Dahin kam es in wenig Monaten mit dem Bündniß, das Europa erschüttern zu müssen geschienen. Es war ganz aufgelöst. Selbst die territoriale Verbindung schien gegen den Kaiser nicht schützen zu können. Wir sehen, daß die Einzelnen ihm einzeln noch einmal gegenübertreten zu müs- sen glaubten.
Man mag das tadeln wenn man will, wie es so oft getadelt worden ist. Politisch-klug war es nicht.
Allein nie trat wohl die reine Gewissenhaftigkeit rück- sichtsloser, großartiger hervor.
Man sieht den Feind gerüstet herannahen, man ver- nimmt sein Drohen, man täuscht sich nicht über seine Ab- sichten, man ist fast überzeugt, daß er das Aeußerste ver- suchen werde.
Auch hätte man Gelegenheit einen Bund gegen ihn zu errichten, der Europa erschüttern, an dessen Spitze man dem zur Weltherrschaft Aufstrebenden mächtig gegenübertre- ten, das Glück herausfordern könnte; allein man will das nicht, man verschmäht es.
Und zwar nicht etwa aus Furcht, aus Zweifel an der eignen Tüchtigkeit. Das sind Rücksichten, welche diese See- len nicht kennen. Man thut es nicht, ganz allein aus Religion.
Einmal, man will die Vertheidigung des Glaubens nicht mit andern fremdartigen Interessen vereinigen; man will sich nicht zu Dingen, die man nicht übersehen kann, fortreißen lassen.
Ferner aber, man will nur den Glauben, den man selber glaubt, vertheidigen; man würde zu sündigen fürch- ten, wenn man sich mit Denen verbände, welche, wenn
Haltung der Proteſtanten.
Dahin kam es in wenig Monaten mit dem Bündniß, das Europa erſchüttern zu müſſen geſchienen. Es war ganz aufgelöſt. Selbſt die territoriale Verbindung ſchien gegen den Kaiſer nicht ſchützen zu können. Wir ſehen, daß die Einzelnen ihm einzeln noch einmal gegenübertreten zu müſ- ſen glaubten.
Man mag das tadeln wenn man will, wie es ſo oft getadelt worden iſt. Politiſch-klug war es nicht.
Allein nie trat wohl die reine Gewiſſenhaftigkeit rück- ſichtsloſer, großartiger hervor.
Man ſieht den Feind gerüſtet herannahen, man ver- nimmt ſein Drohen, man täuſcht ſich nicht über ſeine Ab- ſichten, man iſt faſt überzeugt, daß er das Aeußerſte ver- ſuchen werde.
Auch hätte man Gelegenheit einen Bund gegen ihn zu errichten, der Europa erſchüttern, an deſſen Spitze man dem zur Weltherrſchaft Aufſtrebenden mächtig gegenübertre- ten, das Glück herausfordern könnte; allein man will das nicht, man verſchmäht es.
Und zwar nicht etwa aus Furcht, aus Zweifel an der eignen Tüchtigkeit. Das ſind Rückſichten, welche dieſe See- len nicht kennen. Man thut es nicht, ganz allein aus Religion.
Einmal, man will die Vertheidigung des Glaubens nicht mit andern fremdartigen Intereſſen vereinigen; man will ſich nicht zu Dingen, die man nicht überſehen kann, fortreißen laſſen.
Ferner aber, man will nur den Glauben, den man ſelber glaubt, vertheidigen; man würde zu ſündigen fürch- ten, wenn man ſich mit Denen verbände, welche, wenn
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0201"n="185"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Haltung der Proteſtanten</hi>.</fw><lb/><p>Dahin kam es in wenig Monaten mit dem Bündniß,<lb/>
das Europa erſchüttern zu müſſen geſchienen. Es war ganz<lb/>
aufgelöſt. Selbſt die territoriale Verbindung ſchien gegen<lb/>
den Kaiſer nicht ſchützen zu können. Wir ſehen, daß die<lb/>
Einzelnen ihm einzeln noch einmal gegenübertreten zu müſ-<lb/>ſen glaubten.</p><lb/><p>Man mag das tadeln wenn man will, wie es ſo oft<lb/>
getadelt worden iſt. Politiſch-klug war es nicht.</p><lb/><p>Allein nie trat wohl die reine Gewiſſenhaftigkeit rück-<lb/>ſichtsloſer, großartiger hervor.</p><lb/><p>Man ſieht den Feind gerüſtet herannahen, man ver-<lb/>
nimmt ſein Drohen, man täuſcht ſich nicht über ſeine Ab-<lb/>ſichten, man iſt faſt überzeugt, daß er das Aeußerſte ver-<lb/>ſuchen werde.</p><lb/><p>Auch hätte man Gelegenheit einen Bund gegen ihn zu<lb/>
errichten, der Europa erſchüttern, an deſſen Spitze man<lb/>
dem zur Weltherrſchaft Aufſtrebenden mächtig gegenübertre-<lb/>
ten, das Glück herausfordern könnte; allein man will das<lb/>
nicht, man verſchmäht es.</p><lb/><p>Und zwar nicht etwa aus Furcht, aus Zweifel an der<lb/>
eignen Tüchtigkeit. Das ſind Rückſichten, welche dieſe See-<lb/>
len nicht kennen. Man thut es nicht, ganz allein aus Religion.</p><lb/><p>Einmal, man will die Vertheidigung des Glaubens<lb/>
nicht mit andern fremdartigen Intereſſen vereinigen; man<lb/>
will ſich nicht zu Dingen, die man nicht überſehen kann,<lb/>
fortreißen laſſen.</p><lb/><p>Ferner aber, man will nur den Glauben, den man<lb/>ſelber glaubt, vertheidigen; man würde zu ſündigen fürch-<lb/>
ten, wenn man ſich mit Denen verbände, welche, wenn<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[185/0201]
Haltung der Proteſtanten.
Dahin kam es in wenig Monaten mit dem Bündniß,
das Europa erſchüttern zu müſſen geſchienen. Es war ganz
aufgelöſt. Selbſt die territoriale Verbindung ſchien gegen
den Kaiſer nicht ſchützen zu können. Wir ſehen, daß die
Einzelnen ihm einzeln noch einmal gegenübertreten zu müſ-
ſen glaubten.
Man mag das tadeln wenn man will, wie es ſo oft
getadelt worden iſt. Politiſch-klug war es nicht.
Allein nie trat wohl die reine Gewiſſenhaftigkeit rück-
ſichtsloſer, großartiger hervor.
Man ſieht den Feind gerüſtet herannahen, man ver-
nimmt ſein Drohen, man täuſcht ſich nicht über ſeine Ab-
ſichten, man iſt faſt überzeugt, daß er das Aeußerſte ver-
ſuchen werde.
Auch hätte man Gelegenheit einen Bund gegen ihn zu
errichten, der Europa erſchüttern, an deſſen Spitze man
dem zur Weltherrſchaft Aufſtrebenden mächtig gegenübertre-
ten, das Glück herausfordern könnte; allein man will das
nicht, man verſchmäht es.
Und zwar nicht etwa aus Furcht, aus Zweifel an der
eignen Tüchtigkeit. Das ſind Rückſichten, welche dieſe See-
len nicht kennen. Man thut es nicht, ganz allein aus Religion.
Einmal, man will die Vertheidigung des Glaubens
nicht mit andern fremdartigen Intereſſen vereinigen; man
will ſich nicht zu Dingen, die man nicht überſehen kann,
fortreißen laſſen.
Ferner aber, man will nur den Glauben, den man
ſelber glaubt, vertheidigen; man würde zu ſündigen fürch-
ten, wenn man ſich mit Denen verbände, welche, wenn
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 3. Berlin, 1840, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation03_1840/201>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.