nehmen. Die neue Kirche war noch nicht constituirt; daß sie ein Recht übertragen dürfe, traute sie sich ohne Zweifel selbst nicht zu.
Das eigentliche Recht leitet sich, wenn ich nicht irre, aus einem andern Ursprung her.
Sollte wohl Jemand dem Reich die Befugniß ab- sprechen, in der Verwirrung in die man gerathen war, auf einer regelmäßigen Zusammenkunft, wie die zu Speier beabsichtigte, Anordnungen auch über die kirchlichen An- gelegenheiten festzusetzen? Es ist wahr: man hat schon damals von mehr als Einer Seite allerlei Bedenken dage- gen vorgebracht: die spätere Zeit hat dieselben jedoch ge- hoben. Wir müßten sonst an der Rechtsbeständigkeit des Religionsfriedens so wie des westphälischen Friedens zwei- feln, welche doch beide von der päpstlichen Gewalt niemals anerkannt worden sind.
Auch hat man in Deutschland nie an der Gültigkeit der Reichsabschiede von 1523 und 1524 gezweifelt, welche für die religiösen Angelegenheiten so wichtig waren.
Was hätte daraus hervorgehn müssen, wenn die Reichs- versammlung auf diesem Wege fortschreitend sich ihres Rech- tes bedient und eine Reform für alle Stände angeordnet hätte: die großartigste Umgestaltung würde erfolgt seyn.
Allein die Reichsversammlung konnte sich nicht so weit vereinigen. Sie gab aber darum ihre Befugniß nicht auf: wie sie denn später darauf zurückgekommen ist. Damals fand sie es angemessen, -- und das ist der Moment von dem alles ausgeht, -- die Ausübung ihres Rechtes den Ter- ritorial-gewalten anheim zu stellen.
Prinzip des evangeliſchen Kirchenrechts.
nehmen. Die neue Kirche war noch nicht conſtituirt; daß ſie ein Recht übertragen dürfe, traute ſie ſich ohne Zweifel ſelbſt nicht zu.
Das eigentliche Recht leitet ſich, wenn ich nicht irre, aus einem andern Urſprung her.
Sollte wohl Jemand dem Reich die Befugniß ab- ſprechen, in der Verwirrung in die man gerathen war, auf einer regelmäßigen Zuſammenkunft, wie die zu Speier beabſichtigte, Anordnungen auch über die kirchlichen An- gelegenheiten feſtzuſetzen? Es iſt wahr: man hat ſchon damals von mehr als Einer Seite allerlei Bedenken dage- gen vorgebracht: die ſpätere Zeit hat dieſelben jedoch ge- hoben. Wir müßten ſonſt an der Rechtsbeſtändigkeit des Religionsfriedens ſo wie des weſtphäliſchen Friedens zwei- feln, welche doch beide von der päpſtlichen Gewalt niemals anerkannt worden ſind.
Auch hat man in Deutſchland nie an der Gültigkeit der Reichsabſchiede von 1523 und 1524 gezweifelt, welche für die religiöſen Angelegenheiten ſo wichtig waren.
Was hätte daraus hervorgehn müſſen, wenn die Reichs- verſammlung auf dieſem Wege fortſchreitend ſich ihres Rech- tes bedient und eine Reform für alle Stände angeordnet hätte: die großartigſte Umgeſtaltung würde erfolgt ſeyn.
Allein die Reichsverſammlung konnte ſich nicht ſo weit vereinigen. Sie gab aber darum ihre Befugniß nicht auf: wie ſie denn ſpäter darauf zurückgekommen iſt. Damals fand ſie es angemeſſen, — und das iſt der Moment von dem alles ausgeht, — die Ausübung ihres Rechtes den Ter- ritorial-gewalten anheim zu ſtellen.
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Prinzip des evangeliſchen Kirchenrechts.
nehmen. Die neue Kirche war noch nicht conſtituirt;
daß ſie ein Recht übertragen dürfe, traute ſie ſich ohne
Zweifel ſelbſt nicht zu.
Das eigentliche Recht leitet ſich, wenn ich nicht irre,
aus einem andern Urſprung her.
Sollte wohl Jemand dem Reich die Befugniß ab-
ſprechen, in der Verwirrung in die man gerathen war,
auf einer regelmäßigen Zuſammenkunft, wie die zu Speier
beabſichtigte, Anordnungen auch über die kirchlichen An-
gelegenheiten feſtzuſetzen? Es iſt wahr: man hat ſchon
damals von mehr als Einer Seite allerlei Bedenken dage-
gen vorgebracht: die ſpätere Zeit hat dieſelben jedoch ge-
hoben. Wir müßten ſonſt an der Rechtsbeſtändigkeit des
Religionsfriedens ſo wie des weſtphäliſchen Friedens zwei-
feln, welche doch beide von der päpſtlichen Gewalt niemals
anerkannt worden ſind.
Auch hat man in Deutſchland nie an der Gültigkeit
der Reichsabſchiede von 1523 und 1524 gezweifelt, welche
für die religiöſen Angelegenheiten ſo wichtig waren.
Was hätte daraus hervorgehn müſſen, wenn die Reichs-
verſammlung auf dieſem Wege fortſchreitend ſich ihres Rech-
tes bedient und eine Reform für alle Stände angeordnet
hätte: die großartigſte Umgeſtaltung würde erfolgt ſeyn.
Allein die Reichsverſammlung konnte ſich nicht ſo weit
vereinigen. Sie gab aber darum ihre Befugniß nicht auf:
wie ſie denn ſpäter darauf zurückgekommen iſt. Damals
fand ſie es angemeſſen, — und das iſt der Moment von
dem alles ausgeht, — die Ausübung ihres Rechtes den Ter-
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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839, S. 439. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/449>, abgerufen am 27.11.2024.
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