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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839.

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Reichstag von 1524.
wurden, fühlte man die Nothwendigkeit doppelt, ihre Be-
strebungen auf irgend eine andre Weise zu ersetzen: die
Vertheidiger der Neuerung nahmen ihre Kräfte um so mehr
zusammen und brachten es zu dem merkwürdigsten Be-
schluß.

Noch war die Frage übrig, welche früher so wichtig
geworden, wie es mittlerweile, bis zu dem Concilium, in
Deutschland gehalten werden solle. In dieser Hinsicht
faßte man allem Widerspruch zum Trotz einen Beschluß,
der noch außerordentlicher und weitaussehender war, wie
der vorjährige. Man setzte fest, daß noch in dem laufen-
den Jahre im November eine Versammlung der Stände
zu Speier gehalten werden solle, um darüber definitiv zu
berathschlagen. Zu dem Ende sollten die Fürsten von ihren
Räthen und Gelehrten die streitigen Puncte verzeichnen
lassen, über die man dort zu Rathe gehn und Bestimmung
treffen wolle. Auch die Beschwerden der Nation und ihre
Abhülfe wollte man da aufs neue in Erwägung ziehen.
Indessen sollte, wie vor dem Jahr beschlossen, das heilige
Evangelium und Gottes Wort gepredigt werden. 1


1 Abschied des Reichstags zu Nürnberg aufgericht: 18ten April
1524. Wenn man nach diesem Abschied die Schrift Luthers liest:
"zwei kaiserliche uneinige und widerwärtige Gebote" (Altenb. II, 762),
so erstaunt man daß er so wenig damit zufrieden ist. Das rührt
aber daher, daß in dem Mandat, welches auf den Abschied gegrün-
det wurde, die Bestimmung daß das heilige Evangelium gelehrt wer-
den solle weggelassen, und dafür ein ganz außerordentlicher Nachdruck
auf die Beobachtung des Wormser Edictes gelegt ist; die Clausel so
viel möglich findet sich zwar darin, aber sie verschwindet fast unter
dem Schwall der Wiederholungen des Wormser Edictes. Man sieht
daraus, welchen Einfluß nach Abschaffung des alten Regimentes die
Reichscanzlei empfieng. Den Abschied selbst scheint Luther nicht ge-

Reichstag von 1524.
wurden, fühlte man die Nothwendigkeit doppelt, ihre Be-
ſtrebungen auf irgend eine andre Weiſe zu erſetzen: die
Vertheidiger der Neuerung nahmen ihre Kräfte um ſo mehr
zuſammen und brachten es zu dem merkwürdigſten Be-
ſchluß.

Noch war die Frage übrig, welche früher ſo wichtig
geworden, wie es mittlerweile, bis zu dem Concilium, in
Deutſchland gehalten werden ſolle. In dieſer Hinſicht
faßte man allem Widerſpruch zum Trotz einen Beſchluß,
der noch außerordentlicher und weitausſehender war, wie
der vorjährige. Man ſetzte feſt, daß noch in dem laufen-
den Jahre im November eine Verſammlung der Stände
zu Speier gehalten werden ſolle, um darüber definitiv zu
berathſchlagen. Zu dem Ende ſollten die Fürſten von ihren
Räthen und Gelehrten die ſtreitigen Puncte verzeichnen
laſſen, über die man dort zu Rathe gehn und Beſtimmung
treffen wolle. Auch die Beſchwerden der Nation und ihre
Abhülfe wollte man da aufs neue in Erwägung ziehen.
Indeſſen ſollte, wie vor dem Jahr beſchloſſen, das heilige
Evangelium und Gottes Wort gepredigt werden. 1


1 Abſchied des Reichstags zu Nuͤrnberg aufgericht: 18ten April
1524. Wenn man nach dieſem Abſchied die Schrift Luthers lieſt:
„zwei kaiſerliche uneinige und widerwaͤrtige Gebote“ (Altenb. II, 762),
ſo erſtaunt man daß er ſo wenig damit zufrieden iſt. Das ruͤhrt
aber daher, daß in dem Mandat, welches auf den Abſchied gegruͤn-
det wurde, die Beſtimmung daß das heilige Evangelium gelehrt wer-
den ſolle weggelaſſen, und dafuͤr ein ganz außerordentlicher Nachdruck
auf die Beobachtung des Wormſer Edictes gelegt iſt; die Clauſel ſo
viel moͤglich findet ſich zwar darin, aber ſie verſchwindet faſt unter
dem Schwall der Wiederholungen des Wormſer Edictes. Man ſieht
daraus, welchen Einfluß nach Abſchaffung des alten Regimentes die
Reichscanzlei empfieng. Den Abſchied ſelbſt ſcheint Luther nicht ge-
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[143/0153] Reichstag von 1524. wurden, fühlte man die Nothwendigkeit doppelt, ihre Be- ſtrebungen auf irgend eine andre Weiſe zu erſetzen: die Vertheidiger der Neuerung nahmen ihre Kräfte um ſo mehr zuſammen und brachten es zu dem merkwürdigſten Be- ſchluß. Noch war die Frage übrig, welche früher ſo wichtig geworden, wie es mittlerweile, bis zu dem Concilium, in Deutſchland gehalten werden ſolle. In dieſer Hinſicht faßte man allem Widerſpruch zum Trotz einen Beſchluß, der noch außerordentlicher und weitausſehender war, wie der vorjährige. Man ſetzte feſt, daß noch in dem laufen- den Jahre im November eine Verſammlung der Stände zu Speier gehalten werden ſolle, um darüber definitiv zu berathſchlagen. Zu dem Ende ſollten die Fürſten von ihren Räthen und Gelehrten die ſtreitigen Puncte verzeichnen laſſen, über die man dort zu Rathe gehn und Beſtimmung treffen wolle. Auch die Beſchwerden der Nation und ihre Abhülfe wollte man da aufs neue in Erwägung ziehen. Indeſſen ſollte, wie vor dem Jahr beſchloſſen, das heilige Evangelium und Gottes Wort gepredigt werden. 1 1 Abſchied des Reichstags zu Nuͤrnberg aufgericht: 18ten April 1524. Wenn man nach dieſem Abſchied die Schrift Luthers lieſt: „zwei kaiſerliche uneinige und widerwaͤrtige Gebote“ (Altenb. II, 762), ſo erſtaunt man daß er ſo wenig damit zufrieden iſt. Das ruͤhrt aber daher, daß in dem Mandat, welches auf den Abſchied gegruͤn- det wurde, die Beſtimmung daß das heilige Evangelium gelehrt wer- den ſolle weggelaſſen, und dafuͤr ein ganz außerordentlicher Nachdruck auf die Beobachtung des Wormſer Edictes gelegt iſt; die Clauſel ſo viel moͤglich findet ſich zwar darin, aber ſie verſchwindet faſt unter dem Schwall der Wiederholungen des Wormſer Edictes. Man ſieht daraus, welchen Einfluß nach Abſchaffung des alten Regimentes die Reichscanzlei empfieng. Den Abſchied ſelbſt ſcheint Luther nicht ge-

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation02_1839/153>, abgerufen am 23.11.2024.