den östreichischen Gebieten ein Jahrhundert lang geherrscht hat; evangelische Stände hielten gleich eifrig an ihren po- litischen und religiösen Vorrechten fest; die Regierung war zu Milde und Duldung verpflichtet.
Bei weitem die merkwürdigste und durchgreifendste Ver- änderung fand nun aber in Preußen Statt.
Schon war sie daselbst mannichfaltig vorbereitet.
Die politische Bedeutung, ja im Grunde auch die staatsrechtliche Stellung des deutschen Ordens in Preußen war schon vor mehr als einem halben Jahrhundert ver- nichtet worden. In dem Thorner Frieden vom J. 1466 hatte der Orden sich dazu verstehn müssen, die größere Hälfte seines Gebietes, mit all seinen reichsten und mäch- tigsten Städten an Polen abzutreten, und für die kleinere, die ihm gelassen wurde, den König dieses Reiches als sei- nen Lehnsherrn anzuerkennen.
Fragen wir, wie es dahin kam, so lag der Grund nicht sowohl in der militärischen Übermacht der Polen, die zwar im Ganzen nicht geleugnet werden kann, aber an und für sich nimmermehr fähig gewesen wäre, so entscheidende Erfolge herbeizuführen, als in den innern Landesverhältnis- sen, dem Mißverständniß zwischen dem Orden und seiner Landschaft.
Preußen war eine allmählig zu selbständigem Da- seyn entwickelte Colonie. Der Orden, der nicht mehr von den alten Impulsen der Religion Ehre oder Kriegslust angetrieben wurde, und nur um zu regieren und zu ge- nießen ins Land kam, war den Eingebornen höchst be- schwerlich. Sie beklagten sich, daß man ihnen keinen An-
Viertes Buch. Fuͤnftes Capitel.
den öſtreichiſchen Gebieten ein Jahrhundert lang geherrſcht hat; evangeliſche Stände hielten gleich eifrig an ihren po- litiſchen und religiöſen Vorrechten feſt; die Regierung war zu Milde und Duldung verpflichtet.
Bei weitem die merkwürdigſte und durchgreifendſte Ver- änderung fand nun aber in Preußen Statt.
Schon war ſie daſelbſt mannichfaltig vorbereitet.
Die politiſche Bedeutung, ja im Grunde auch die ſtaatsrechtliche Stellung des deutſchen Ordens in Preußen war ſchon vor mehr als einem halben Jahrhundert ver- nichtet worden. In dem Thorner Frieden vom J. 1466 hatte der Orden ſich dazu verſtehn müſſen, die größere Hälfte ſeines Gebietes, mit all ſeinen reichſten und mäch- tigſten Städten an Polen abzutreten, und für die kleinere, die ihm gelaſſen wurde, den König dieſes Reiches als ſei- nen Lehnsherrn anzuerkennen.
Fragen wir, wie es dahin kam, ſo lag der Grund nicht ſowohl in der militäriſchen Übermacht der Polen, die zwar im Ganzen nicht geleugnet werden kann, aber an und für ſich nimmermehr fähig geweſen wäre, ſo entſcheidende Erfolge herbeizuführen, als in den innern Landesverhältniſ- ſen, dem Mißverſtändniß zwiſchen dem Orden und ſeiner Landſchaft.
Preußen war eine allmählig zu ſelbſtändigem Da- ſeyn entwickelte Colonie. Der Orden, der nicht mehr von den alten Impulſen der Religion Ehre oder Kriegsluſt angetrieben wurde, und nur um zu regieren und zu ge- nießen ins Land kam, war den Eingebornen höchſt be- ſchwerlich. Sie beklagten ſich, daß man ihnen keinen An-
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Viertes Buch. Fuͤnftes Capitel.
den öſtreichiſchen Gebieten ein Jahrhundert lang geherrſcht
hat; evangeliſche Stände hielten gleich eifrig an ihren po-
litiſchen und religiöſen Vorrechten feſt; die Regierung war
zu Milde und Duldung verpflichtet.
Bei weitem die merkwürdigſte und durchgreifendſte Ver-
änderung fand nun aber in Preußen Statt.
Schon war ſie daſelbſt mannichfaltig vorbereitet.
Die politiſche Bedeutung, ja im Grunde auch die
ſtaatsrechtliche Stellung des deutſchen Ordens in Preußen
war ſchon vor mehr als einem halben Jahrhundert ver-
nichtet worden. In dem Thorner Frieden vom J. 1466
hatte der Orden ſich dazu verſtehn müſſen, die größere
Hälfte ſeines Gebietes, mit all ſeinen reichſten und mäch-
tigſten Städten an Polen abzutreten, und für die kleinere,
die ihm gelaſſen wurde, den König dieſes Reiches als ſei-
nen Lehnsherrn anzuerkennen.
Fragen wir, wie es dahin kam, ſo lag der Grund
nicht ſowohl in der militäriſchen Übermacht der Polen, die
zwar im Ganzen nicht geleugnet werden kann, aber an und
für ſich nimmermehr fähig geweſen wäre, ſo entſcheidende
Erfolge herbeizuführen, als in den innern Landesverhältniſ-
ſen, dem Mißverſtändniß zwiſchen dem Orden und ſeiner
Landſchaft.
Preußen war eine allmählig zu ſelbſtändigem Da-
ſeyn entwickelte Colonie. Der Orden, der nicht mehr von
den alten Impulſen der Religion Ehre oder Kriegsluſt
angetrieben wurde, und nur um zu regieren und zu ge-
nießen ins Land kam, war den Eingebornen höchſt be-
ſchwerlich. Sie beklagten ſich, daß man ihnen keinen An-
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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839, S. 466. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/476>, abgerufen am 29.11.2024.
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