Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839.Schlesien. Hader. Da fanden nun die lutherischen Tendenzen einensehr wohl vorbereiteten Boden. Im Jahr 1523 wagten es die Breslauer, jene Pfarre auf ihre eigne Hand und zwar mit einem der vertrautesten Freunde Luthers und Me- lanchthons, der jüngst von Wittenberg gekommen, Dr Jo- hann Heß zu besetzen. Hierauf giengen nun die Sachen hier wie anderwarts. In einer feierlichen Disputation wur- den die neuen Grundsätze siegreich bewährt: das Volk ward gewonnen: man fieng an die Cerimonien zu ändern: ob- wohl man sich dem herkömmlichen Ritus des Breslauer Bisthums auch in mancherlei Zufälligkeiten so nah wie möglich hielt. Jene Bernhardiner hatten sich schon früher lieber aus der Stadt entfernt, als daß sie sich mit den Jacobiten wie man ihnen anmuthete vereinigt hätten: jetzt lösten die Klöster sich von selbst auf: der Rath ließ gesche- hen, daß Mönche und Nonnen austraten und sich verhei- ratheten. Doch dürfte man nicht glauben, daß nun die neue lutherisch-gesinnte Geistlichkeit, die dem Rath aller- dings ihr Emporkommen verdankte, ihm so ganz und gar zu Willen gewesen wäre. Im April 1525 hörte Dr Heß plötzlich auf zu predigen. Der Rath ließ ihn fragen wes- halb. Er antwortete: er sehe seinen lieben Herrn Christus vor den Kirchthüren liegen, über den könne er nicht hin- wegschreiten. Er hatte nemlich schon öfter den Rath auf- gefordert, für die Bettler zu sorgen, welche die Stadt an- füllten und sich zur Zeit des Gottesdienstes vor den Kirch- thüren lagerten; aber immer vergebens. Allein dieß sein ernstes Bezeigen machte Eindruck. Man schied die wirk- lich Bedürftigen von den blos Muthwilligen, und brachte Schleſien. Hader. Da fanden nun die lutheriſchen Tendenzen einenſehr wohl vorbereiteten Boden. Im Jahr 1523 wagten es die Breslauer, jene Pfarre auf ihre eigne Hand und zwar mit einem der vertrauteſten Freunde Luthers und Me- lanchthons, der jüngſt von Wittenberg gekommen, Dr Jo- hann Heß zu beſetzen. Hierauf giengen nun die Sachen hier wie anderwarts. In einer feierlichen Disputation wur- den die neuen Grundſätze ſiegreich bewährt: das Volk ward gewonnen: man fieng an die Cerimonien zu ändern: ob- wohl man ſich dem herkömmlichen Ritus des Breslauer Bisthums auch in mancherlei Zufälligkeiten ſo nah wie möglich hielt. Jene Bernhardiner hatten ſich ſchon früher lieber aus der Stadt entfernt, als daß ſie ſich mit den Jacobiten wie man ihnen anmuthete vereinigt hätten: jetzt löſten die Klöſter ſich von ſelbſt auf: der Rath ließ geſche- hen, daß Mönche und Nonnen austraten und ſich verhei- ratheten. Doch dürfte man nicht glauben, daß nun die neue lutheriſch-geſinnte Geiſtlichkeit, die dem Rath aller- dings ihr Emporkommen verdankte, ihm ſo ganz und gar zu Willen geweſen wäre. Im April 1525 hörte Dr Heß plötzlich auf zu predigen. Der Rath ließ ihn fragen wes- halb. Er antwortete: er ſehe ſeinen lieben Herrn Chriſtus vor den Kirchthüren liegen, über den könne er nicht hin- wegſchreiten. Er hatte nemlich ſchon öfter den Rath auf- gefordert, für die Bettler zu ſorgen, welche die Stadt an- füllten und ſich zur Zeit des Gottesdienſtes vor den Kirch- thüren lagerten; aber immer vergebens. Allein dieß ſein ernſtes Bezeigen machte Eindruck. Man ſchied die wirk- lich Bedürftigen von den blos Muthwilligen, und brachte <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0473" n="463"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Schleſien</hi>.</fw><lb/> Hader. Da fanden nun die lutheriſchen Tendenzen einen<lb/> ſehr wohl vorbereiteten Boden. 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Schleſien.
Hader. Da fanden nun die lutheriſchen Tendenzen einen
ſehr wohl vorbereiteten Boden. Im Jahr 1523 wagten
es die Breslauer, jene Pfarre auf ihre eigne Hand und
zwar mit einem der vertrauteſten Freunde Luthers und Me-
lanchthons, der jüngſt von Wittenberg gekommen, Dr Jo-
hann Heß zu beſetzen. Hierauf giengen nun die Sachen
hier wie anderwarts. In einer feierlichen Disputation wur-
den die neuen Grundſätze ſiegreich bewährt: das Volk ward
gewonnen: man fieng an die Cerimonien zu ändern: ob-
wohl man ſich dem herkömmlichen Ritus des Breslauer
Bisthums auch in mancherlei Zufälligkeiten ſo nah wie
möglich hielt. Jene Bernhardiner hatten ſich ſchon früher
lieber aus der Stadt entfernt, als daß ſie ſich mit den
Jacobiten wie man ihnen anmuthete vereinigt hätten: jetzt
löſten die Klöſter ſich von ſelbſt auf: der Rath ließ geſche-
hen, daß Mönche und Nonnen austraten und ſich verhei-
ratheten. Doch dürfte man nicht glauben, daß nun die
neue lutheriſch-geſinnte Geiſtlichkeit, die dem Rath aller-
dings ihr Emporkommen verdankte, ihm ſo ganz und gar
zu Willen geweſen wäre. Im April 1525 hörte Dr Heß
plötzlich auf zu predigen. Der Rath ließ ihn fragen wes-
halb. Er antwortete: er ſehe ſeinen lieben Herrn Chriſtus
vor den Kirchthüren liegen, über den könne er nicht hin-
wegſchreiten. Er hatte nemlich ſchon öfter den Rath auf-
gefordert, für die Bettler zu ſorgen, welche die Stadt an-
füllten und ſich zur Zeit des Gottesdienſtes vor den Kirch-
thüren lagerten; aber immer vergebens. Allein dieß ſein
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