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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

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Emancipation der Stadt Zürich 1520.
alten und neuen Testamentes zu predigen, zufällige Neue-
rungen und Satzungen fahren zu lassen: eine Anordnung,
welche schon den Abfall von der römischen Kirche in sich
schließt. Man könnte nicht sagen, daß die Sache dem rö-
mischen Hofe unbekannt geblieben sey; es waren ein Paar
päpstliche Nunzien, ein Cardinal der Kirche anwesend, doch
wagten sie nichts dagegen zu thun. Ihr Verfahren zeigt sich
recht an dem Beispiele Zwingli's. Sie versprachen ihm
seine Pension von 50 G. auf 100 G. zu erhöhen, doch sollte
er nicht mehr gegen den Papst predigen. Zwingli hätte die-
ses Zuschusses wohl noch bedurft, aber er lehnte den Vor-
schlag ab. Sie boten ihm hierauf das Jahrgeld auch ohne
diese Bedingung an; allein auch so wollte es Zwingli nicht
mehr annehmen. 1 Den Nunzien lag jedoch mehr an der
Werbung der Mannschaft, mit der sie Mailand zu erobern ge-
dachten, als an allen theologischen Fragen. Obwohl die
Stadt bereits in vollem Abfall begriffen war, so traten sie
doch mit derselben in eben diesem Momente in Bund. "Wir
wurden," sagt Zwingli, "nicht abgefallen abtrünnig geschol-
ten, sondern mit hohen Titeln gepriesen." 2

Da nun hier das Decret von Worms schon an sich
keine Wirkung hatte, und die Repräsentanten des römischen
Stuhles still schwiegen, so konnte die Lehre ungehindert ge-
predigt werden und in den Gemüthern feste Wurzel schlagen.

Die Sache machte erst Aufsehen, als endlich auch die
äußerliche Kirchenordnung verletzt ward, als man im März

1 Uslegung und Gründe der Schlußreden p. 359.
2 Gutachten Zwingli's zur Antwort auf des Papstes Schrei-
ben. Werke Bd. II, Abth. II, p. 393.
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Emancipation der Stadt Zuͤrich 1520.
alten und neuen Teſtamentes zu predigen, zufällige Neue-
rungen und Satzungen fahren zu laſſen: eine Anordnung,
welche ſchon den Abfall von der römiſchen Kirche in ſich
ſchließt. Man könnte nicht ſagen, daß die Sache dem rö-
miſchen Hofe unbekannt geblieben ſey; es waren ein Paar
päpſtliche Nunzien, ein Cardinal der Kirche anweſend, doch
wagten ſie nichts dagegen zu thun. Ihr Verfahren zeigt ſich
recht an dem Beiſpiele Zwingli’s. Sie verſprachen ihm
ſeine Penſion von 50 G. auf 100 G. zu erhöhen, doch ſollte
er nicht mehr gegen den Papſt predigen. Zwingli hätte die-
ſes Zuſchuſſes wohl noch bedurft, aber er lehnte den Vor-
ſchlag ab. Sie boten ihm hierauf das Jahrgeld auch ohne
dieſe Bedingung an; allein auch ſo wollte es Zwingli nicht
mehr annehmen. 1 Den Nunzien lag jedoch mehr an der
Werbung der Mannſchaft, mit der ſie Mailand zu erobern ge-
dachten, als an allen theologiſchen Fragen. Obwohl die
Stadt bereits in vollem Abfall begriffen war, ſo traten ſie
doch mit derſelben in eben dieſem Momente in Bund. „Wir
wurden,“ ſagt Zwingli, „nicht abgefallen abtrünnig geſchol-
ten, ſondern mit hohen Titeln geprieſen.“ 2

Da nun hier das Decret von Worms ſchon an ſich
keine Wirkung hatte, und die Repräſentanten des römiſchen
Stuhles ſtill ſchwiegen, ſo konnte die Lehre ungehindert ge-
predigt werden und in den Gemüthern feſte Wurzel ſchlagen.

Die Sache machte erſt Aufſehen, als endlich auch die
äußerliche Kirchenordnung verletzt ward, als man im März

1 Uslegung und Gruͤnde der Schlußreden p. 359.
2 Gutachten Zwingli’s zur Antwort auf des Papſtes Schrei-
ben. Werke Bd. II, Abth. II, p. 393.
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[67/0083] Emancipation der Stadt Zuͤrich 1520. alten und neuen Teſtamentes zu predigen, zufällige Neue- rungen und Satzungen fahren zu laſſen: eine Anordnung, welche ſchon den Abfall von der römiſchen Kirche in ſich ſchließt. Man könnte nicht ſagen, daß die Sache dem rö- miſchen Hofe unbekannt geblieben ſey; es waren ein Paar päpſtliche Nunzien, ein Cardinal der Kirche anweſend, doch wagten ſie nichts dagegen zu thun. Ihr Verfahren zeigt ſich recht an dem Beiſpiele Zwingli’s. Sie verſprachen ihm ſeine Penſion von 50 G. auf 100 G. zu erhöhen, doch ſollte er nicht mehr gegen den Papſt predigen. Zwingli hätte die- ſes Zuſchuſſes wohl noch bedurft, aber er lehnte den Vor- ſchlag ab. Sie boten ihm hierauf das Jahrgeld auch ohne dieſe Bedingung an; allein auch ſo wollte es Zwingli nicht mehr annehmen. 1 Den Nunzien lag jedoch mehr an der Werbung der Mannſchaft, mit der ſie Mailand zu erobern ge- dachten, als an allen theologiſchen Fragen. Obwohl die Stadt bereits in vollem Abfall begriffen war, ſo traten ſie doch mit derſelben in eben dieſem Momente in Bund. „Wir wurden,“ ſagt Zwingli, „nicht abgefallen abtrünnig geſchol- ten, ſondern mit hohen Titeln geprieſen.“ 2 Da nun hier das Decret von Worms ſchon an ſich keine Wirkung hatte, und die Repräſentanten des römiſchen Stuhles ſtill ſchwiegen, ſo konnte die Lehre ungehindert ge- predigt werden und in den Gemüthern feſte Wurzel ſchlagen. Die Sache machte erſt Aufſehen, als endlich auch die äußerliche Kirchenordnung verletzt ward, als man im März 1 Uslegung und Gruͤnde der Schlußreden p. 359. 2 Gutachten Zwingli’s zur Antwort auf des Papſtes Schrei- ben. Werke Bd. II, Abth. II, p. 393. 5*

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/83>, abgerufen am 24.11.2024.