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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839.

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Sächsische Visitation.
und der niedern Geistlichkeit, welche die bischöfliche Juris-
diction gradezu ausschloß. Die niedere Geistlichkeit ge-
langte zu einer großen Selbständigkeit. Durch die Super-
intendenten, welche der Fürst aus ihrer Mitte ernannte,
und denen einige bischöfliche Befugnisse übertragen wurden,
regierte sie sich gleichsam selbst. Indem sie dann den Cö-
libat verließ, ward ihr ein neuer Einfluß auf die Fortbil-
dung der Nation zu Theil. Der Stand der verheirathe-
ten Pfarrer wurde eine Pflanzschule für Gelehrsamkeit
und Staatsbeamte, der Kern für einen gebildeten Mittel-
stand; durch die sorgfältigere Erziehung, welche die Ruhe
des Landlebens möglich macht, und zu der die geistliche
Würde noch besonders auffordert, ist es geschehen, daß
die ausgezeichnetsten Männer aus seiner Mitte hervorge-
gangen sind. Daß die Klöster verfielen und ihre Mitglie-
der dem bürgerlichen Leben zurückgegeben wurden, führte
allmählig zu einem sehr bemerkbaren Steigen der Bevöl-
kerung. Justus Möser hat im Jahr 1750 berechnet, daß
10 bis 15 Millionen Menschen in allen Ländern und Erd-
theilen Luthern und seinem Beispiele das Daseyn verdan-
ken: "man sollte ihm eine Statue setzen, als dem Erhalter
des menschlichen Geschlechtes." 1

Deutschen Zuständen nun und den innern Trieben des
Ereignisses entsprachen Einrichtungen dieser Art bei wei-
tem besser, als die in Homberg gefaßten für die Lage der
Dinge zu kühnen Ideen. Wie der Unterricht der sächsischen
Visitatoren gleich im J. 1528 auch in Hessen angenommen

1 Lettre a Mr de Voltaire Osn. 6 Spt. 1750 in Abekens Reli-
quien von Justus Möser p. 88.
Ranke d. Gesch. II. 29

Saͤchſiſche Viſitation.
und der niedern Geiſtlichkeit, welche die biſchöfliche Juris-
diction gradezu ausſchloß. Die niedere Geiſtlichkeit ge-
langte zu einer großen Selbſtändigkeit. Durch die Super-
intendenten, welche der Fürſt aus ihrer Mitte ernannte,
und denen einige biſchöfliche Befugniſſe übertragen wurden,
regierte ſie ſich gleichſam ſelbſt. Indem ſie dann den Cö-
libat verließ, ward ihr ein neuer Einfluß auf die Fortbil-
dung der Nation zu Theil. Der Stand der verheirathe-
ten Pfarrer wurde eine Pflanzſchule für Gelehrſamkeit
und Staatsbeamte, der Kern für einen gebildeten Mittel-
ſtand; durch die ſorgfältigere Erziehung, welche die Ruhe
des Landlebens möglich macht, und zu der die geiſtliche
Würde noch beſonders auffordert, iſt es geſchehen, daß
die ausgezeichnetſten Männer aus ſeiner Mitte hervorge-
gangen ſind. Daß die Klöſter verfielen und ihre Mitglie-
der dem bürgerlichen Leben zurückgegeben wurden, führte
allmählig zu einem ſehr bemerkbaren Steigen der Bevöl-
kerung. Juſtus Möſer hat im Jahr 1750 berechnet, daß
10 bis 15 Millionen Menſchen in allen Ländern und Erd-
theilen Luthern und ſeinem Beiſpiele das Daſeyn verdan-
ken: „man ſollte ihm eine Statue ſetzen, als dem Erhalter
des menſchlichen Geſchlechtes.“ 1

Deutſchen Zuſtänden nun und den innern Trieben des
Ereigniſſes entſprachen Einrichtungen dieſer Art bei wei-
tem beſſer, als die in Homberg gefaßten für die Lage der
Dinge zu kühnen Ideen. Wie der Unterricht der ſächſiſchen
Viſitatoren gleich im J. 1528 auch in Heſſen angenommen

1 Lettre à Mr de Voltaire Osn. 6 Spt. 1750 in Abekens Reli-
quien von Juſtus Moͤſer p. 88.
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[449/0459] Saͤchſiſche Viſitation. und der niedern Geiſtlichkeit, welche die biſchöfliche Juris- diction gradezu ausſchloß. Die niedere Geiſtlichkeit ge- langte zu einer großen Selbſtändigkeit. Durch die Super- intendenten, welche der Fürſt aus ihrer Mitte ernannte, und denen einige biſchöfliche Befugniſſe übertragen wurden, regierte ſie ſich gleichſam ſelbſt. Indem ſie dann den Cö- libat verließ, ward ihr ein neuer Einfluß auf die Fortbil- dung der Nation zu Theil. Der Stand der verheirathe- ten Pfarrer wurde eine Pflanzſchule für Gelehrſamkeit und Staatsbeamte, der Kern für einen gebildeten Mittel- ſtand; durch die ſorgfältigere Erziehung, welche die Ruhe des Landlebens möglich macht, und zu der die geiſtliche Würde noch beſonders auffordert, iſt es geſchehen, daß die ausgezeichnetſten Männer aus ſeiner Mitte hervorge- gangen ſind. Daß die Klöſter verfielen und ihre Mitglie- der dem bürgerlichen Leben zurückgegeben wurden, führte allmählig zu einem ſehr bemerkbaren Steigen der Bevöl- kerung. Juſtus Möſer hat im Jahr 1750 berechnet, daß 10 bis 15 Millionen Menſchen in allen Ländern und Erd- theilen Luthern und ſeinem Beiſpiele das Daſeyn verdan- ken: „man ſollte ihm eine Statue ſetzen, als dem Erhalter des menſchlichen Geſchlechtes.“ 1 Deutſchen Zuſtänden nun und den innern Trieben des Ereigniſſes entſprachen Einrichtungen dieſer Art bei wei- tem beſſer, als die in Homberg gefaßten für die Lage der Dinge zu kühnen Ideen. Wie der Unterricht der ſächſiſchen Viſitatoren gleich im J. 1528 auch in Heſſen angenommen 1 Lettre à Mr de Voltaire Osn. 6 Spt. 1750 in Abekens Reli- quien von Juſtus Moͤſer p. 88. Ranke d. Geſch. II. 29

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839, S. 449. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/459>, abgerufen am 28.11.2024.