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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

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Jan Bockelsohn von Leiden.
war er in Lissabon, in Leiden und Lübeck auf der Wan-
derschaft gewesen und hatte sich endlich zu Leiden nieder-
gelassen, nahe am Thor, wo der Weg nach dem Haag
führt. Da hatte er jedoch nicht lange Gefallen an sei-
nem Handwerk gefunden, vielmehr es vorgezogen mit sei-
ner Frau eine muntere Herberge zu eröffnen, Bier und
Wein zu schenken. Außerdem war sein Ehrgeiz, in dem
poetischen Verein, den Leiden so gut wie die meisten an-
dern niederländischen Städte besaß, der Kammer van Rhe-
toryke, zu glänzen. Seine Refereyne flossen am leichtesten;
seine Schüler lernten am geschwindesten; in den Schau-
spielen, die er entwarf, spielte er wohl selbst eine Rolle;
schon da mag er sich mit dem Geist der Opposition ge-
gen die Kirche durchdrungen haben, der den rhetorischen
Kammern überhaupt eigen war. So traf ihn die Bewe-
gung der Wiedertäufer und riß ihn an sich. Er erwarb
sich gar bald eine ziemliche Kunde der heiligen Schrift,
wobei er aber, wie diese autodidaktischen Handwerksleute
pflegten, nationale und religiöse Elemente völlig vermischte,
und was er mit feuriger Imagination ergriffen, mit allen
zufälligen Nebenbeziehungen auf die gegenwärtige Welt
anwandte. Er besaß eine glückliche äußere Bildung, na-
türliche Wohlredenheit, Feuer und Jugend; 1 schon un-
ter Matthys spielte er eine Rolle; als dieser gefallen (er
behauptete es vorhergesagt zu haben), trat er an seine Stelle.

1 "Doch find ich von jenem im Truck ausgangen, daß er von
Angesicht, Person, Gestalt, Vernunft ein redsprech, rahtweiß anschle-
gig, an Behendigkeit unerschrockenem stolzen Gemüt von künen Ta-
ten und Anschlegen ein edel wohlgeschickt und wunderbarlich Mann
sey gewesen." Sebastian Frank die andere Chronik 266.
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Jan Bockelſohn von Leiden.
war er in Liſſabon, in Leiden und Lübeck auf der Wan-
derſchaft geweſen und hatte ſich endlich zu Leiden nieder-
gelaſſen, nahe am Thor, wo der Weg nach dem Haag
führt. Da hatte er jedoch nicht lange Gefallen an ſei-
nem Handwerk gefunden, vielmehr es vorgezogen mit ſei-
ner Frau eine muntere Herberge zu eröffnen, Bier und
Wein zu ſchenken. Außerdem war ſein Ehrgeiz, in dem
poetiſchen Verein, den Leiden ſo gut wie die meiſten an-
dern niederländiſchen Städte beſaß, der Kammer van Rhe-
toryke, zu glänzen. Seine Refereyne floſſen am leichteſten;
ſeine Schüler lernten am geſchwindeſten; in den Schau-
ſpielen, die er entwarf, ſpielte er wohl ſelbſt eine Rolle;
ſchon da mag er ſich mit dem Geiſt der Oppoſition ge-
gen die Kirche durchdrungen haben, der den rhetoriſchen
Kammern überhaupt eigen war. So traf ihn die Bewe-
gung der Wiedertäufer und riß ihn an ſich. Er erwarb
ſich gar bald eine ziemliche Kunde der heiligen Schrift,
wobei er aber, wie dieſe autodidaktiſchen Handwerksleute
pflegten, nationale und religiöſe Elemente völlig vermiſchte,
und was er mit feuriger Imagination ergriffen, mit allen
zufälligen Nebenbeziehungen auf die gegenwärtige Welt
anwandte. Er beſaß eine glückliche äußere Bildung, na-
türliche Wohlredenheit, Feuer und Jugend; 1 ſchon un-
ter Matthys ſpielte er eine Rolle; als dieſer gefallen (er
behauptete es vorhergeſagt zu haben), trat er an ſeine Stelle.

1 „Doch find ich von jenem im Truck ausgangen, daß er von
Angeſicht, Perſon, Geſtalt, Vernunft ein redſprech, rahtweiß anſchle-
gig, an Behendigkeit unerſchrockenem ſtolzen Gemuͤt von kuͤnen Ta-
ten und Anſchlegen ein edel wohlgeſchickt und wunderbarlich Mann
ſey geweſen.“ Sebaſtian Frank die andere Chronik 266.
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[531/0547] Jan Bockelſohn von Leiden. war er in Liſſabon, in Leiden und Lübeck auf der Wan- derſchaft geweſen und hatte ſich endlich zu Leiden nieder- gelaſſen, nahe am Thor, wo der Weg nach dem Haag führt. Da hatte er jedoch nicht lange Gefallen an ſei- nem Handwerk gefunden, vielmehr es vorgezogen mit ſei- ner Frau eine muntere Herberge zu eröffnen, Bier und Wein zu ſchenken. Außerdem war ſein Ehrgeiz, in dem poetiſchen Verein, den Leiden ſo gut wie die meiſten an- dern niederländiſchen Städte beſaß, der Kammer van Rhe- toryke, zu glänzen. Seine Refereyne floſſen am leichteſten; ſeine Schüler lernten am geſchwindeſten; in den Schau- ſpielen, die er entwarf, ſpielte er wohl ſelbſt eine Rolle; ſchon da mag er ſich mit dem Geiſt der Oppoſition ge- gen die Kirche durchdrungen haben, der den rhetoriſchen Kammern überhaupt eigen war. So traf ihn die Bewe- gung der Wiedertäufer und riß ihn an ſich. Er erwarb ſich gar bald eine ziemliche Kunde der heiligen Schrift, wobei er aber, wie dieſe autodidaktiſchen Handwerksleute pflegten, nationale und religiöſe Elemente völlig vermiſchte, und was er mit feuriger Imagination ergriffen, mit allen zufälligen Nebenbeziehungen auf die gegenwärtige Welt anwandte. Er beſaß eine glückliche äußere Bildung, na- türliche Wohlredenheit, Feuer und Jugend; 1 ſchon un- ter Matthys ſpielte er eine Rolle; als dieſer gefallen (er behauptete es vorhergeſagt zu haben), trat er an ſeine Stelle. 1 „Doch find ich von jenem im Truck ausgangen, daß er von Angeſicht, Perſon, Geſtalt, Vernunft ein redſprech, rahtweiß anſchle- gig, an Behendigkeit unerſchrockenem ſtolzen Gemuͤt von kuͤnen Ta- ten und Anſchlegen ein edel wohlgeſchickt und wunderbarlich Mann ſey geweſen.“ Sebaſtian Frank die andere Chronik 266. 34*

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 531. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/547>, abgerufen am 22.11.2024.