Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 3. Berlin, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

Jansenisten.
denzen so kühn entgegenstellte, sondern weil es dieß dadurch
that, daß es die herkömmlichen Formeln von Gnade, Sünde
und Vergebung aufs neue zu lebendigen Gedanken durch-
bildete.

Jansenius geht von der Unfreiheit des menschlichen
Willens aus: durch die Begierde nach irdischen Dingen sey
er gefesselt, in Knechtschaft gehalten: aus eigener Kraft ver-
möge er sich aus diesem Zustande nicht zu erheben: die
Gnade müsse ihm zu Hülfe kommen, die Gnade, die nicht
sowohl Vergebung der Sünden als die Befreiung der Seele
von den Banden der Begierde sey 1).

Hier tritt sogleich seine unterscheidende Ansicht her-
vor. Die Gnade läßt er durch das höhere und reinere
Vergnügen eintreten, welches die Seele an den göttlichen
Dingen empfinde. Die wirksame Gnade des Heilandes
sagt er, ist nichts anders, als ein geistliches Ergötzen,
durch welches der Wille bewogen wird zu wollen und zu
vollbringen was Gott beschlossen hat. Sie ist die un-
willkürliche von Gott dem Willen eingeflößte Bewegung,
durch welche das Gute dem Menschen wohlgefällt, und er
bewogen wird darnach zu streben 2). Wiederholt schärft
er ein, daß das Gute nicht aus Furcht vor der Strafe,
sondern aus Liebe zur Gerechtigkeit gethan werden müsse.


1) Corn. Jansenii Augustinus tom. III, lib. I, c. II. Li-
beratio voluntatis non est peccati remissio, sed relaxatio quae-
dam delectabilis vinculi concupiscentialis, cui innexus servit
animus quoad per gratiam infusa coelesti dulcedine ad suprema
diligenda transferatur.
So versteht auch Pascal diese Lehre. Dieu
change le coeur de l'homme par une douceur celeste qu'il y
repand. Les Provinciales 1. XVIII, tom. III, p. 413.
2) Tom. III, lib. IV, c. I.

Janſeniſten.
denzen ſo kuͤhn entgegenſtellte, ſondern weil es dieß dadurch
that, daß es die herkoͤmmlichen Formeln von Gnade, Suͤnde
und Vergebung aufs neue zu lebendigen Gedanken durch-
bildete.

Janſenius geht von der Unfreiheit des menſchlichen
Willens aus: durch die Begierde nach irdiſchen Dingen ſey
er gefeſſelt, in Knechtſchaft gehalten: aus eigener Kraft ver-
moͤge er ſich aus dieſem Zuſtande nicht zu erheben: die
Gnade muͤſſe ihm zu Huͤlfe kommen, die Gnade, die nicht
ſowohl Vergebung der Suͤnden als die Befreiung der Seele
von den Banden der Begierde ſey 1).

Hier tritt ſogleich ſeine unterſcheidende Anſicht her-
vor. Die Gnade laͤßt er durch das hoͤhere und reinere
Vergnuͤgen eintreten, welches die Seele an den goͤttlichen
Dingen empfinde. Die wirkſame Gnade des Heilandes
ſagt er, iſt nichts anders, als ein geiſtliches Ergoͤtzen,
durch welches der Wille bewogen wird zu wollen und zu
vollbringen was Gott beſchloſſen hat. Sie iſt die un-
willkuͤrliche von Gott dem Willen eingefloͤßte Bewegung,
durch welche das Gute dem Menſchen wohlgefaͤllt, und er
bewogen wird darnach zu ſtreben 2). Wiederholt ſchaͤrft
er ein, daß das Gute nicht aus Furcht vor der Strafe,
ſondern aus Liebe zur Gerechtigkeit gethan werden muͤſſe.


1) Corn. Jansenii Augustinus tom. III, lib. I, c. II. Li-
beratio voluntatis non est peccati remissio, sed relaxatio quae-
dam delectabilis vinculi concupiscentialis, cui innexus servit
animus quoad per gratiam infusa coelesti dulcedine ad suprema
diligenda transferatur.
So verſteht auch Pascal dieſe Lehre. Dieu
change le coeur de l’homme par une douceur céleste qu’il y
répand. Les Provinciales 1. XVIII, tom. III, p. 413.
2) Tom. III, lib. IV, c. I.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0149" n="137"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Jan&#x017F;eni&#x017F;ten</hi>.</fw><lb/>
denzen &#x017F;o ku&#x0364;hn entgegen&#x017F;tellte, &#x017F;ondern weil es dieß dadurch<lb/>
that, daß es die herko&#x0364;mmlichen Formeln von Gnade, Su&#x0364;nde<lb/>
und Vergebung aufs neue zu lebendigen Gedanken durch-<lb/>
bildete.</p><lb/>
          <p>Jan&#x017F;enius geht von der Unfreiheit des men&#x017F;chlichen<lb/>
Willens aus: durch die Begierde nach irdi&#x017F;chen Dingen &#x017F;ey<lb/>
er gefe&#x017F;&#x017F;elt, in Knecht&#x017F;chaft gehalten: aus eigener Kraft ver-<lb/>
mo&#x0364;ge er &#x017F;ich aus die&#x017F;em Zu&#x017F;tande nicht zu erheben: die<lb/>
Gnade mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e ihm zu Hu&#x0364;lfe kommen, die Gnade, die nicht<lb/>
&#x017F;owohl Vergebung der Su&#x0364;nden als die Befreiung der Seele<lb/>
von den Banden der Begierde &#x017F;ey <note place="foot" n="1)"><hi rendition="#aq">Corn. Jansenii Augustinus tom. III, lib. I, c. II. Li-<lb/>
beratio voluntatis non est peccati remissio, sed relaxatio quae-<lb/>
dam delectabilis vinculi concupiscentialis, cui innexus servit<lb/>
animus quoad per gratiam infusa coelesti dulcedine ad suprema<lb/>
diligenda transferatur.</hi> So ver&#x017F;teht auch Pascal die&#x017F;e Lehre. <hi rendition="#aq">Dieu<lb/>
change le coeur de l&#x2019;homme par une douceur céleste qu&#x2019;il y<lb/>
répand. Les Provinciales 1. XVIII, tom. III, p. 413.</hi></note>.</p><lb/>
          <p>Hier tritt &#x017F;ogleich &#x017F;eine unter&#x017F;cheidende An&#x017F;icht her-<lb/>
vor. Die Gnade la&#x0364;ßt er durch das ho&#x0364;here und reinere<lb/>
Vergnu&#x0364;gen eintreten, welches die Seele an den go&#x0364;ttlichen<lb/>
Dingen empfinde. Die wirk&#x017F;ame Gnade des Heilandes<lb/>
&#x017F;agt er, i&#x017F;t nichts anders, als ein gei&#x017F;tliches Ergo&#x0364;tzen,<lb/>
durch welches der Wille bewogen wird zu wollen und zu<lb/>
vollbringen was Gott be&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en hat. Sie i&#x017F;t die un-<lb/>
willku&#x0364;rliche von Gott dem Willen eingeflo&#x0364;ßte Bewegung,<lb/>
durch welche das Gute dem Men&#x017F;chen wohlgefa&#x0364;llt, und er<lb/>
bewogen wird darnach zu &#x017F;treben <note place="foot" n="2)"><hi rendition="#aq">Tom. III, lib. IV, c. I.</hi></note>. Wiederholt &#x017F;cha&#x0364;rft<lb/>
er ein, daß das Gute nicht aus Furcht vor der Strafe,<lb/>
&#x017F;ondern aus Liebe zur Gerechtigkeit gethan werden mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[137/0149] Janſeniſten. denzen ſo kuͤhn entgegenſtellte, ſondern weil es dieß dadurch that, daß es die herkoͤmmlichen Formeln von Gnade, Suͤnde und Vergebung aufs neue zu lebendigen Gedanken durch- bildete. Janſenius geht von der Unfreiheit des menſchlichen Willens aus: durch die Begierde nach irdiſchen Dingen ſey er gefeſſelt, in Knechtſchaft gehalten: aus eigener Kraft ver- moͤge er ſich aus dieſem Zuſtande nicht zu erheben: die Gnade muͤſſe ihm zu Huͤlfe kommen, die Gnade, die nicht ſowohl Vergebung der Suͤnden als die Befreiung der Seele von den Banden der Begierde ſey 1). Hier tritt ſogleich ſeine unterſcheidende Anſicht her- vor. Die Gnade laͤßt er durch das hoͤhere und reinere Vergnuͤgen eintreten, welches die Seele an den goͤttlichen Dingen empfinde. Die wirkſame Gnade des Heilandes ſagt er, iſt nichts anders, als ein geiſtliches Ergoͤtzen, durch welches der Wille bewogen wird zu wollen und zu vollbringen was Gott beſchloſſen hat. Sie iſt die un- willkuͤrliche von Gott dem Willen eingefloͤßte Bewegung, durch welche das Gute dem Menſchen wohlgefaͤllt, und er bewogen wird darnach zu ſtreben 2). Wiederholt ſchaͤrft er ein, daß das Gute nicht aus Furcht vor der Strafe, ſondern aus Liebe zur Gerechtigkeit gethan werden muͤſſe. 1) Corn. Jansenii Augustinus tom. III, lib. I, c. II. Li- beratio voluntatis non est peccati remissio, sed relaxatio quae- dam delectabilis vinculi concupiscentialis, cui innexus servit animus quoad per gratiam infusa coelesti dulcedine ad suprema diligenda transferatur. So verſteht auch Pascal dieſe Lehre. Dieu change le coeur de l’homme par une douceur céleste qu’il y répand. Les Provinciales 1. XVIII, tom. III, p. 413. 2) Tom. III, lib. IV, c. I.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste03_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste03_1836/149
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 3. Berlin, 1836, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste03_1836/149>, abgerufen am 24.11.2024.