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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

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Ref. in d. niederdeutsch. Städten. Braunschw.
von. Nun hatte sich auch hier eingeführt, daß die Pfar-
rer, welche die Pfründe genossen, das Amt der Predigt ge-
mietheten jungen Leuten überließen, die man Heuerpfaffen
nannte. Man darf sich in der That nicht wundern, wenn
diese sich größtentheils zur Neuerung hielten, an die Bür-
gerschaft anschlossen. Zuweilen stimmte wohl einer von
ihnen selbst statt des Hymnus zum Lobe der Maria eins
von jenen neuen deutschen Liedern an, in welches dann die
Gemeinde feurig einfiel.

Schon wollte diese keine Predigten von anderm Inhalt
mehr dulden. Scholastische Demonstrationen wurden mit
Tumult unterbrochen; unrichtige Citate aus der Schrift aus
der Gemeinde her mit lautem Eifer berichtigt. Die Klerisei
berief einen der angesehensten altgesinnten Prediger, den man
in diesen Gegenden kannte, der in Behandlung dieser
Streitfragen schon geübt war, Dr. Sprengel; hier aber ver-
mochte derselbe nichts auszurichten; beim Schluß seiner Pre-
digt rief ihm ein Bürger zu: "Pfaffe du lügst" und stimmte
das neue lutherische Lied an, "ach Gott vom Himmel sieh
darein," was die Gemeinde freudig nachsang.

Die Pfarrer wußten am Ende kein anderes Mittel,
als daß sie den Rath ersuchten, sie ihrer abgefallenen Ver-
weser wieder zu entledigen.

Aber eben darum schloß sich die Gemeinde nur desto
enger an diese an. Stadt und Vorstädte vereinigten sich,
ernannten Verordnete, an deren Spitze einer der Führer
der ganzen Bewegung, Autor Sander trat, ein Mann, der
noch jener ältern literarischen Richtung der Neuerung an-
gehörte; sie ersuchten nun ihrerseits den Rath, die Pfarrer
zu entfernen.


Ref. in d. niederdeutſch. Staͤdten. Braunſchw.
von. Nun hatte ſich auch hier eingeführt, daß die Pfar-
rer, welche die Pfründe genoſſen, das Amt der Predigt ge-
mietheten jungen Leuten überließen, die man Heuerpfaffen
nannte. Man darf ſich in der That nicht wundern, wenn
dieſe ſich größtentheils zur Neuerung hielten, an die Bür-
gerſchaft anſchloſſen. Zuweilen ſtimmte wohl einer von
ihnen ſelbſt ſtatt des Hymnus zum Lobe der Maria eins
von jenen neuen deutſchen Liedern an, in welches dann die
Gemeinde feurig einfiel.

Schon wollte dieſe keine Predigten von anderm Inhalt
mehr dulden. Scholaſtiſche Demonſtrationen wurden mit
Tumult unterbrochen; unrichtige Citate aus der Schrift aus
der Gemeinde her mit lautem Eifer berichtigt. Die Kleriſei
berief einen der angeſehenſten altgeſinnten Prediger, den man
in dieſen Gegenden kannte, der in Behandlung dieſer
Streitfragen ſchon geübt war, Dr. Sprengel; hier aber ver-
mochte derſelbe nichts auszurichten; beim Schluß ſeiner Pre-
digt rief ihm ein Bürger zu: „Pfaffe du lügſt“ und ſtimmte
das neue lutheriſche Lied an, „ach Gott vom Himmel ſieh
darein,“ was die Gemeinde freudig nachſang.

Die Pfarrer wußten am Ende kein anderes Mittel,
als daß ſie den Rath erſuchten, ſie ihrer abgefallenen Ver-
weſer wieder zu entledigen.

Aber eben darum ſchloß ſich die Gemeinde nur deſto
enger an dieſe an. Stadt und Vorſtädte vereinigten ſich,
ernannten Verordnete, an deren Spitze einer der Führer
der ganzen Bewegung, Autor Sander trat, ein Mann, der
noch jener ältern literariſchen Richtung der Neuerung an-
gehörte; ſie erſuchten nun ihrerſeits den Rath, die Pfarrer
zu entfernen.


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[379/0395] Ref. in d. niederdeutſch. Staͤdten. Braunſchw. von. Nun hatte ſich auch hier eingeführt, daß die Pfar- rer, welche die Pfründe genoſſen, das Amt der Predigt ge- mietheten jungen Leuten überließen, die man Heuerpfaffen nannte. Man darf ſich in der That nicht wundern, wenn dieſe ſich größtentheils zur Neuerung hielten, an die Bür- gerſchaft anſchloſſen. Zuweilen ſtimmte wohl einer von ihnen ſelbſt ſtatt des Hymnus zum Lobe der Maria eins von jenen neuen deutſchen Liedern an, in welches dann die Gemeinde feurig einfiel. Schon wollte dieſe keine Predigten von anderm Inhalt mehr dulden. Scholaſtiſche Demonſtrationen wurden mit Tumult unterbrochen; unrichtige Citate aus der Schrift aus der Gemeinde her mit lautem Eifer berichtigt. Die Kleriſei berief einen der angeſehenſten altgeſinnten Prediger, den man in dieſen Gegenden kannte, der in Behandlung dieſer Streitfragen ſchon geübt war, Dr. Sprengel; hier aber ver- mochte derſelbe nichts auszurichten; beim Schluß ſeiner Pre- digt rief ihm ein Bürger zu: „Pfaffe du lügſt“ und ſtimmte das neue lutheriſche Lied an, „ach Gott vom Himmel ſieh darein,“ was die Gemeinde freudig nachſang. Die Pfarrer wußten am Ende kein anderes Mittel, als daß ſie den Rath erſuchten, ſie ihrer abgefallenen Ver- weſer wieder zu entledigen. Aber eben darum ſchloß ſich die Gemeinde nur deſto enger an dieſe an. Stadt und Vorſtädte vereinigten ſich, ernannten Verordnete, an deren Spitze einer der Führer der ganzen Bewegung, Autor Sander trat, ein Mann, der noch jener ältern literariſchen Richtung der Neuerung an- gehörte; ſie erſuchten nun ihrerſeits den Rath, die Pfarrer zu entfernen.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 379. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/395>, abgerufen am 24.11.2024.