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Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839.

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Zweites Buch. Erstes Capitel.
genommen waren, allmählig an den meisten Universitäten
Vereine von Grammatikern und Poeten, welche mit dem
Geiste dieser Anstalten, wie er sich von Paris her vererbt,
in natürlichem durchgreifendem Widerspruche standen. Man
las die Alten und ließ wohl auch etwas von der Petulanz
eines Martial oder Ovid in das Leben übergehen; man
machte lateinische Verse, die man so ungelenk sie auch in
der Regel ausfielen wechselseitig bewunderte; man schrieb
einander lateinisch und versäumte nicht, einiges Griechische
einzuflechten; man latinisirte und gräcisirte seine Namen. 1
Wahres Talent, vollendete Ausbildung kamen hiebei nicht
eben häufig zum Vorschein; aber das Leben und die Kraft
einer Zeitgenossenschaft äußert sich auch nicht allein in
Virtuositäten; an der einen oder der andern ist es schon
genug; für die übrigen ist die Tendenz die Hauptsache. Gar
bald änderte sich der Geist der Universitäten. Man sah
die Scholaren nicht mehr, ihre Bücher unterm Arm, hin-
ter ihrem Magister sittig dahertreten; die Bursen lösten sich
auf, die Grade wurden nicht mehr gesucht; namentlich ver-
schmähte man das Baccalaureat, das auch in Italien nicht
gewöhnlich war: zuweilen erschienen die Verfechter der clas-
sischen Studien als Beförderer studentischer Unordnungen; 2
in den Kreisen der Jugend fand die Verspottung der dia-

lec-
1 Crachenberger bittet unter andern Reuchlin um die Auffin-
dung eines griechischen Namens "quo honestius in latinis literis
quam hoc barbaro uti possim."
Lynz 19 Febr. 1493.
2 Acta facultatis artium Friburgensis bei Riegger: Vita Za-
sii I, 42. Conclusum, ut dicatur doctori Zasio, quod scholari-
bus adhaereat faciendo eos rebelles in universitatis praejudicium.

Zweites Buch. Erſtes Capitel.
genommen waren, allmählig an den meiſten Univerſitäten
Vereine von Grammatikern und Poeten, welche mit dem
Geiſte dieſer Anſtalten, wie er ſich von Paris her vererbt,
in natürlichem durchgreifendem Widerſpruche ſtanden. Man
las die Alten und ließ wohl auch etwas von der Petulanz
eines Martial oder Ovid in das Leben übergehen; man
machte lateiniſche Verſe, die man ſo ungelenk ſie auch in
der Regel ausfielen wechſelſeitig bewunderte; man ſchrieb
einander lateiniſch und verſäumte nicht, einiges Griechiſche
einzuflechten; man latiniſirte und gräciſirte ſeine Namen. 1
Wahres Talent, vollendete Ausbildung kamen hiebei nicht
eben häufig zum Vorſchein; aber das Leben und die Kraft
einer Zeitgenoſſenſchaft äußert ſich auch nicht allein in
Virtuoſitäten; an der einen oder der andern iſt es ſchon
genug; für die übrigen iſt die Tendenz die Hauptſache. Gar
bald änderte ſich der Geiſt der Univerſitäten. Man ſah
die Scholaren nicht mehr, ihre Bücher unterm Arm, hin-
ter ihrem Magiſter ſittig dahertreten; die Burſen löſten ſich
auf, die Grade wurden nicht mehr geſucht; namentlich ver-
ſchmähte man das Baccalaureat, das auch in Italien nicht
gewöhnlich war: zuweilen erſchienen die Verfechter der claſ-
ſiſchen Studien als Beförderer ſtudentiſcher Unordnungen; 2
in den Kreiſen der Jugend fand die Verſpottung der dia-

lec-
1 Crachenberger bittet unter andern Reuchlin um die Auffin-
dung eines griechiſchen Namens „quo honestius in latinis literis
quam hoc barbaro uti possim.“
Lynz 19 Febr. 1493.
2 Acta facultatis artium Friburgensis bei Riegger: Vita Za-
sii I, 42. Conclusum, ut dicatur doctori Zasio, quod scholari-
bus adhaereat faciendo eos rebelles in universitatis praejudicium.
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[272/0290] Zweites Buch. Erſtes Capitel. genommen waren, allmählig an den meiſten Univerſitäten Vereine von Grammatikern und Poeten, welche mit dem Geiſte dieſer Anſtalten, wie er ſich von Paris her vererbt, in natürlichem durchgreifendem Widerſpruche ſtanden. Man las die Alten und ließ wohl auch etwas von der Petulanz eines Martial oder Ovid in das Leben übergehen; man machte lateiniſche Verſe, die man ſo ungelenk ſie auch in der Regel ausfielen wechſelſeitig bewunderte; man ſchrieb einander lateiniſch und verſäumte nicht, einiges Griechiſche einzuflechten; man latiniſirte und gräciſirte ſeine Namen. 1 Wahres Talent, vollendete Ausbildung kamen hiebei nicht eben häufig zum Vorſchein; aber das Leben und die Kraft einer Zeitgenoſſenſchaft äußert ſich auch nicht allein in Virtuoſitäten; an der einen oder der andern iſt es ſchon genug; für die übrigen iſt die Tendenz die Hauptſache. Gar bald änderte ſich der Geiſt der Univerſitäten. Man ſah die Scholaren nicht mehr, ihre Bücher unterm Arm, hin- ter ihrem Magiſter ſittig dahertreten; die Burſen löſten ſich auf, die Grade wurden nicht mehr geſucht; namentlich ver- ſchmähte man das Baccalaureat, das auch in Italien nicht gewöhnlich war: zuweilen erſchienen die Verfechter der claſ- ſiſchen Studien als Beförderer ſtudentiſcher Unordnungen; 2 in den Kreiſen der Jugend fand die Verſpottung der dia- lec- 1 Crachenberger bittet unter andern Reuchlin um die Auffin- dung eines griechiſchen Namens „quo honestius in latinis literis quam hoc barbaro uti possim.“ Lynz 19 Febr. 1493. 2 Acta facultatis artium Friburgensis bei Riegger: Vita Za- sii I, 42. Conclusum, ut dicatur doctori Zasio, quod scholari- bus adhaereat faciendo eos rebelles in universitatis praejudicium.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bd. 1. Berlin, 1839, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_reformation01_1839/290>, abgerufen am 24.11.2024.