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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840.

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Haltung der Protestanten.

Dahin kam es in wenig Monaten mit dem Bündniß,
das Europa erschüttern zu müssen geschienen. Es war ganz
aufgelöst. Selbst die territoriale Verbindung schien gegen
den Kaiser nicht schützen zu können. Wir sehen, daß die
Einzelnen ihm einzeln noch einmal gegenübertreten zu müs-
sen glaubten.

Man mag das tadeln wenn man will, wie es so oft
getadelt worden ist. Politisch-klug war es nicht.

Allein nie trat wohl die reine Gewissenhaftigkeit rück-
sichtsloser, großartiger hervor.

Man sieht den Feind gerüstet herannahen, man ver-
nimmt sein Drohen, man täuscht sich nicht über seine Ab-
sichten, man ist fast überzeugt, daß er das Aeußerste ver-
suchen werde.

Auch hätte man Gelegenheit einen Bund gegen ihn zu
errichten, der Europa erschüttern, an dessen Spitze man
dem zur Weltherrschaft Aufstrebenden mächtig gegenübertre-
ten, das Glück herausfordern könnte; allein man will das
nicht, man verschmäht es.

Und zwar nicht etwa aus Furcht, aus Zweifel an der
eignen Tüchtigkeit. Das sind Rücksichten, welche diese See-
len nicht kennen. Man thut es nicht, ganz allein aus Religion.

Einmal, man will die Vertheidigung des Glaubens
nicht mit andern fremdartigen Interessen vereinigen; man
will sich nicht zu Dingen, die man nicht übersehen kann,
fortreißen lassen.

Ferner aber, man will nur den Glauben, den man
selber glaubt, vertheidigen; man würde zu sündigen fürch-
ten, wenn man sich mit Denen verbände, welche, wenn

Haltung der Proteſtanten.

Dahin kam es in wenig Monaten mit dem Bündniß,
das Europa erſchüttern zu müſſen geſchienen. Es war ganz
aufgelöſt. Selbſt die territoriale Verbindung ſchien gegen
den Kaiſer nicht ſchützen zu können. Wir ſehen, daß die
Einzelnen ihm einzeln noch einmal gegenübertreten zu müſ-
ſen glaubten.

Man mag das tadeln wenn man will, wie es ſo oft
getadelt worden iſt. Politiſch-klug war es nicht.

Allein nie trat wohl die reine Gewiſſenhaftigkeit rück-
ſichtsloſer, großartiger hervor.

Man ſieht den Feind gerüſtet herannahen, man ver-
nimmt ſein Drohen, man täuſcht ſich nicht über ſeine Ab-
ſichten, man iſt faſt überzeugt, daß er das Aeußerſte ver-
ſuchen werde.

Auch hätte man Gelegenheit einen Bund gegen ihn zu
errichten, der Europa erſchüttern, an deſſen Spitze man
dem zur Weltherrſchaft Aufſtrebenden mächtig gegenübertre-
ten, das Glück herausfordern könnte; allein man will das
nicht, man verſchmäht es.

Und zwar nicht etwa aus Furcht, aus Zweifel an der
eignen Tüchtigkeit. Das ſind Rückſichten, welche dieſe See-
len nicht kennen. Man thut es nicht, ganz allein aus Religion.

Einmal, man will die Vertheidigung des Glaubens
nicht mit andern fremdartigen Intereſſen vereinigen; man
will ſich nicht zu Dingen, die man nicht überſehen kann,
fortreißen laſſen.

Ferner aber, man will nur den Glauben, den man
ſelber glaubt, vertheidigen; man würde zu ſündigen fürch-
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[185/0201] Haltung der Proteſtanten. Dahin kam es in wenig Monaten mit dem Bündniß, das Europa erſchüttern zu müſſen geſchienen. Es war ganz aufgelöſt. Selbſt die territoriale Verbindung ſchien gegen den Kaiſer nicht ſchützen zu können. Wir ſehen, daß die Einzelnen ihm einzeln noch einmal gegenübertreten zu müſ- ſen glaubten. Man mag das tadeln wenn man will, wie es ſo oft getadelt worden iſt. Politiſch-klug war es nicht. Allein nie trat wohl die reine Gewiſſenhaftigkeit rück- ſichtsloſer, großartiger hervor. Man ſieht den Feind gerüſtet herannahen, man ver- nimmt ſein Drohen, man täuſcht ſich nicht über ſeine Ab- ſichten, man iſt faſt überzeugt, daß er das Aeußerſte ver- ſuchen werde. Auch hätte man Gelegenheit einen Bund gegen ihn zu errichten, der Europa erſchüttern, an deſſen Spitze man dem zur Weltherrſchaft Aufſtrebenden mächtig gegenübertre- ten, das Glück herausfordern könnte; allein man will das nicht, man verſchmäht es. Und zwar nicht etwa aus Furcht, aus Zweifel an der eignen Tüchtigkeit. Das ſind Rückſichten, welche dieſe See- len nicht kennen. Man thut es nicht, ganz allein aus Religion. Einmal, man will die Vertheidigung des Glaubens nicht mit andern fremdartigen Intereſſen vereinigen; man will ſich nicht zu Dingen, die man nicht überſehen kann, fortreißen laſſen. Ferner aber, man will nur den Glauben, den man ſelber glaubt, vertheidigen; man würde zu ſündigen fürch- ten, wenn man ſich mit Denen verbände, welche, wenn

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/201>, abgerufen am 03.05.2024.