Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Fünftes Buch. Achtes Capitel.
was ihm bevorstehe. Ein mit dem Hofe sehr vertrauter
Fürst erklärte ihm eines Tages, werde er sich nicht fü-
gen, so werde ihn der Kaiser mit gewaffneter Hand an-
greifen, ihn von Land und Leuten verjagen, an seiner Per-
son das äußerste Recht vollstrecken. 1

Der Churfürst zweifelte nicht, daß es dahin kommen
könne. In großer Bewegung kam er nach Hause; er zeigte
sich entsetzt, daß er entweder die erkannte Wahrheit ver-
läugnen müsse, oder sich mit den Seinen in ein unvermeid-
liches Verderben stürzen werde.

Luther versichert, hätte er gewankt, so würde keiner
seiner Räthe festgehalten haben.

Allein eben das entschied ihn, daß er sich die Frage,
die ihm vorgelegt ward, in ihrer ganzen schneidenden Schärfe
vorlegte. Entweder Gott verläugnen oder die Welt, sagte
er: wer kann zweifeln, was das Beste sey? -- Gott hat
mich zu einem Churfürsten des Reichs gemacht, was ich
niemals werth geworden bin: er mache ferner aus mir,
was ihm gefällt.

Was in seiner Seele vorging, zeigt unter anderm ein
Traum, den er in dieser Zeit hatte. Es ergriff ihn jene
Beklemmung, in welcher der Mensch unter einer seine Brust
niederdrückenden Last zu vergehen meint. Er glaubte, er

1 Müller Geschichte der Protestation p. 715. Wie verbreitet
Besorgnisse dieser Art waren, davon zeugt unter andern eine Nach-
richt, welche Zwingli Anfang 1530 aus Venedig bekam, darin die
Absichten des Kaisers geschildert wurden: der Kaiser wolle Herzog
Jörgen von Sachsen an Herzog Hansen (bringen), "dem er seinen
Stand, daß er nicht mehr ein wählender Fürst sey, zu nehmen und
Herzog Jörgen zu geben, unterstehen wird." Archiv für schweiz.
Geschichte I, p. 278.

Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel.
was ihm bevorſtehe. Ein mit dem Hofe ſehr vertrauter
Fürſt erklärte ihm eines Tages, werde er ſich nicht fü-
gen, ſo werde ihn der Kaiſer mit gewaffneter Hand an-
greifen, ihn von Land und Leuten verjagen, an ſeiner Per-
ſon das äußerſte Recht vollſtrecken. 1

Der Churfürſt zweifelte nicht, daß es dahin kommen
könne. In großer Bewegung kam er nach Hauſe; er zeigte
ſich entſetzt, daß er entweder die erkannte Wahrheit ver-
läugnen müſſe, oder ſich mit den Seinen in ein unvermeid-
liches Verderben ſtürzen werde.

Luther verſichert, hätte er gewankt, ſo würde keiner
ſeiner Räthe feſtgehalten haben.

Allein eben das entſchied ihn, daß er ſich die Frage,
die ihm vorgelegt ward, in ihrer ganzen ſchneidenden Schärfe
vorlegte. Entweder Gott verläugnen oder die Welt, ſagte
er: wer kann zweifeln, was das Beſte ſey? — Gott hat
mich zu einem Churfürſten des Reichs gemacht, was ich
niemals werth geworden bin: er mache ferner aus mir,
was ihm gefällt.

Was in ſeiner Seele vorging, zeigt unter anderm ein
Traum, den er in dieſer Zeit hatte. Es ergriff ihn jene
Beklemmung, in welcher der Menſch unter einer ſeine Bruſt
niederdrückenden Laſt zu vergehen meint. Er glaubte, er

1 Muͤller Geſchichte der Proteſtation p. 715. Wie verbreitet
Beſorgniſſe dieſer Art waren, davon zeugt unter andern eine Nach-
richt, welche Zwingli Anfang 1530 aus Venedig bekam, darin die
Abſichten des Kaiſers geſchildert wurden: der Kaiſer wolle Herzog
Joͤrgen von Sachſen an Herzog Hanſen (bringen), „dem er ſeinen
Stand, daß er nicht mehr ein waͤhlender Fuͤrſt ſey, zu nehmen und
Herzog Joͤrgen zu geben, unterſtehen wird.“ Archiv fuͤr ſchweiz.
Geſchichte I, p. 278.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0280" n="264"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Fu&#x0364;nftes Buch. Achtes Capitel</hi>.</fw><lb/>
was ihm bevor&#x017F;tehe. Ein mit dem Hofe &#x017F;ehr vertrauter<lb/>
Für&#x017F;t erklärte ihm eines Tages, werde er &#x017F;ich nicht fü-<lb/>
gen, &#x017F;o werde ihn der Kai&#x017F;er mit gewaffneter Hand an-<lb/>
greifen, ihn von Land und Leuten verjagen, an &#x017F;einer Per-<lb/>
&#x017F;on das äußer&#x017F;te Recht voll&#x017F;trecken. <note place="foot" n="1">Mu&#x0364;ller Ge&#x017F;chichte der Prote&#x017F;tation <hi rendition="#aq">p.</hi> 715. Wie verbreitet<lb/>
Be&#x017F;orgni&#x017F;&#x017F;e die&#x017F;er Art waren, davon zeugt unter andern eine Nach-<lb/>
richt, welche Zwingli Anfang 1530 aus Venedig bekam, darin die<lb/>
Ab&#x017F;ichten des Kai&#x017F;ers ge&#x017F;childert wurden: der Kai&#x017F;er wolle Herzog<lb/>
Jo&#x0364;rgen von Sach&#x017F;en an Herzog Han&#x017F;en (bringen), &#x201E;dem er &#x017F;einen<lb/>
Stand, daß er nicht mehr ein wa&#x0364;hlender Fu&#x0364;r&#x017F;t &#x017F;ey, zu nehmen und<lb/>
Herzog Jo&#x0364;rgen zu geben, unter&#x017F;tehen wird.&#x201C; Archiv fu&#x0364;r &#x017F;chweiz.<lb/>
Ge&#x017F;chichte <hi rendition="#aq">I, p.</hi> 278.</note></p><lb/>
            <p>Der Churfür&#x017F;t zweifelte nicht, daß es dahin kommen<lb/>
könne. In großer Bewegung kam er nach Hau&#x017F;e; er zeigte<lb/>
&#x017F;ich ent&#x017F;etzt, daß er entweder die erkannte Wahrheit ver-<lb/>
läugnen mü&#x017F;&#x017F;e, oder &#x017F;ich mit den Seinen in ein unvermeid-<lb/>
liches Verderben &#x017F;türzen werde.</p><lb/>
            <p>Luther ver&#x017F;ichert, hätte er gewankt, &#x017F;o würde keiner<lb/>
&#x017F;einer Räthe fe&#x017F;tgehalten haben.</p><lb/>
            <p>Allein eben das ent&#x017F;chied ihn, daß er &#x017F;ich die Frage,<lb/>
die ihm vorgelegt ward, in ihrer ganzen &#x017F;chneidenden Schärfe<lb/>
vorlegte. Entweder Gott verläugnen oder die Welt, &#x017F;agte<lb/>
er: wer kann zweifeln, was das Be&#x017F;te &#x017F;ey? &#x2014; Gott hat<lb/>
mich zu einem Churfür&#x017F;ten des Reichs gemacht, was ich<lb/>
niemals werth geworden bin: er mache ferner aus mir,<lb/>
was ihm gefällt.</p><lb/>
            <p>Was in &#x017F;einer Seele vorging, zeigt unter anderm ein<lb/>
Traum, den er in die&#x017F;er Zeit hatte. Es ergriff ihn jene<lb/>
Beklemmung, in welcher der Men&#x017F;ch unter einer &#x017F;eine Bru&#x017F;t<lb/>
niederdrückenden La&#x017F;t zu vergehen meint. Er glaubte, er<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[264/0280] Fuͤnftes Buch. Achtes Capitel. was ihm bevorſtehe. Ein mit dem Hofe ſehr vertrauter Fürſt erklärte ihm eines Tages, werde er ſich nicht fü- gen, ſo werde ihn der Kaiſer mit gewaffneter Hand an- greifen, ihn von Land und Leuten verjagen, an ſeiner Per- ſon das äußerſte Recht vollſtrecken. 1 Der Churfürſt zweifelte nicht, daß es dahin kommen könne. In großer Bewegung kam er nach Hauſe; er zeigte ſich entſetzt, daß er entweder die erkannte Wahrheit ver- läugnen müſſe, oder ſich mit den Seinen in ein unvermeid- liches Verderben ſtürzen werde. Luther verſichert, hätte er gewankt, ſo würde keiner ſeiner Räthe feſtgehalten haben. Allein eben das entſchied ihn, daß er ſich die Frage, die ihm vorgelegt ward, in ihrer ganzen ſchneidenden Schärfe vorlegte. Entweder Gott verläugnen oder die Welt, ſagte er: wer kann zweifeln, was das Beſte ſey? — Gott hat mich zu einem Churfürſten des Reichs gemacht, was ich niemals werth geworden bin: er mache ferner aus mir, was ihm gefällt. Was in ſeiner Seele vorging, zeigt unter anderm ein Traum, den er in dieſer Zeit hatte. Es ergriff ihn jene Beklemmung, in welcher der Menſch unter einer ſeine Bruſt niederdrückenden Laſt zu vergehen meint. Er glaubte, er 1 Muͤller Geſchichte der Proteſtation p. 715. Wie verbreitet Beſorgniſſe dieſer Art waren, davon zeugt unter andern eine Nach- richt, welche Zwingli Anfang 1530 aus Venedig bekam, darin die Abſichten des Kaiſers geſchildert wurden: der Kaiſer wolle Herzog Joͤrgen von Sachſen an Herzog Hanſen (bringen), „dem er ſeinen Stand, daß er nicht mehr ein waͤhlender Fuͤrſt ſey, zu nehmen und Herzog Joͤrgen zu geben, unterſtehen wird.“ Archiv fuͤr ſchweiz. Geſchichte I, p. 278.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/280
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/280>, abgerufen am 24.11.2024.