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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

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Apokalyptische Erwartungen.
täufer ihre Prophezeiungen an. Sie verkündigten, schon
seyen die Boten Gottes in der Welt, um die Auserwähl-
ten Gottes mit dem Bundeszeichen zu versiegeln. Sey
die Zeit gekommen, so werde die Schaar der Versiegelten sich
von den vier Enden der Welt versammeln, dann werde
Christus ihr König unter sie treten und ihnen das Schwert
in die Hand geben. Alle Gottlosen werde man vertilgen;
den Auserwählten aber sey ein neues seliges Leben beschie-
den, ohne Gesetze, noch Obrigkeit, noch Ehe, in der Fülle
des Ueberflusses. 1

Wir sehen wohl: die Wiedertäufer gingen von Grund-
lehren aus, die bald mehr von mystischer, bald mehr von
rationalistischer Tendenz waren; immer aber trafen sie in
dem Bedürfniß engster Vereinigung und dem stolzen Ge-
fühl des Auserwähltseyns zusammen; was dann sofort zu
überschwenglichen sinnlich messianischen Hoffnungen führte.
Neu war es nicht, was sie vorbrachten. Es waren im
Grunde nur dieselben Versprechungen, die der Talmud den
gläubigen Juden macht; daß am Ende der Tage alle
Völker vertilgt werden oder den Auserwählten dienen und
diese Gerechten nun in ihrer Herrlichkeit Behemoth und
Leviathan schmausen sollen. Aber die allgemeine Gährung
der Gemüther bewirkte, daß sie damit doch eine gewisse
Wirkung hervorbrachten. Sie wendeten sich dieß mal nicht
an die Bauern sondern an die Handwerker. Die mühe-
vollen, aber dem Geiste doch zu einer gewissen Beschaulich-
keit Raum lassenden, dunkeln Werkstätten wurden plötzlich

1 Der Widertäuffer lere und geheimniß aus h. Schrift wi-
derlegt, durch Justum Menium; in Luthers Werken Wittenb. Aus-
gabe II, 262.
33*

Apokalyptiſche Erwartungen.
täufer ihre Prophezeiungen an. Sie verkündigten, ſchon
ſeyen die Boten Gottes in der Welt, um die Auserwähl-
ten Gottes mit dem Bundeszeichen zu verſiegeln. Sey
die Zeit gekommen, ſo werde die Schaar der Verſiegelten ſich
von den vier Enden der Welt verſammeln, dann werde
Chriſtus ihr König unter ſie treten und ihnen das Schwert
in die Hand geben. Alle Gottloſen werde man vertilgen;
den Auserwählten aber ſey ein neues ſeliges Leben beſchie-
den, ohne Geſetze, noch Obrigkeit, noch Ehe, in der Fülle
des Ueberfluſſes. 1

Wir ſehen wohl: die Wiedertäufer gingen von Grund-
lehren aus, die bald mehr von myſtiſcher, bald mehr von
rationaliſtiſcher Tendenz waren; immer aber trafen ſie in
dem Bedürfniß engſter Vereinigung und dem ſtolzen Ge-
fühl des Auserwähltſeyns zuſammen; was dann ſofort zu
überſchwenglichen ſinnlich meſſianiſchen Hoffnungen führte.
Neu war es nicht, was ſie vorbrachten. Es waren im
Grunde nur dieſelben Verſprechungen, die der Talmud den
gläubigen Juden macht; daß am Ende der Tage alle
Völker vertilgt werden oder den Auserwählten dienen und
dieſe Gerechten nun in ihrer Herrlichkeit Behemoth und
Leviathan ſchmauſen ſollen. Aber die allgemeine Gährung
der Gemüther bewirkte, daß ſie damit doch eine gewiſſe
Wirkung hervorbrachten. Sie wendeten ſich dieß mal nicht
an die Bauern ſondern an die Handwerker. Die mühe-
vollen, aber dem Geiſte doch zu einer gewiſſen Beſchaulich-
keit Raum laſſenden, dunkeln Werkſtätten wurden plötzlich

1 Der Widertaͤuffer lere und geheimniß aus h. Schrift wi-
derlegt, durch Juſtum Menium; in Luthers Werken Wittenb. Aus-
gabe II, 262.
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[515/0531] Apokalyptiſche Erwartungen. täufer ihre Prophezeiungen an. Sie verkündigten, ſchon ſeyen die Boten Gottes in der Welt, um die Auserwähl- ten Gottes mit dem Bundeszeichen zu verſiegeln. Sey die Zeit gekommen, ſo werde die Schaar der Verſiegelten ſich von den vier Enden der Welt verſammeln, dann werde Chriſtus ihr König unter ſie treten und ihnen das Schwert in die Hand geben. Alle Gottloſen werde man vertilgen; den Auserwählten aber ſey ein neues ſeliges Leben beſchie- den, ohne Geſetze, noch Obrigkeit, noch Ehe, in der Fülle des Ueberfluſſes. 1 Wir ſehen wohl: die Wiedertäufer gingen von Grund- lehren aus, die bald mehr von myſtiſcher, bald mehr von rationaliſtiſcher Tendenz waren; immer aber trafen ſie in dem Bedürfniß engſter Vereinigung und dem ſtolzen Ge- fühl des Auserwähltſeyns zuſammen; was dann ſofort zu überſchwenglichen ſinnlich meſſianiſchen Hoffnungen führte. Neu war es nicht, was ſie vorbrachten. Es waren im Grunde nur dieſelben Verſprechungen, die der Talmud den gläubigen Juden macht; daß am Ende der Tage alle Völker vertilgt werden oder den Auserwählten dienen und dieſe Gerechten nun in ihrer Herrlichkeit Behemoth und Leviathan ſchmauſen ſollen. Aber die allgemeine Gährung der Gemüther bewirkte, daß ſie damit doch eine gewiſſe Wirkung hervorbrachten. Sie wendeten ſich dieß mal nicht an die Bauern ſondern an die Handwerker. Die mühe- vollen, aber dem Geiſte doch zu einer gewiſſen Beſchaulich- keit Raum laſſenden, dunkeln Werkſtätten wurden plötzlich 1 Der Widertaͤuffer lere und geheimniß aus h. Schrift wi- derlegt, durch Juſtum Menium; in Luthers Werken Wittenb. Aus- gabe II, 262. 33*

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 515. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/531>, abgerufen am 22.11.2024.