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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

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Sechstes Buch.
anfangs zu stützen gedacht, die sich aber wieder an Rom
angeschlossen, sie nun ebenfalls mit ihrem Unfrieden, und
dadurch mit Krieg und Verderben bedrohte.

Betrachten wir die Evangelischen allein, mit ihren ge-
ringfügigen durch innere Entzweiungen noch dazu gelähmten
territorialen Kräften, der bei weitem größern Anzahl der
Stände, dem mächtigen Kaiser und der vereinigten lateini-
schen Christenheit gegenüber, so mußten sie, so bald es zu
ernstlichem Kampfe kam, ohne Rettung verloren scheinen.

Eben darin liegt das vornehmste Ereigniß des Reichs-
tags zu Augsburg, daß sie im Angesicht dieser Gefahr sich
doch entschlossen, den einmal gewonnenen religiösen Stand-
punkt, dessen Bedeutung ihre Seele erfüllte, nicht wieder
zu verlassen.

Wovon geht überhaupt alles aus, was ächtes Leben
hat, als von der moralischen Energie, die ihrer selbst ge-
wiß, entweder die Welt in freier Thätigkeit zu durchdringen
trachtet, oder den feindseligen Kräften wenigstens einen un-
überwindlichen Widerstand entgegenstellt?

So wie nun aber einmal dieser Entschluß gefaßt wor-
den, so war auch, wenn man um sich her sah, bei aller
Ueberlegenheit der Gegner, die Sache, die man vertheidigte,
doch mit nichten verloren.

Vor allem lag die reformatorische Tendenz nun einmal
in der Nothwendigkeit der Dinge, und hatte auch außerhalb
der bereits eingenommenen Gebiete unzählige Anhänger; die
Kraft des Prinzipes, das die Protestirenden vertheidigten,
mußte ihnen ohne alles ihr Zuthun zu Hülfe kommen.

Sodann war das gesammte germanisch-romanische

Sechstes Buch.
anfangs zu ſtützen gedacht, die ſich aber wieder an Rom
angeſchloſſen, ſie nun ebenfalls mit ihrem Unfrieden, und
dadurch mit Krieg und Verderben bedrohte.

Betrachten wir die Evangeliſchen allein, mit ihren ge-
ringfügigen durch innere Entzweiungen noch dazu gelähmten
territorialen Kräften, der bei weitem größern Anzahl der
Stände, dem mächtigen Kaiſer und der vereinigten lateini-
ſchen Chriſtenheit gegenüber, ſo mußten ſie, ſo bald es zu
ernſtlichem Kampfe kam, ohne Rettung verloren ſcheinen.

Eben darin liegt das vornehmſte Ereigniß des Reichs-
tags zu Augsburg, daß ſie im Angeſicht dieſer Gefahr ſich
doch entſchloſſen, den einmal gewonnenen religiöſen Stand-
punkt, deſſen Bedeutung ihre Seele erfüllte, nicht wieder
zu verlaſſen.

Wovon geht überhaupt alles aus, was ächtes Leben
hat, als von der moraliſchen Energie, die ihrer ſelbſt ge-
wiß, entweder die Welt in freier Thätigkeit zu durchdringen
trachtet, oder den feindſeligen Kräften wenigſtens einen un-
überwindlichen Widerſtand entgegenſtellt?

So wie nun aber einmal dieſer Entſchluß gefaßt wor-
den, ſo war auch, wenn man um ſich her ſah, bei aller
Ueberlegenheit der Gegner, die Sache, die man vertheidigte,
doch mit nichten verloren.

Vor allem lag die reformatoriſche Tendenz nun einmal
in der Nothwendigkeit der Dinge, und hatte auch außerhalb
der bereits eingenommenen Gebiete unzählige Anhänger; die
Kraft des Prinzipes, das die Proteſtirenden vertheidigten,
mußte ihnen ohne alles ihr Zuthun zu Hülfe kommen.

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[300/0316] Sechstes Buch. anfangs zu ſtützen gedacht, die ſich aber wieder an Rom angeſchloſſen, ſie nun ebenfalls mit ihrem Unfrieden, und dadurch mit Krieg und Verderben bedrohte. Betrachten wir die Evangeliſchen allein, mit ihren ge- ringfügigen durch innere Entzweiungen noch dazu gelähmten territorialen Kräften, der bei weitem größern Anzahl der Stände, dem mächtigen Kaiſer und der vereinigten lateini- ſchen Chriſtenheit gegenüber, ſo mußten ſie, ſo bald es zu ernſtlichem Kampfe kam, ohne Rettung verloren ſcheinen. Eben darin liegt das vornehmſte Ereigniß des Reichs- tags zu Augsburg, daß ſie im Angeſicht dieſer Gefahr ſich doch entſchloſſen, den einmal gewonnenen religiöſen Stand- punkt, deſſen Bedeutung ihre Seele erfüllte, nicht wieder zu verlaſſen. Wovon geht überhaupt alles aus, was ächtes Leben hat, als von der moraliſchen Energie, die ihrer ſelbſt ge- wiß, entweder die Welt in freier Thätigkeit zu durchdringen trachtet, oder den feindſeligen Kräften wenigſtens einen un- überwindlichen Widerſtand entgegenſtellt? So wie nun aber einmal dieſer Entſchluß gefaßt wor- den, ſo war auch, wenn man um ſich her ſah, bei aller Ueberlegenheit der Gegner, die Sache, die man vertheidigte, doch mit nichten verloren. Vor allem lag die reformatoriſche Tendenz nun einmal in der Nothwendigkeit der Dinge, und hatte auch außerhalb der bereits eingenommenen Gebiete unzählige Anhänger; die Kraft des Prinzipes, das die Proteſtirenden vertheidigten, mußte ihnen ohne alles ihr Zuthun zu Hülfe kommen. Sodann war das geſammte germaniſch-romaniſche

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/316>, abgerufen am 22.11.2024.