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Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 3. Berlin, 1836.

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Innere Gährungen.
waren; aber zunächst wirkten sie zusammen. Sie brachten
jenen Geist der Neuerung hervor, der um so weiter um
sich greift, je weniger er ein bestimmtes Ziel hat, je mehr
er die gesammte Zukunft in Anspruch nimmt, und der aus
den Mißbräuchen des Bestehenden täglich neue Kräfte
saugt. Dieser Geist ergriff jetzt die katholische Kirche. Zu
Grunde lag ihm wohl in der Regel, bewußt oder unbe-
wußt, was man die Philosophie des achtzehnten Jahrhun-
derts genannt hat; die jansenistischen Theorien gaben ihm
kirchliche Form und Haltung; zur Thätigkeit trieb ihn das
Bedürfniß der Staaten, die Gelegenheit des Momentes an.
In allen Ländern, an allen Höfen bildeten sich zwei Par-
teien aus, von denen die eine der Curie, der geltenden Ver-
fassung und Lehre den Krieg machte, die andere die Dinge
wie sie waren, die Prärogative der allgemeinen Kirche fest-
zuhalten suchte.

Die letzte stellte sich vor allem in den Jesuiten dar;
der Orden erschien als das Hauptbollwerk der ultramon-
tanen Grundsätze: zunächst gegen ihn richtete sich der
Sturm.



Noch in dem achtzehnten Jahrhundert waren die Je-
suiten sehr mächtig; wie früher, hauptsächlich dadurch, daß
sie die Beichtstühle der Großen und der Fürsten inne hat-
ten, und den Unterricht der Jugend leiteten; ihre Unter-
nehmungen, sey es der Religion, wiewohl diese nicht mit
der alten Energie getrieben wurden, oder auch des Handels,
umfaßten noch immer die Welt. Jetzt hielten sie sich ohne

Innere Gaͤhrungen.
waren; aber zunaͤchſt wirkten ſie zuſammen. Sie brachten
jenen Geiſt der Neuerung hervor, der um ſo weiter um
ſich greift, je weniger er ein beſtimmtes Ziel hat, je mehr
er die geſammte Zukunft in Anſpruch nimmt, und der aus
den Mißbraͤuchen des Beſtehenden taͤglich neue Kraͤfte
ſaugt. Dieſer Geiſt ergriff jetzt die katholiſche Kirche. Zu
Grunde lag ihm wohl in der Regel, bewußt oder unbe-
wußt, was man die Philoſophie des achtzehnten Jahrhun-
derts genannt hat; die janſeniſtiſchen Theorien gaben ihm
kirchliche Form und Haltung; zur Thaͤtigkeit trieb ihn das
Beduͤrfniß der Staaten, die Gelegenheit des Momentes an.
In allen Laͤndern, an allen Hoͤfen bildeten ſich zwei Par-
teien aus, von denen die eine der Curie, der geltenden Ver-
faſſung und Lehre den Krieg machte, die andere die Dinge
wie ſie waren, die Praͤrogative der allgemeinen Kirche feſt-
zuhalten ſuchte.

Die letzte ſtellte ſich vor allem in den Jeſuiten dar;
der Orden erſchien als das Hauptbollwerk der ultramon-
tanen Grundſaͤtze: zunaͤchſt gegen ihn richtete ſich der
Sturm.



Noch in dem achtzehnten Jahrhundert waren die Je-
ſuiten ſehr maͤchtig; wie fruͤher, hauptſaͤchlich dadurch, daß
ſie die Beichtſtuͤhle der Großen und der Fuͤrſten inne hat-
ten, und den Unterricht der Jugend leiteten; ihre Unter-
nehmungen, ſey es der Religion, wiewohl dieſe nicht mit
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[189/0201] Innere Gaͤhrungen. waren; aber zunaͤchſt wirkten ſie zuſammen. Sie brachten jenen Geiſt der Neuerung hervor, der um ſo weiter um ſich greift, je weniger er ein beſtimmtes Ziel hat, je mehr er die geſammte Zukunft in Anſpruch nimmt, und der aus den Mißbraͤuchen des Beſtehenden taͤglich neue Kraͤfte ſaugt. Dieſer Geiſt ergriff jetzt die katholiſche Kirche. Zu Grunde lag ihm wohl in der Regel, bewußt oder unbe- wußt, was man die Philoſophie des achtzehnten Jahrhun- derts genannt hat; die janſeniſtiſchen Theorien gaben ihm kirchliche Form und Haltung; zur Thaͤtigkeit trieb ihn das Beduͤrfniß der Staaten, die Gelegenheit des Momentes an. In allen Laͤndern, an allen Hoͤfen bildeten ſich zwei Par- teien aus, von denen die eine der Curie, der geltenden Ver- faſſung und Lehre den Krieg machte, die andere die Dinge wie ſie waren, die Praͤrogative der allgemeinen Kirche feſt- zuhalten ſuchte. Die letzte ſtellte ſich vor allem in den Jeſuiten dar; der Orden erſchien als das Hauptbollwerk der ultramon- tanen Grundſaͤtze: zunaͤchſt gegen ihn richtete ſich der Sturm. Noch in dem achtzehnten Jahrhundert waren die Je- ſuiten ſehr maͤchtig; wie fruͤher, hauptſaͤchlich dadurch, daß ſie die Beichtſtuͤhle der Großen und der Fuͤrſten inne hat- ten, und den Unterricht der Jugend leiteten; ihre Unter- nehmungen, ſey es der Religion, wiewohl dieſe nicht mit der alten Energie getrieben wurden, oder auch des Handels, umfaßten noch immer die Welt. Jetzt hielten ſie ſich ohne

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 3. Berlin, 1836, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste03_1836/201>, abgerufen am 28.11.2024.