Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 2. Berlin, 1839.Vorwort. durfte er es nicht wagen: er hätte fürchten müssen den gei-stigen Grund zu untergraben auf welchem seine eigne Würde beruhte; übrigens hätte er ja auch erst selbst den Kreis der Vorstellungen zu durchbrechen gehabt, der die Gemüther fes- selte. Die Staatsgewalten fühlten sich immer in unauflös- lichen Beziehungen zur Hierarchie; die Verfolgungen der Andersgläubigen führten sie in der Regel selber aus. Dazu kam, daß sich mit den letzten Angriffen auf das Es war nun anderthalb Jahrhunderte her, daß John 1 Vgl. Prioris et capituli Cantuarensis mandatum 16 Spt.
1381 bei Wilkins Concilia Magnae Britanniae III, 133. Vorwort. durfte er es nicht wagen: er hätte fürchten müſſen den gei-ſtigen Grund zu untergraben auf welchem ſeine eigne Würde beruhte; übrigens hätte er ja auch erſt ſelbſt den Kreis der Vorſtellungen zu durchbrechen gehabt, der die Gemüther feſ- ſelte. Die Staatsgewalten fühlten ſich immer in unauflös- lichen Beziehungen zur Hierarchie; die Verfolgungen der Andersgläubigen führten ſie in der Regel ſelber aus. Dazu kam, daß ſich mit den letzten Angriffen auf das Es war nun anderthalb Jahrhunderte her, daß John 1 Vgl. Prioris et capituli Cantuarensis mandatum 16 Spt.
1381 bei Wilkins Concilia Magnae Britanniae III, 133. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0015" n="5"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Vorwort</hi>.</fw><lb/> durfte er es nicht wagen: er hätte fürchten müſſen den gei-<lb/> ſtigen Grund zu untergraben auf welchem ſeine eigne Würde<lb/> beruhte; übrigens hätte er ja auch erſt ſelbſt den Kreis der<lb/> Vorſtellungen zu durchbrechen gehabt, der die Gemüther feſ-<lb/> ſelte. Die Staatsgewalten fühlten ſich immer in unauflös-<lb/> lichen Beziehungen zur Hierarchie; die Verfolgungen der<lb/> Andersgläubigen führten ſie in der Regel ſelber aus.</p><lb/> <p>Dazu kam, daß ſich mit den letzten Angriffen auf das<lb/> römiſche Kirchenweſen in der That Unternehmungen der ge-<lb/> fährlichſten Art in Verbindung geſetzt hatten.</p><lb/> <p>Es war nun anderthalb Jahrhunderte her, daß John<lb/> Wicliffe in England ziemlich mit denſelben Waffen wie Lu-<lb/> ther, und durch verwandte nationale Regungen unterſtützt,<lb/> den Kampf mit dem Papſtthum unternommen hatte, aber<lb/> auf der Stelle hatte ſich ihm eine ſtürmiſche Bewegung<lb/> der unterſten Stände zugeſellt, die mit den Verbeſſe-<lb/> rungen des Dogma oder der Emancipation von dem rö-<lb/> miſchen Stuhle nicht zufrieden, auf die Vertilgung der<lb/> geſammten Pfründen beſetzenden Geiſtlichkeit, <note place="foot" n="1">Vgl. <hi rendition="#aq">Prioris et capituli Cantuarensis mandatum</hi> 16 Spt.<lb/> 1381 bei Wilkins <hi rendition="#aq">Concilia Magnae Britanniae III,</hi> 133.</note> ja auf die<lb/> Gleichmachung des Edelmanns und des Bauern, d. i. auf<lb/> eine vollſtändige Umkehr der Kirche und des Staates aus-<lb/> gieng. Mochte nun Wicliffe an dieſem Treiben Antheil<lb/> haben oder nicht, genug, von der Ungunſt welche es er-<lb/> weckte, ward auch er betroffen, und von dem Schauplatz<lb/> ſeiner Thätigkeit, von Oxford, von wo er ſich unmittelbar<lb/> in der Welt hätte Bahn machen können, auf den engen<lb/> Wirkungskreis einer Landpfarre verwieſen.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [5/0015]
Vorwort.
durfte er es nicht wagen: er hätte fürchten müſſen den gei-
ſtigen Grund zu untergraben auf welchem ſeine eigne Würde
beruhte; übrigens hätte er ja auch erſt ſelbſt den Kreis der
Vorſtellungen zu durchbrechen gehabt, der die Gemüther feſ-
ſelte. Die Staatsgewalten fühlten ſich immer in unauflös-
lichen Beziehungen zur Hierarchie; die Verfolgungen der
Andersgläubigen führten ſie in der Regel ſelber aus.
Dazu kam, daß ſich mit den letzten Angriffen auf das
römiſche Kirchenweſen in der That Unternehmungen der ge-
fährlichſten Art in Verbindung geſetzt hatten.
Es war nun anderthalb Jahrhunderte her, daß John
Wicliffe in England ziemlich mit denſelben Waffen wie Lu-
ther, und durch verwandte nationale Regungen unterſtützt,
den Kampf mit dem Papſtthum unternommen hatte, aber
auf der Stelle hatte ſich ihm eine ſtürmiſche Bewegung
der unterſten Stände zugeſellt, die mit den Verbeſſe-
rungen des Dogma oder der Emancipation von dem rö-
miſchen Stuhle nicht zufrieden, auf die Vertilgung der
geſammten Pfründen beſetzenden Geiſtlichkeit, 1 ja auf die
Gleichmachung des Edelmanns und des Bauern, d. i. auf
eine vollſtändige Umkehr der Kirche und des Staates aus-
gieng. Mochte nun Wicliffe an dieſem Treiben Antheil
haben oder nicht, genug, von der Ungunſt welche es er-
weckte, ward auch er betroffen, und von dem Schauplatz
ſeiner Thätigkeit, von Oxford, von wo er ſich unmittelbar
in der Welt hätte Bahn machen können, auf den engen
Wirkungskreis einer Landpfarre verwieſen.
1 Vgl. Prioris et capituli Cantuarensis mandatum 16 Spt.
1381 bei Wilkins Concilia Magnae Britanniae III, 133.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |