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Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 2. Berlin, 1836.

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Gleichgewichtes der beiden Bekenntnisse.
Verflachung und Verkümmerung der geistlichen Antriebe
zu suchen: ich denke, wir werden den Inhalt und die Be-
deutung des Ereignisses anders fassen müssen.

Einmal hatte der große geistliche Kampf seine Wir-
kung in den Gemüthern vollbracht.

In den frühern Zeiten war das Christenthum mehr
eine Sache der Ueberlieferung, der naiven Annahme, des
von Zweifeln unberührten Glaubens gewesen: jetzt war es
eine Sache der Ueberzeugung, der bewußten Hingebung ge-
worden. Von hoher Bedeutung ist es, daß man zwischen
den verschiedenen Bekenntnissen zu wählen hatte: daß man
verwerfen, abfallen, übertreten konnte. Die Person ward
in Anspruch genommen, ihre freie Selbstbestimmung her-
ausgefordert. Hiedurch geschah, daß die christlichen Ideen
alles Leben und Denken noch tiefer und vollständiger durch-
drangen.

Dazu kommt dann ein anderer Moment.

Wohl ist es wahr, daß das Ueberhandnehmen der in-
nern Gegensätze die Einheit der Gesammtheit zerstört: aber
es ist, wenn wir uns nicht täuschen, ein anderes Gesetz
des Lebens, daß sich damit doch auch zugleich eine höhere
und größere Entwickelung vorbereitet.

In dem Gedränge des allgemeinen Kampfes war die
Religion nach den verschiedenen Abwandlungen ihrer dogma-
tischen Ausbildung von den Nationen ergriffen worden: mit
dem Gefühl der Nationalität hatte sich das Dogma ver-
schmolzen, wie ein Besitz der Gemeinsamkeit, des Staates
oder des Volkes. Mit den Waffen war es erkämpft, unter
tausend Gefahren behauptet, in Fleisch und Blut war es
übergegangen.


Gleichgewichtes der beiden Bekenntniſſe.
Verflachung und Verkuͤmmerung der geiſtlichen Antriebe
zu ſuchen: ich denke, wir werden den Inhalt und die Be-
deutung des Ereigniſſes anders faſſen muͤſſen.

Einmal hatte der große geiſtliche Kampf ſeine Wir-
kung in den Gemuͤthern vollbracht.

In den fruͤhern Zeiten war das Chriſtenthum mehr
eine Sache der Ueberlieferung, der naiven Annahme, des
von Zweifeln unberuͤhrten Glaubens geweſen: jetzt war es
eine Sache der Ueberzeugung, der bewußten Hingebung ge-
worden. Von hoher Bedeutung iſt es, daß man zwiſchen
den verſchiedenen Bekenntniſſen zu waͤhlen hatte: daß man
verwerfen, abfallen, uͤbertreten konnte. Die Perſon ward
in Anſpruch genommen, ihre freie Selbſtbeſtimmung her-
ausgefordert. Hiedurch geſchah, daß die chriſtlichen Ideen
alles Leben und Denken noch tiefer und vollſtaͤndiger durch-
drangen.

Dazu kommt dann ein anderer Moment.

Wohl iſt es wahr, daß das Ueberhandnehmen der in-
nern Gegenſaͤtze die Einheit der Geſammtheit zerſtoͤrt: aber
es iſt, wenn wir uns nicht taͤuſchen, ein anderes Geſetz
des Lebens, daß ſich damit doch auch zugleich eine hoͤhere
und groͤßere Entwickelung vorbereitet.

In dem Gedraͤnge des allgemeinen Kampfes war die
Religion nach den verſchiedenen Abwandlungen ihrer dogma-
tiſchen Ausbildung von den Nationen ergriffen worden: mit
dem Gefuͤhl der Nationalitaͤt hatte ſich das Dogma ver-
ſchmolzen, wie ein Beſitz der Gemeinſamkeit, des Staates
oder des Volkes. Mit den Waffen war es erkaͤmpft, unter
tauſend Gefahren behauptet, in Fleiſch und Blut war es
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[575/0587] Gleichgewichtes der beiden Bekenntniſſe. Verflachung und Verkuͤmmerung der geiſtlichen Antriebe zu ſuchen: ich denke, wir werden den Inhalt und die Be- deutung des Ereigniſſes anders faſſen muͤſſen. Einmal hatte der große geiſtliche Kampf ſeine Wir- kung in den Gemuͤthern vollbracht. In den fruͤhern Zeiten war das Chriſtenthum mehr eine Sache der Ueberlieferung, der naiven Annahme, des von Zweifeln unberuͤhrten Glaubens geweſen: jetzt war es eine Sache der Ueberzeugung, der bewußten Hingebung ge- worden. Von hoher Bedeutung iſt es, daß man zwiſchen den verſchiedenen Bekenntniſſen zu waͤhlen hatte: daß man verwerfen, abfallen, uͤbertreten konnte. Die Perſon ward in Anſpruch genommen, ihre freie Selbſtbeſtimmung her- ausgefordert. Hiedurch geſchah, daß die chriſtlichen Ideen alles Leben und Denken noch tiefer und vollſtaͤndiger durch- drangen. Dazu kommt dann ein anderer Moment. Wohl iſt es wahr, daß das Ueberhandnehmen der in- nern Gegenſaͤtze die Einheit der Geſammtheit zerſtoͤrt: aber es iſt, wenn wir uns nicht taͤuſchen, ein anderes Geſetz des Lebens, daß ſich damit doch auch zugleich eine hoͤhere und groͤßere Entwickelung vorbereitet. In dem Gedraͤnge des allgemeinen Kampfes war die Religion nach den verſchiedenen Abwandlungen ihrer dogma- tiſchen Ausbildung von den Nationen ergriffen worden: mit dem Gefuͤhl der Nationalitaͤt hatte ſich das Dogma ver- ſchmolzen, wie ein Beſitz der Gemeinſamkeit, des Staates oder des Volkes. Mit den Waffen war es erkaͤmpft, unter tauſend Gefahren behauptet, in Fleiſch und Blut war es uͤbergegangen.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 2. Berlin, 1836, S. 575. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste02_1836/587>, abgerufen am 24.11.2024.