte nur fragen, ob er da nicht auf der einen
Seite so weit gegangen ist, daß doch sein Vorbehalt nicht
wohl damit bestehn konnte. Wenigstens den Mitgliedern
des schmalkaldischen Bundes blieb keine Ahnung von der noch
fortdauernden Möglichkeit eines feindseligen Verfahrens übrig.

Auch in den spätern Jahren tauchte ein ähnlicher Wider-
spruch auf. Carl hatte mehrere Stände in ihrer "habenden
christlichen Religion" bestätigt, aber dabei doch ihre Unter-
werfung unter das Concilium ausbedungen. Er berief sich
auf ihre, sie beriefen sich auf seine Zusage.

Und wie es nun bei dieser Bewandtniß der Dinge mit
seiner eignen Überzeugung stand?

Die Meinungen Carls V mögen sich in mehreren noch
unentschiedenen Puncten auf den Grenzgebieten beider Lehren
bewegt haben: in der Hauptsache aber kann ich nicht fin-
den, daß er von evangelischen Ansichten irgend wie ergriffen

1 Sie räth ihm user du tems, jusques aurez moyen et op-
portunite d'en faire autrement.
(Schr. o. D. im Br. A.)
Stellung und Politik Carls V.

Von der Königin Maria, welche das Geheimniß der
kaiſerlichen Politik am meiſten theilte, haben wir ein Schreiben
aus der Zeit, in der, mitten in großen Gefahren, eine An-
näherung an die Proteſtanten durchaus nöthig geworden, in
welchem ſie dem Kaiſer den dringenden Rath giebt darauf
einzugehn; aber bemerken wir wohl: ſie fügt hinzu: es
werde wohl Zeit und Gelegenheit kommen anders mit ihnen
zu verfahren. 1

Der Kaiſer trat ihnen nun, wie wir wiſſen, ſehr nahe,
aber die Folge zeigte daß er dabei den Vorbehalt künftiger
Feindſeligkeit keinen Augenblick aufgegeben hat.

Man könnte nur fragen, ob er da nicht auf der einen
Seite ſo weit gegangen iſt, daß doch ſein Vorbehalt nicht
wohl damit beſtehn konnte. Wenigſtens den Mitgliedern
des ſchmalkaldiſchen Bundes blieb keine Ahnung von der noch
fortdauernden Möglichkeit eines feindſeligen Verfahrens übrig.

Auch in den ſpätern Jahren tauchte ein ähnlicher Wider-
ſpruch auf. Carl hatte mehrere Stände in ihrer „habenden
chriſtlichen Religion“ beſtätigt, aber dabei doch ihre Unter-
werfung unter das Concilium ausbedungen. Er berief ſich
auf ihre, ſie beriefen ſich auf ſeine Zuſage.

Und wie es nun bei dieſer Bewandtniß der Dinge mit
ſeiner eignen Überzeugung ſtand?

Die Meinungen Carls V mögen ſich in mehreren noch
unentſchiedenen Puncten auf den Grenzgebieten beider Lehren
bewegt haben: in der Hauptſache aber kann ich nicht fin-
den, daß er von evangeliſchen Anſichten irgend wie ergriffen

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(Schr. o. D. im Br. A.)
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[111/0123] Stellung und Politik Carls V. Von der Königin Maria, welche das Geheimniß der kaiſerlichen Politik am meiſten theilte, haben wir ein Schreiben aus der Zeit, in der, mitten in großen Gefahren, eine An- näherung an die Proteſtanten durchaus nöthig geworden, in welchem ſie dem Kaiſer den dringenden Rath giebt darauf einzugehn; aber bemerken wir wohl: ſie fügt hinzu: es werde wohl Zeit und Gelegenheit kommen anders mit ihnen zu verfahren. 1 Der Kaiſer trat ihnen nun, wie wir wiſſen, ſehr nahe, aber die Folge zeigte daß er dabei den Vorbehalt künftiger Feindſeligkeit keinen Augenblick aufgegeben hat. Man könnte nur fragen, ob er da nicht auf der einen Seite ſo weit gegangen iſt, daß doch ſein Vorbehalt nicht wohl damit beſtehn konnte. Wenigſtens den Mitgliedern des ſchmalkaldiſchen Bundes blieb keine Ahnung von der noch fortdauernden Möglichkeit eines feindſeligen Verfahrens übrig. Auch in den ſpätern Jahren tauchte ein ähnlicher Wider- ſpruch auf. Carl hatte mehrere Stände in ihrer „habenden chriſtlichen Religion“ beſtätigt, aber dabei doch ihre Unter- werfung unter das Concilium ausbedungen. Er berief ſich auf ihre, ſie beriefen ſich auf ſeine Zuſage. Und wie es nun bei dieſer Bewandtniß der Dinge mit ſeiner eignen Überzeugung ſtand? Die Meinungen Carls V mögen ſich in mehreren noch unentſchiedenen Puncten auf den Grenzgebieten beider Lehren bewegt haben: in der Hauptſache aber kann ich nicht fin- den, daß er von evangeliſchen Anſichten irgend wie ergriffen 1 Sie raͤth ihm user du tems, jusques aurez moyen et op- portunité d’en faire autrement. (Schr. o. D. im Br. A.)

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 5. Berlin, 1843, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation05_1843/123>, abgerufen am 04.05.2024.