Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.Zweites Buch. Erstes Capitel. groß und wohlgestaltet, würdig in alle seinem Thun undLassen, von einer äußeren Ruhe und Milde, die seinem Talente gleich auf den ersten Blick Vertrauen verschaffte. 1 Auch war er kein Autor der den Beifall des großen Pu- blicums der lateinischen Welt hätte gewinnen können; seine Diction ist nur mittelmäßig; Sinn für Eleganz und Form beweist er eigentlich nicht. Dagegen war er voll von ei- nem Durst zu lernen, von einem Eifer mitzutheilen, die ihres Gleichen nicht hatten. Er beschreibt selbst, wie er seine Wissenschaft stückweise zusammengebracht, Brosamen, die von des Herrn Tische fielen, -- zu Paris und im Va- tican, zu Florenz, Mailand, Basel, am kaiserlichen Hofe; wie er dann jenem Vogel des Apollonius gleich den Wei- zen anderem Geflügel zum Genuß überlassen habe. 2 Mit einem Wörterbuch, das besonders dazu beitrug die älteren scholastischen zu verdrängen, kam er den lateinischen, mit einer kleinen Grammatik den griechischen Studien zu Hülfe; er sparte weder Mühe noch Geld, um die classischen Au- toren entweder handschriftlich oder wie sie die italienischen Pressen verließen, über die Alpen herüberzubringen: woran kein Fürst und keine von jenen reichen Communen dachte, das bewirkte der Sohn eines armen Boten; in seiner Behausung berührte die wundervollste Hervorbringung der entfernten Jahrhunderte, die homerischen Gedichte, zuerst in ihrer äch- ten Gestalt den deutschen Geist, der sie einst der Welt wie- 1 Joannis Hiltebrandi Praefatio in Illustrium Virorum Epi- stolas ad Reuchlinum. 2 Praefatio ad rudimenta linguae hebraicae lib. III. Cf.
Burkhard de fatis linguae latinae p. 152. Zweites Buch. Erſtes Capitel. groß und wohlgeſtaltet, würdig in alle ſeinem Thun undLaſſen, von einer äußeren Ruhe und Milde, die ſeinem Talente gleich auf den erſten Blick Vertrauen verſchaffte. 1 Auch war er kein Autor der den Beifall des großen Pu- blicums der lateiniſchen Welt hätte gewinnen können; ſeine Diction iſt nur mittelmäßig; Sinn für Eleganz und Form beweiſt er eigentlich nicht. Dagegen war er voll von ei- nem Durſt zu lernen, von einem Eifer mitzutheilen, die ihres Gleichen nicht hatten. Er beſchreibt ſelbſt, wie er ſeine Wiſſenſchaft ſtückweiſe zuſammengebracht, Broſamen, die von des Herrn Tiſche fielen, — zu Paris und im Va- tican, zu Florenz, Mailand, Baſel, am kaiſerlichen Hofe; wie er dann jenem Vogel des Apollonius gleich den Wei- zen anderem Geflügel zum Genuß überlaſſen habe. 2 Mit einem Wörterbuch, das beſonders dazu beitrug die älteren ſcholaſtiſchen zu verdrängen, kam er den lateiniſchen, mit einer kleinen Grammatik den griechiſchen Studien zu Hülfe; er ſparte weder Mühe noch Geld, um die claſſiſchen Au- toren entweder handſchriftlich oder wie ſie die italieniſchen Preſſen verließen, über die Alpen herüberzubringen: woran kein Fürſt und keine von jenen reichen Communen dachte, das bewirkte der Sohn eines armen Boten; in ſeiner Behauſung berührte die wundervollſte Hervorbringung der entfernten Jahrhunderte, die homeriſchen Gedichte, zuerſt in ihrer äch- ten Geſtalt den deutſchen Geiſt, der ſie einſt der Welt wie- 1 Joannis Hiltebrandi Praefatio in Illustrium Virorum Epi- stolas ad Reuchlinum. 2 Praefatio ad rudimenta linguae hebraicae lib. III. Cf.
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Zweites Buch. Erſtes Capitel.
groß und wohlgeſtaltet, würdig in alle ſeinem Thun und
Laſſen, von einer äußeren Ruhe und Milde, die ſeinem
Talente gleich auf den erſten Blick Vertrauen verſchaffte. 1
Auch war er kein Autor der den Beifall des großen Pu-
blicums der lateiniſchen Welt hätte gewinnen können; ſeine
Diction iſt nur mittelmäßig; Sinn für Eleganz und Form
beweiſt er eigentlich nicht. Dagegen war er voll von ei-
nem Durſt zu lernen, von einem Eifer mitzutheilen, die
ihres Gleichen nicht hatten. Er beſchreibt ſelbſt, wie er
ſeine Wiſſenſchaft ſtückweiſe zuſammengebracht, Broſamen,
die von des Herrn Tiſche fielen, — zu Paris und im Va-
tican, zu Florenz, Mailand, Baſel, am kaiſerlichen Hofe;
wie er dann jenem Vogel des Apollonius gleich den Wei-
zen anderem Geflügel zum Genuß überlaſſen habe. 2 Mit
einem Wörterbuch, das beſonders dazu beitrug die älteren
ſcholaſtiſchen zu verdrängen, kam er den lateiniſchen, mit
einer kleinen Grammatik den griechiſchen Studien zu Hülfe;
er ſparte weder Mühe noch Geld, um die claſſiſchen Au-
toren entweder handſchriftlich oder wie ſie die italieniſchen
Preſſen verließen, über die Alpen herüberzubringen: woran
kein Fürſt und keine von jenen reichen Communen dachte, das
bewirkte der Sohn eines armen Boten; in ſeiner Behauſung
berührte die wundervollſte Hervorbringung der entfernten
Jahrhunderte, die homeriſchen Gedichte, zuerſt in ihrer äch-
ten Geſtalt den deutſchen Geiſt, der ſie einſt der Welt wie-
1 Joannis Hiltebrandi Praefatio in Illustrium Virorum Epi-
stolas ad Reuchlinum.
2 Praefatio ad rudimenta linguae hebraicae lib. III. Cf.
Burkhard de fatis linguae latinae p. 152.
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Zitationshilfe: | Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/292>, abgerufen am 21.06.2024. |