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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

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Vermittelungsvers. zwischen d. prot. Parteien.
Methode zu eigen gemacht, das Wesentliche und Nothwen-
dige von dem Minder-Wesentlichen und Zufälligen zu un-
terscheiden. 1 Indem er nun das einfache Wesen zwei ein-
ander entgegenstehender Behauptungen verglich, fand er wohl
einen dritten Moment, der dieselben wieder vereinigte. Butzer
steht in dem Rufe einer nicht immer ganz zu rechtfertigen-
den Beugsamkeit. Die Meisten urtheilen, er habe den For-
derungen der Umstände zuweilen mehr als billig nachgege-
ben. Unläugbar ist, daß seine Vermittelungsversuche zu-
gleich auf einem ächten Bedürfniß des Friedens und in-
nerlichem Nachdenken beruhen: in ihm selber haben sie alle
mögliche Wahrhaftigkeit. Für feinere Auffassung fremder
Ideen und Weiterbildung derselben, man möchte sagen, für
secundäre Production, besaß er ein unzweifelhaftes Talent.

Anfangs hatte Butzer in den Ausdrücken Luthers vom
Abendmahl, wie er selbst einmal sagt, nichts als eine neue
Verbrotung Christi gesehn; allein bei einem tiefern Studium,
namentlich des großen Bekenntnisses vom Abendmahl war
ihm klar geworden, daß sich das nicht so verhalte; schon
in einer Schrift vom Jahr 1528 macht er darauf aufmerk-
sam, wie Luthers Sinn im Grunde weit ein anderer sey,
als man meine. 2 In dieser Ansicht bestärkte ihn das
Gespräch von Marburg.


1 Adami Vitae theologorum 102.
2 Fragment eines Schreibens von Butzer an die Brüder in
Chur bei Röhrich II, 135. Recht bezeichnend ist auch das Schrei-
ben an Blaurer ibid. p. 275. Dum ipsi (Lutherani) veram prae-
sentiam tueri voluerunt, -- iis verbis eam affirmarunt, quae si
ad vim exiges, localem statuunt. Contra nostri dum localem vo-
luerunt negare sic locuti sunt, ut visi sint Christum coena pror-
sus excludere.

Vermittelungsverſ. zwiſchen d. prot. Parteien.
Methode zu eigen gemacht, das Weſentliche und Nothwen-
dige von dem Minder-Weſentlichen und Zufälligen zu un-
terſcheiden. 1 Indem er nun das einfache Weſen zwei ein-
ander entgegenſtehender Behauptungen verglich, fand er wohl
einen dritten Moment, der dieſelben wieder vereinigte. Butzer
ſteht in dem Rufe einer nicht immer ganz zu rechtfertigen-
den Beugſamkeit. Die Meiſten urtheilen, er habe den For-
derungen der Umſtände zuweilen mehr als billig nachgege-
ben. Unläugbar iſt, daß ſeine Vermittelungsverſuche zu-
gleich auf einem ächten Bedürfniß des Friedens und in-
nerlichem Nachdenken beruhen: in ihm ſelber haben ſie alle
mögliche Wahrhaftigkeit. Für feinere Auffaſſung fremder
Ideen und Weiterbildung derſelben, man möchte ſagen, für
ſecundäre Production, beſaß er ein unzweifelhaftes Talent.

Anfangs hatte Butzer in den Ausdrücken Luthers vom
Abendmahl, wie er ſelbſt einmal ſagt, nichts als eine neue
Verbrotung Chriſti geſehn; allein bei einem tiefern Studium,
namentlich des großen Bekenntniſſes vom Abendmahl war
ihm klar geworden, daß ſich das nicht ſo verhalte; ſchon
in einer Schrift vom Jahr 1528 macht er darauf aufmerk-
ſam, wie Luthers Sinn im Grunde weit ein anderer ſey,
als man meine. 2 In dieſer Anſicht beſtärkte ihn das
Geſpräch von Marburg.


1 Adami Vitae theologorum 102.
2 Fragment eines Schreibens von Butzer an die Bruͤder in
Chur bei Roͤhrich II, 135. Recht bezeichnend iſt auch das Schrei-
ben an Blaurer ibid. p. 275. Dum ipsi (Lutherani) veram prae-
sentiam tueri voluerunt, — iis verbis eam affirmarunt, quae si
ad vim exiges, localem statuunt. Contra nostri dum localem vo-
luerunt negare sic locuti sunt, ut visi sint Christum coena pror-
sus excludere.
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[343/0359] Vermittelungsverſ. zwiſchen d. prot. Parteien. Methode zu eigen gemacht, das Weſentliche und Nothwen- dige von dem Minder-Weſentlichen und Zufälligen zu un- terſcheiden. 1 Indem er nun das einfache Weſen zwei ein- ander entgegenſtehender Behauptungen verglich, fand er wohl einen dritten Moment, der dieſelben wieder vereinigte. Butzer ſteht in dem Rufe einer nicht immer ganz zu rechtfertigen- den Beugſamkeit. Die Meiſten urtheilen, er habe den For- derungen der Umſtände zuweilen mehr als billig nachgege- ben. Unläugbar iſt, daß ſeine Vermittelungsverſuche zu- gleich auf einem ächten Bedürfniß des Friedens und in- nerlichem Nachdenken beruhen: in ihm ſelber haben ſie alle mögliche Wahrhaftigkeit. Für feinere Auffaſſung fremder Ideen und Weiterbildung derſelben, man möchte ſagen, für ſecundäre Production, beſaß er ein unzweifelhaftes Talent. Anfangs hatte Butzer in den Ausdrücken Luthers vom Abendmahl, wie er ſelbſt einmal ſagt, nichts als eine neue Verbrotung Chriſti geſehn; allein bei einem tiefern Studium, namentlich des großen Bekenntniſſes vom Abendmahl war ihm klar geworden, daß ſich das nicht ſo verhalte; ſchon in einer Schrift vom Jahr 1528 macht er darauf aufmerk- ſam, wie Luthers Sinn im Grunde weit ein anderer ſey, als man meine. 2 In dieſer Anſicht beſtärkte ihn das Geſpräch von Marburg. 1 Adami Vitae theologorum 102. 2 Fragment eines Schreibens von Butzer an die Bruͤder in Chur bei Roͤhrich II, 135. Recht bezeichnend iſt auch das Schrei- ben an Blaurer ibid. p. 275. Dum ipsi (Lutherani) veram prae- sentiam tueri voluerunt, — iis verbis eam affirmarunt, quae si ad vim exiges, localem statuunt. Contra nostri dum localem vo- luerunt negare sic locuti sunt, ut visi sint Christum coena pror- sus excludere.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/359>, abgerufen am 17.05.2024.