Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

Viertes Buch. Erstes Capitel.
hebt sich in ihnen der Gedanke die Herbeibringung des
orientalischen Reiches zu unternehmen; indessen werden im
Norden und Osten weite Gebiete mit Pflanzungen bedeckt,
und in der Ferne vor ihnen her die großen Ritter-colonien
gegründet, welche noch in dem folgenden Jahrhundert ohne
Zweifel die besteingerichtete und kräftigste Macht in dem
Norden bildeten.

Eine Weile giengen die Eroberungen auch dann noch
fort, als die Reichsregierung schon nicht mehr die alte
Energie besaß; endlich aber mußte die Auflösung der innern
Ordnung, die Vernichtung eines wahrhaft selbständigen Kai-
serthums auch auf die Grenzen zurückwirken: das Reich
vermochte seine Stellung nicht mehr zu behaupten.

Den Anfang der Beraubung hatte der Papst gemacht,
der Rom, den Kirchenstaat und Avignon vom Reiche los-
riß: mit ihm verbündet bemächtigte sich ohne viel Ge-
räusch, Stück für Stück, die französische Krone des are-
latensischen Reiches: bald darauf erfocht die emporkom-
mende polnisch-litthauische Macht entscheidende Siege über
die nicht mehr hinreichend unterstützte Ritterschaft: im funf-
zehnten Jahrhundert machte sich Böhmen unabhängig: die
italienischen Staaten rechneten sich kaum dem Namen nach
zum Reiche: das Prinzip der Trennung wirkte endlich auch
auf die deutschredenden Stämme in den Alpen und den
Niederlanden zurück. Der Anblick so vieler Verluste er-
weckte jenen Unmuth patriotischer Geister, dessen wir zu-
weilen gedachten.

Noch hatte man sich jedoch zu keiner definitiven Ab-
tretung von Seiten des Reiches verstanden, ausgenommen

Viertes Buch. Erſtes Capitel.
hebt ſich in ihnen der Gedanke die Herbeibringung des
orientaliſchen Reiches zu unternehmen; indeſſen werden im
Norden und Oſten weite Gebiete mit Pflanzungen bedeckt,
und in der Ferne vor ihnen her die großen Ritter-colonien
gegründet, welche noch in dem folgenden Jahrhundert ohne
Zweifel die beſteingerichtete und kräftigſte Macht in dem
Norden bildeten.

Eine Weile giengen die Eroberungen auch dann noch
fort, als die Reichsregierung ſchon nicht mehr die alte
Energie beſaß; endlich aber mußte die Auflöſung der innern
Ordnung, die Vernichtung eines wahrhaft ſelbſtändigen Kai-
ſerthums auch auf die Grenzen zurückwirken: das Reich
vermochte ſeine Stellung nicht mehr zu behaupten.

Den Anfang der Beraubung hatte der Papſt gemacht,
der Rom, den Kirchenſtaat und Avignon vom Reiche los-
riß: mit ihm verbündet bemächtigte ſich ohne viel Ge-
räuſch, Stück für Stück, die franzöſiſche Krone des are-
latenſiſchen Reiches: bald darauf erfocht die emporkom-
mende polniſch-litthauiſche Macht entſcheidende Siege über
die nicht mehr hinreichend unterſtützte Ritterſchaft: im funf-
zehnten Jahrhundert machte ſich Böhmen unabhängig: die
italieniſchen Staaten rechneten ſich kaum dem Namen nach
zum Reiche: das Prinzip der Trennung wirkte endlich auch
auf die deutſchredenden Stämme in den Alpen und den
Niederlanden zurück. Der Anblick ſo vieler Verluſte er-
weckte jenen Unmuth patriotiſcher Geiſter, deſſen wir zu-
weilen gedachten.

Noch hatte man ſich jedoch zu keiner definitiven Ab-
tretung von Seiten des Reiches verſtanden, ausgenommen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0262" n="252"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Viertes Buch. Er&#x017F;tes Capitel</hi>.</fw><lb/>
hebt &#x017F;ich in ihnen der Gedanke die Herbeibringung des<lb/>
orientali&#x017F;chen Reiches zu unternehmen; inde&#x017F;&#x017F;en werden im<lb/>
Norden und O&#x017F;ten weite Gebiete mit Pflanzungen bedeckt,<lb/>
und in der Ferne vor ihnen her die großen Ritter-colonien<lb/>
gegründet, welche noch in dem folgenden Jahrhundert ohne<lb/>
Zweifel die be&#x017F;teingerichtete und kräftig&#x017F;te Macht in dem<lb/>
Norden bildeten.</p><lb/>
          <p>Eine Weile giengen die Eroberungen auch dann noch<lb/>
fort, als die Reichsregierung &#x017F;chon nicht mehr die alte<lb/>
Energie be&#x017F;aß; endlich aber mußte die Auflö&#x017F;ung der innern<lb/>
Ordnung, die Vernichtung eines wahrhaft &#x017F;elb&#x017F;tändigen Kai-<lb/>
&#x017F;erthums auch auf die Grenzen zurückwirken: das Reich<lb/>
vermochte &#x017F;eine Stellung nicht mehr zu behaupten.</p><lb/>
          <p>Den Anfang der Beraubung hatte der Pap&#x017F;t gemacht,<lb/>
der Rom, den Kirchen&#x017F;taat und Avignon vom Reiche los-<lb/>
riß: mit ihm verbündet bemächtigte &#x017F;ich ohne viel Ge-<lb/>
räu&#x017F;ch, Stück für Stück, die franzö&#x017F;i&#x017F;che Krone des are-<lb/>
laten&#x017F;i&#x017F;chen Reiches: bald darauf erfocht die emporkom-<lb/>
mende polni&#x017F;ch-litthaui&#x017F;che Macht ent&#x017F;cheidende Siege über<lb/>
die nicht mehr hinreichend unter&#x017F;tützte Ritter&#x017F;chaft: im funf-<lb/>
zehnten Jahrhundert machte &#x017F;ich Böhmen unabhängig: die<lb/>
italieni&#x017F;chen Staaten rechneten &#x017F;ich kaum dem Namen nach<lb/>
zum Reiche: das Prinzip der Trennung wirkte endlich auch<lb/>
auf die deut&#x017F;chredenden Stämme in den Alpen und den<lb/>
Niederlanden zurück. Der Anblick &#x017F;o vieler Verlu&#x017F;te er-<lb/>
weckte jenen Unmuth patrioti&#x017F;cher Gei&#x017F;ter, de&#x017F;&#x017F;en wir zu-<lb/>
weilen gedachten.</p><lb/>
          <p>Noch hatte man &#x017F;ich jedoch zu keiner definitiven Ab-<lb/>
tretung von Seiten des Reiches ver&#x017F;tanden, ausgenommen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[252/0262] Viertes Buch. Erſtes Capitel. hebt ſich in ihnen der Gedanke die Herbeibringung des orientaliſchen Reiches zu unternehmen; indeſſen werden im Norden und Oſten weite Gebiete mit Pflanzungen bedeckt, und in der Ferne vor ihnen her die großen Ritter-colonien gegründet, welche noch in dem folgenden Jahrhundert ohne Zweifel die beſteingerichtete und kräftigſte Macht in dem Norden bildeten. Eine Weile giengen die Eroberungen auch dann noch fort, als die Reichsregierung ſchon nicht mehr die alte Energie beſaß; endlich aber mußte die Auflöſung der innern Ordnung, die Vernichtung eines wahrhaft ſelbſtändigen Kai- ſerthums auch auf die Grenzen zurückwirken: das Reich vermochte ſeine Stellung nicht mehr zu behaupten. Den Anfang der Beraubung hatte der Papſt gemacht, der Rom, den Kirchenſtaat und Avignon vom Reiche los- riß: mit ihm verbündet bemächtigte ſich ohne viel Ge- räuſch, Stück für Stück, die franzöſiſche Krone des are- latenſiſchen Reiches: bald darauf erfocht die emporkom- mende polniſch-litthauiſche Macht entſcheidende Siege über die nicht mehr hinreichend unterſtützte Ritterſchaft: im funf- zehnten Jahrhundert machte ſich Böhmen unabhängig: die italieniſchen Staaten rechneten ſich kaum dem Namen nach zum Reiche: das Prinzip der Trennung wirkte endlich auch auf die deutſchredenden Stämme in den Alpen und den Niederlanden zurück. Der Anblick ſo vieler Verluſte er- weckte jenen Unmuth patriotiſcher Geiſter, deſſen wir zu- weilen gedachten. Noch hatte man ſich jedoch zu keiner definitiven Ab- tretung von Seiten des Reiches verſtanden, ausgenommen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/262
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/262>, abgerufen am 22.12.2024.