Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

Entwurf eines Grenzzollsystemes.
ßen könne oder nicht, und weder auf Preußen noch auf
Liefland hatte man Rücksicht genommen; aber alles das be-
trifft nur Modalitäten, die erst bei der Ausführung fest
angeordnet werden konnten: mit der Hauptsache nahm man
es sehr ernstlich, und war darüber entschieden.

Es liegt in der Natur der Menschen, daß der gesammte
Handelsstand dadurch beeinträchtigt zu werden glaubte,
den Entwurf nur von der Ungunst herleitete, die er über-
haupt erfuhr, und sich in tausend mehr oder minder ge-
gründeten Einwendungen vernehmen ließ. Man suchte sie
ihm ausführlich zu widerlegen. Man machte auf das Bei-
spiel benachbarter Reiche aufmerksam, wo die Beschwerun-
gen bei weitem stärker seyen und dennoch Handel und
Wandel auf das beste gedeihe. Man bemerkte, daß die
Steuer ja keineswegs auf die Handelsleute falle, sondern
auf die Käufer, die Verbrauchenden; dem Handel selbst
werde es zum größten Vortheil gereichen wenn mit Hülfe
dieser Steuer den Unordnungen im Reiche endlich abgehol-
fen, allgemeine Sicherheit eingeführt werden könne.

Und das ist wenigstens nicht zu leugnen, daß dieser
Entwurf die großartigsten Aussichten für die Zukunft von
Deutschland in sich schloß. Es war schon überaus nütz-
lich, genau bestimmte und beaufsichtigte Grenzen zu ha-
ben, deren gesammter Umkreis in enger Beziehung zu ei-
nem lebendigen Mittelpuncte gestanden hätte: das Bewußt-
seyn der Einheit des Reiches mußte dadurch an jeder
Stelle belebt werden. Aber auch das gesammte Staatswesen
hätte einen andern Charakter bekommen. Das Reichs-
regiment, die wichtigste vaterländische Institution, an der

Entwurf eines Grenzzollſyſtemes.
ßen könne oder nicht, und weder auf Preußen noch auf
Liefland hatte man Rückſicht genommen; aber alles das be-
trifft nur Modalitäten, die erſt bei der Ausführung feſt
angeordnet werden konnten: mit der Hauptſache nahm man
es ſehr ernſtlich, und war darüber entſchieden.

Es liegt in der Natur der Menſchen, daß der geſammte
Handelsſtand dadurch beeinträchtigt zu werden glaubte,
den Entwurf nur von der Ungunſt herleitete, die er über-
haupt erfuhr, und ſich in tauſend mehr oder minder ge-
gründeten Einwendungen vernehmen ließ. Man ſuchte ſie
ihm ausführlich zu widerlegen. Man machte auf das Bei-
ſpiel benachbarter Reiche aufmerkſam, wo die Beſchwerun-
gen bei weitem ſtärker ſeyen und dennoch Handel und
Wandel auf das beſte gedeihe. Man bemerkte, daß die
Steuer ja keineswegs auf die Handelsleute falle, ſondern
auf die Käufer, die Verbrauchenden; dem Handel ſelbſt
werde es zum größten Vortheil gereichen wenn mit Hülfe
dieſer Steuer den Unordnungen im Reiche endlich abgehol-
fen, allgemeine Sicherheit eingeführt werden könne.

Und das iſt wenigſtens nicht zu leugnen, daß dieſer
Entwurf die großartigſten Ausſichten für die Zukunft von
Deutſchland in ſich ſchloß. Es war ſchon überaus nütz-
lich, genau beſtimmte und beaufſichtigte Grenzen zu ha-
ben, deren geſammter Umkreis in enger Beziehung zu ei-
nem lebendigen Mittelpuncte geſtanden hätte: das Bewußt-
ſeyn der Einheit des Reiches mußte dadurch an jeder
Stelle belebt werden. Aber auch das geſammte Staatsweſen
hätte einen andern Charakter bekommen. Das Reichs-
regiment, die wichtigſte vaterländiſche Inſtitution, an der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0057" n="47"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Entwurf eines Grenzzoll&#x017F;y&#x017F;temes</hi>.</fw><lb/>
ßen könne oder nicht, und weder auf Preußen noch auf<lb/>
Liefland hatte man Rück&#x017F;icht genommen; aber alles das be-<lb/>
trifft nur Modalitäten, die er&#x017F;t bei der Ausführung fe&#x017F;t<lb/>
angeordnet werden konnten: mit der Haupt&#x017F;ache nahm man<lb/>
es &#x017F;ehr ern&#x017F;tlich, und war darüber ent&#x017F;chieden.</p><lb/>
          <p>Es liegt in der Natur der Men&#x017F;chen, daß der ge&#x017F;ammte<lb/>
Handels&#x017F;tand dadurch beeinträchtigt zu werden glaubte,<lb/>
den Entwurf nur von der Ungun&#x017F;t herleitete, die er über-<lb/>
haupt erfuhr, und &#x017F;ich in tau&#x017F;end mehr oder minder ge-<lb/>
gründeten Einwendungen vernehmen ließ. Man &#x017F;uchte &#x017F;ie<lb/>
ihm ausführlich zu widerlegen. Man machte auf das Bei-<lb/>
&#x017F;piel benachbarter Reiche aufmerk&#x017F;am, wo die Be&#x017F;chwerun-<lb/>
gen bei weitem &#x017F;tärker &#x017F;eyen und dennoch Handel und<lb/>
Wandel auf das be&#x017F;te gedeihe. Man bemerkte, daß die<lb/>
Steuer ja keineswegs auf die Handelsleute falle, &#x017F;ondern<lb/>
auf die Käufer, die Verbrauchenden; dem Handel &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
werde es zum größten Vortheil gereichen wenn mit Hülfe<lb/>
die&#x017F;er Steuer den Unordnungen im Reiche endlich abgehol-<lb/>
fen, allgemeine Sicherheit eingeführt werden könne.</p><lb/>
          <p>Und das i&#x017F;t wenig&#x017F;tens nicht zu leugnen, daß die&#x017F;er<lb/>
Entwurf die großartig&#x017F;ten Aus&#x017F;ichten für die Zukunft von<lb/>
Deut&#x017F;chland in &#x017F;ich &#x017F;chloß. Es war &#x017F;chon überaus nütz-<lb/>
lich, genau be&#x017F;timmte und beauf&#x017F;ichtigte Grenzen zu ha-<lb/>
ben, deren ge&#x017F;ammter Umkreis in enger Beziehung zu ei-<lb/>
nem lebendigen Mittelpuncte ge&#x017F;tanden hätte: das Bewußt-<lb/>
&#x017F;eyn der Einheit des Reiches mußte dadurch an jeder<lb/>
Stelle belebt werden. Aber auch das ge&#x017F;ammte Staatswe&#x017F;en<lb/>
hätte einen andern Charakter bekommen. Das Reichs-<lb/>
regiment, die wichtig&#x017F;te vaterländi&#x017F;che In&#x017F;titution, an der<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[47/0057] Entwurf eines Grenzzollſyſtemes. ßen könne oder nicht, und weder auf Preußen noch auf Liefland hatte man Rückſicht genommen; aber alles das be- trifft nur Modalitäten, die erſt bei der Ausführung feſt angeordnet werden konnten: mit der Hauptſache nahm man es ſehr ernſtlich, und war darüber entſchieden. Es liegt in der Natur der Menſchen, daß der geſammte Handelsſtand dadurch beeinträchtigt zu werden glaubte, den Entwurf nur von der Ungunſt herleitete, die er über- haupt erfuhr, und ſich in tauſend mehr oder minder ge- gründeten Einwendungen vernehmen ließ. Man ſuchte ſie ihm ausführlich zu widerlegen. Man machte auf das Bei- ſpiel benachbarter Reiche aufmerkſam, wo die Beſchwerun- gen bei weitem ſtärker ſeyen und dennoch Handel und Wandel auf das beſte gedeihe. Man bemerkte, daß die Steuer ja keineswegs auf die Handelsleute falle, ſondern auf die Käufer, die Verbrauchenden; dem Handel ſelbſt werde es zum größten Vortheil gereichen wenn mit Hülfe dieſer Steuer den Unordnungen im Reiche endlich abgehol- fen, allgemeine Sicherheit eingeführt werden könne. Und das iſt wenigſtens nicht zu leugnen, daß dieſer Entwurf die großartigſten Ausſichten für die Zukunft von Deutſchland in ſich ſchloß. Es war ſchon überaus nütz- lich, genau beſtimmte und beaufſichtigte Grenzen zu ha- ben, deren geſammter Umkreis in enger Beziehung zu ei- nem lebendigen Mittelpuncte geſtanden hätte: das Bewußt- ſeyn der Einheit des Reiches mußte dadurch an jeder Stelle belebt werden. Aber auch das geſammte Staatsweſen hätte einen andern Charakter bekommen. Das Reichs- regiment, die wichtigſte vaterländiſche Inſtitution, an der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/57
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/57>, abgerufen am 07.05.2024.