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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839.

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Viertes Buch. Fünftes Capitel.
Markgrafthümern, und einer ganzen Anzahl von Städten
war die neue Lehre zur Herrschaft gelangt, und durchdrang
die Populationen, deren eingeborner Sinn eine natürliche Ver-
wandtschaft damit hatte. Um sich die ursprünglichen Gesichts-
puncte positiver und negativer Art wieder zu vergegenwär-
tigen, sollte man einmal die Bekenntnißschriften zusammen-
stellen, die schon jetzt an so vielen Orten erschienen: die Arti-
kel der sächsisch-hessischen und besonders der brandenburgisch-
nürnbergischen Visitation, die ostfriesische Confession, die In-
struction der schleswig-holsteinischen Prediger, die Entschul-
digungsschriften der schlesischen Stände, die Synodalconsti-
tutionen in Preußen. Man wird in allen denselben Sinn
eines nothgedrungenen Zurückgehens von dem Zufälligen
auf das Wesentliche, einer noch nicht symbolisch-festgestell-
ten, aber ihrer Wahrheit sich bewußten, mächtig vordringen-
den Überzeugung wahrnehmen. Es liegt in der Natur der
Sache, da die Entwickelung nur innerhalb beschränkter Ter-
ritorien vorgieng, daß die neu sich bildende Kirche in Groß-
artigkeit und Glanz ihrer Erscheinung sich mit der bisherigen
Hierarchie, in der sich die Einheit eines Complexes großer
Reiche aussprach, nicht von ferne messen konnte: ihr Werth
und ihr Wesen bestand in ihrer innern geistigen Kraft. Sie
hatte es übernommen, das christliche Prinzip dem Gemüth
und dem gemeinen Volke in unmittelbare Nähe zu bringen,
das Verständniß desselben frei von aller Verunstaltung fremd-
artiger Formeln und Dienste dahin zu entwickeln, daß es das
allgemeine Bewußtseyn der Nationen der Erde zu erfüllen ver-
möchte. Schon ward die neue Lehre fast in allen Sprachen ver-
nommen. Wir gedachten jener Dolmetscher in Preußen: Doc-

Viertes Buch. Fuͤnftes Capitel.
Markgrafthümern, und einer ganzen Anzahl von Städten
war die neue Lehre zur Herrſchaft gelangt, und durchdrang
die Populationen, deren eingeborner Sinn eine natürliche Ver-
wandtſchaft damit hatte. Um ſich die urſprünglichen Geſichts-
puncte poſitiver und negativer Art wieder zu vergegenwär-
tigen, ſollte man einmal die Bekenntnißſchriften zuſammen-
ſtellen, die ſchon jetzt an ſo vielen Orten erſchienen: die Arti-
kel der ſächſiſch-heſſiſchen und beſonders der brandenburgiſch-
nürnbergiſchen Viſitation, die oſtfrieſiſche Confeſſion, die In-
ſtruction der ſchleswig-holſteiniſchen Prediger, die Entſchul-
digungsſchriften der ſchleſiſchen Stände, die Synodalconſti-
tutionen in Preußen. Man wird in allen denſelben Sinn
eines nothgedrungenen Zurückgehens von dem Zufälligen
auf das Weſentliche, einer noch nicht ſymboliſch-feſtgeſtell-
ten, aber ihrer Wahrheit ſich bewußten, mächtig vordringen-
den Überzeugung wahrnehmen. Es liegt in der Natur der
Sache, da die Entwickelung nur innerhalb beſchränkter Ter-
ritorien vorgieng, daß die neu ſich bildende Kirche in Groß-
artigkeit und Glanz ihrer Erſcheinung ſich mit der bisherigen
Hierarchie, in der ſich die Einheit eines Complexes großer
Reiche ausſprach, nicht von ferne meſſen konnte: ihr Werth
und ihr Weſen beſtand in ihrer innern geiſtigen Kraft. Sie
hatte es übernommen, das chriſtliche Prinzip dem Gemüth
und dem gemeinen Volke in unmittelbare Nähe zu bringen,
das Verſtändniß deſſelben frei von aller Verunſtaltung fremd-
artiger Formeln und Dienſte dahin zu entwickeln, daß es das
allgemeine Bewußtſeyn der Nationen der Erde zu erfüllen ver-
möchte. Schon ward die neue Lehre faſt in allen Sprachen ver-
nommen. Wir gedachten jener Dolmetſcher in Preußen: Doc-

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[482/0492] Viertes Buch. Fuͤnftes Capitel. Markgrafthümern, und einer ganzen Anzahl von Städten war die neue Lehre zur Herrſchaft gelangt, und durchdrang die Populationen, deren eingeborner Sinn eine natürliche Ver- wandtſchaft damit hatte. Um ſich die urſprünglichen Geſichts- puncte poſitiver und negativer Art wieder zu vergegenwär- tigen, ſollte man einmal die Bekenntnißſchriften zuſammen- ſtellen, die ſchon jetzt an ſo vielen Orten erſchienen: die Arti- kel der ſächſiſch-heſſiſchen und beſonders der brandenburgiſch- nürnbergiſchen Viſitation, die oſtfrieſiſche Confeſſion, die In- ſtruction der ſchleswig-holſteiniſchen Prediger, die Entſchul- digungsſchriften der ſchleſiſchen Stände, die Synodalconſti- tutionen in Preußen. Man wird in allen denſelben Sinn eines nothgedrungenen Zurückgehens von dem Zufälligen auf das Weſentliche, einer noch nicht ſymboliſch-feſtgeſtell- ten, aber ihrer Wahrheit ſich bewußten, mächtig vordringen- den Überzeugung wahrnehmen. Es liegt in der Natur der Sache, da die Entwickelung nur innerhalb beſchränkter Ter- ritorien vorgieng, daß die neu ſich bildende Kirche in Groß- artigkeit und Glanz ihrer Erſcheinung ſich mit der bisherigen Hierarchie, in der ſich die Einheit eines Complexes großer Reiche ausſprach, nicht von ferne meſſen konnte: ihr Werth und ihr Weſen beſtand in ihrer innern geiſtigen Kraft. Sie hatte es übernommen, das chriſtliche Prinzip dem Gemüth und dem gemeinen Volke in unmittelbare Nähe zu bringen, das Verſtändniß deſſelben frei von aller Verunſtaltung fremd- artiger Formeln und Dienſte dahin zu entwickeln, daß es das allgemeine Bewußtſeyn der Nationen der Erde zu erfüllen ver- möchte. Schon ward die neue Lehre faſt in allen Sprachen ver- nommen. Wir gedachten jener Dolmetſcher in Preußen: Doc-

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839, S. 482. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/492>, abgerufen am 05.12.2024.