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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.

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Bewegung in der Theologie.
entstanden Irrungen, von denen neue Zeiträume des Le-
bens und Denkens sich datiren sollten.

Wir dürfen die Thatsache nicht verkennen, daß die
wiklefitischen Lehren, die sich einst von Oxford über die
lateinische Christenheit verbreitet, und in Böhmen eine so
drohende Entwickelung genommen hatten, allen Hussiten-
kriegen zum Trotz doch auch in Deutschland nicht hatten
beseitigt werden können. Noch lange nachher finden wir
weithin ihre Spuren: in Baiern, wo sich der Böklerbund
hussitischer Meinungen verdächtig macht: in Schwaben
und Franken: hält es doch der Rath von Bamberg ein-
mal für nothwendig allen Männern einen Eid gegen die
Hussiten abzunehmen: bis nach Preußen, wo sich die An-
hänger wiklefitischer und hussitischer Meinungen endlich un-
terwerfen, aber nur scheinbar. 1 Um so bedeutender war es,
daß sich aus alle dem wilden Wogen hussitischer Meinun-
gen und Parteien die Genossenschaft der böhmischen Brü-
der emporgearbeitet hatte, welche wieder einmal eine christ-
liche Gemeine in der Unschuld und Einfachheit ihres er-
sten Ursprungs darstellte, und dem Grundsatz der Oppo-
sition, daß Christus selbst der Fels sey, auf dem die Kirche
gegründet, und nicht Petrus noch dessen Nachfolger, 2 ein
unerwartetes religiöses Leben gab. Von ihren Sitzen, wo
sich germanische und slawische Elemente durchdrangen, zo-
gen ihre Boten unbemerkt durch die weiten Gebiete ihrer

1 Zschokke Baier. Gesch. II, 429. Pfister Gesch. von Schwa-
ben V, 378. Baczko Gesch. von Preußen I, 256.
2 Was an ihren Lehren gefährlich schien, zeigen besonders die
Widerlegungen des Dominicaners Heinrich Institoris, von denen Rai-
naldus 1498 nr. 25 ausführliche Auszüge mittheilt.

Bewegung in der Theologie.
entſtanden Irrungen, von denen neue Zeiträume des Le-
bens und Denkens ſich datiren ſollten.

Wir dürfen die Thatſache nicht verkennen, daß die
wiklefitiſchen Lehren, die ſich einſt von Oxford über die
lateiniſche Chriſtenheit verbreitet, und in Böhmen eine ſo
drohende Entwickelung genommen hatten, allen Huſſiten-
kriegen zum Trotz doch auch in Deutſchland nicht hatten
beſeitigt werden können. Noch lange nachher finden wir
weithin ihre Spuren: in Baiern, wo ſich der Böklerbund
huſſitiſcher Meinungen verdächtig macht: in Schwaben
und Franken: hält es doch der Rath von Bamberg ein-
mal für nothwendig allen Männern einen Eid gegen die
Huſſiten abzunehmen: bis nach Preußen, wo ſich die An-
hänger wiklefitiſcher und huſſitiſcher Meinungen endlich un-
terwerfen, aber nur ſcheinbar. 1 Um ſo bedeutender war es,
daß ſich aus alle dem wilden Wogen huſſitiſcher Meinun-
gen und Parteien die Genoſſenſchaft der böhmiſchen Brü-
der emporgearbeitet hatte, welche wieder einmal eine chriſt-
liche Gemeine in der Unſchuld und Einfachheit ihres er-
ſten Urſprungs darſtellte, und dem Grundſatz der Oppo-
ſition, daß Chriſtus ſelbſt der Fels ſey, auf dem die Kirche
gegründet, und nicht Petrus noch deſſen Nachfolger, 2 ein
unerwartetes religiöſes Leben gab. Von ihren Sitzen, wo
ſich germaniſche und ſlawiſche Elemente durchdrangen, zo-
gen ihre Boten unbemerkt durch die weiten Gebiete ihrer

1 Zſchokke Baier. Geſch. II, 429. Pfiſter Geſch. von Schwa-
ben V, 378. Baczko Geſch. von Preußen I, 256.
2 Was an ihren Lehren gefaͤhrlich ſchien, zeigen beſonders die
Widerlegungen des Dominicaners Heinrich Inſtitoris, von denen Rai-
naldus 1498 nr. 25 ausfuͤhrliche Auszuͤge mittheilt.
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[285/0303] Bewegung in der Theologie. entſtanden Irrungen, von denen neue Zeiträume des Le- bens und Denkens ſich datiren ſollten. Wir dürfen die Thatſache nicht verkennen, daß die wiklefitiſchen Lehren, die ſich einſt von Oxford über die lateiniſche Chriſtenheit verbreitet, und in Böhmen eine ſo drohende Entwickelung genommen hatten, allen Huſſiten- kriegen zum Trotz doch auch in Deutſchland nicht hatten beſeitigt werden können. Noch lange nachher finden wir weithin ihre Spuren: in Baiern, wo ſich der Böklerbund huſſitiſcher Meinungen verdächtig macht: in Schwaben und Franken: hält es doch der Rath von Bamberg ein- mal für nothwendig allen Männern einen Eid gegen die Huſſiten abzunehmen: bis nach Preußen, wo ſich die An- hänger wiklefitiſcher und huſſitiſcher Meinungen endlich un- terwerfen, aber nur ſcheinbar. 1 Um ſo bedeutender war es, daß ſich aus alle dem wilden Wogen huſſitiſcher Meinun- gen und Parteien die Genoſſenſchaft der böhmiſchen Brü- der emporgearbeitet hatte, welche wieder einmal eine chriſt- liche Gemeine in der Unſchuld und Einfachheit ihres er- ſten Urſprungs darſtellte, und dem Grundſatz der Oppo- ſition, daß Chriſtus ſelbſt der Fels ſey, auf dem die Kirche gegründet, und nicht Petrus noch deſſen Nachfolger, 2 ein unerwartetes religiöſes Leben gab. Von ihren Sitzen, wo ſich germaniſche und ſlawiſche Elemente durchdrangen, zo- gen ihre Boten unbemerkt durch die weiten Gebiete ihrer 1 Zſchokke Baier. Geſch. II, 429. Pfiſter Geſch. von Schwa- ben V, 378. Baczko Geſch. von Preußen I, 256. 2 Was an ihren Lehren gefaͤhrlich ſchien, zeigen beſonders die Widerlegungen des Dominicaners Heinrich Inſtitoris, von denen Rai- naldus 1498 nr. 25 ausfuͤhrliche Auszuͤge mittheilt.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/303>, abgerufen am 22.11.2024.