Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 2. Berlin, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

Buch V. Gegenreformationen.
ten herunterströmte. Bald unterschieden sich auch in Wien
die Kinder, welche die Schulen der Jesuiten besuchten, dadurch,
daß sie an den Fasttagen die verbotenen Speisen standhaft
verschmähten, von denen ihre Eltern ohne Scrupel genos-
sen. In Cöln ward es wieder eine Ehre, den Rosenkranz
zu tragen. In Trier begann man Reliquien zu verehren,
mit denen sich seit vielen Jahren kein Mensch mehr her-
vorgewagt hatte. Schon im Jahre 1560 pilgerte die in-
golstädtische Jugend aus der jesuitischen Schule paarweise
nach Eichstädt, um bei der Firmelung "mit dem Thau"
gestärkt zu werden, "der aus dem Grabe der heiligen
Walpurgis träufele." Eine Gesinnung, die in den Schu-
len gegründet, durch Predigt und Beichte über die ge-
sammte Bevölkerung ausgebreitet wurde.

Es ist dieß ein Fall, wie er vielleicht in der Weltge-
schichte niemals wieder auf eine ähnliche Weise vorgekom-
men ist.

Wenn eine neue geistige Bewegung die Menschen er-
griffen hat, ist es immer durch großartige Persönlichkei-
ten, durch die hinreißende Gewalt neuer Ideen geschehen.
Hier ward die Wirkung vollbracht, ohne große geistige Pro-
duction. Die Jesuiten mochten gelehrt und auf ihre Art
fromm seyn: aber Niemand wird sagen, daß ihre Wissen-
schaft auf einem freien Schwunge des Geistes beruhe, daß
ihre Frömmigkeit von der Tiefe und Ingenuität eines ein-
fachen Gemüthes ausgegangen sey. Sie sind gelehrt ge-
nug, um Ruf zu haben, Zutrauen zu erwecken, Schüler
zu bilden und festzuhalten: weiter streben sie nicht. Ihre

Buch V. Gegenreformationen.
ten herunterſtroͤmte. Bald unterſchieden ſich auch in Wien
die Kinder, welche die Schulen der Jeſuiten beſuchten, dadurch,
daß ſie an den Faſttagen die verbotenen Speiſen ſtandhaft
verſchmaͤhten, von denen ihre Eltern ohne Scrupel genoſ-
ſen. In Coͤln ward es wieder eine Ehre, den Roſenkranz
zu tragen. In Trier begann man Reliquien zu verehren,
mit denen ſich ſeit vielen Jahren kein Menſch mehr her-
vorgewagt hatte. Schon im Jahre 1560 pilgerte die in-
golſtaͤdtiſche Jugend aus der jeſuitiſchen Schule paarweiſe
nach Eichſtaͤdt, um bei der Firmelung „mit dem Thau“
geſtaͤrkt zu werden, „der aus dem Grabe der heiligen
Walpurgis traͤufele.“ Eine Geſinnung, die in den Schu-
len gegruͤndet, durch Predigt und Beichte uͤber die ge-
ſammte Bevoͤlkerung ausgebreitet wurde.

Es iſt dieß ein Fall, wie er vielleicht in der Weltge-
ſchichte niemals wieder auf eine aͤhnliche Weiſe vorgekom-
men iſt.

Wenn eine neue geiſtige Bewegung die Menſchen er-
griffen hat, iſt es immer durch großartige Perſoͤnlichkei-
ten, durch die hinreißende Gewalt neuer Ideen geſchehen.
Hier ward die Wirkung vollbracht, ohne große geiſtige Pro-
duction. Die Jeſuiten mochten gelehrt und auf ihre Art
fromm ſeyn: aber Niemand wird ſagen, daß ihre Wiſſen-
ſchaft auf einem freien Schwunge des Geiſtes beruhe, daß
ihre Froͤmmigkeit von der Tiefe und Ingenuitaͤt eines ein-
fachen Gemuͤthes ausgegangen ſey. Sie ſind gelehrt ge-
nug, um Ruf zu haben, Zutrauen zu erwecken, Schuͤler
zu bilden und feſtzuhalten: weiter ſtreben ſie nicht. Ihre

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0046" n="34"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Buch <hi rendition="#aq">V.</hi> Gegenreformationen</hi>.</fw><lb/>
ten herunter&#x017F;tro&#x0364;mte. Bald unter&#x017F;chieden &#x017F;ich auch in Wien<lb/>
die Kinder, welche die Schulen der Je&#x017F;uiten be&#x017F;uchten, dadurch,<lb/>
daß &#x017F;ie an den Fa&#x017F;ttagen die verbotenen Spei&#x017F;en &#x017F;tandhaft<lb/>
ver&#x017F;chma&#x0364;hten, von denen ihre Eltern ohne Scrupel geno&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en. In Co&#x0364;ln ward es wieder eine Ehre, den Ro&#x017F;enkranz<lb/>
zu tragen. In Trier begann man Reliquien zu verehren,<lb/>
mit denen &#x017F;ich &#x017F;eit vielen Jahren kein Men&#x017F;ch mehr her-<lb/>
vorgewagt hatte. Schon im Jahre 1560 pilgerte die in-<lb/>
gol&#x017F;ta&#x0364;dti&#x017F;che Jugend aus der je&#x017F;uiti&#x017F;chen Schule paarwei&#x017F;e<lb/>
nach Eich&#x017F;ta&#x0364;dt, um bei der Firmelung &#x201E;mit dem Thau&#x201C;<lb/>
ge&#x017F;ta&#x0364;rkt zu werden, &#x201E;der aus dem Grabe der heiligen<lb/>
Walpurgis tra&#x0364;ufele.&#x201C; Eine Ge&#x017F;innung, die in den Schu-<lb/>
len gegru&#x0364;ndet, durch Predigt und Beichte u&#x0364;ber die ge-<lb/>
&#x017F;ammte Bevo&#x0364;lkerung ausgebreitet wurde.</p><lb/>
          <p>Es i&#x017F;t dieß ein Fall, wie er vielleicht in der Weltge-<lb/>
&#x017F;chichte niemals wieder auf eine a&#x0364;hnliche Wei&#x017F;e vorgekom-<lb/>
men i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Wenn eine neue gei&#x017F;tige Bewegung die Men&#x017F;chen er-<lb/>
griffen hat, i&#x017F;t es immer durch großartige Per&#x017F;o&#x0364;nlichkei-<lb/>
ten, durch die hinreißende Gewalt neuer Ideen ge&#x017F;chehen.<lb/>
Hier ward die Wirkung vollbracht, ohne große gei&#x017F;tige Pro-<lb/>
duction. Die Je&#x017F;uiten mochten gelehrt und auf ihre Art<lb/>
fromm &#x017F;eyn: aber Niemand wird &#x017F;agen, daß ihre Wi&#x017F;&#x017F;en-<lb/>
&#x017F;chaft auf einem freien Schwunge des Gei&#x017F;tes beruhe, daß<lb/>
ihre Fro&#x0364;mmigkeit von der Tiefe und Ingenuita&#x0364;t eines ein-<lb/>
fachen Gemu&#x0364;thes ausgegangen &#x017F;ey. Sie &#x017F;ind gelehrt ge-<lb/>
nug, um Ruf zu haben, Zutrauen zu erwecken, Schu&#x0364;ler<lb/>
zu bilden und fe&#x017F;tzuhalten: weiter &#x017F;treben &#x017F;ie nicht. Ihre<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[34/0046] Buch V. Gegenreformationen. ten herunterſtroͤmte. Bald unterſchieden ſich auch in Wien die Kinder, welche die Schulen der Jeſuiten beſuchten, dadurch, daß ſie an den Faſttagen die verbotenen Speiſen ſtandhaft verſchmaͤhten, von denen ihre Eltern ohne Scrupel genoſ- ſen. In Coͤln ward es wieder eine Ehre, den Roſenkranz zu tragen. In Trier begann man Reliquien zu verehren, mit denen ſich ſeit vielen Jahren kein Menſch mehr her- vorgewagt hatte. Schon im Jahre 1560 pilgerte die in- golſtaͤdtiſche Jugend aus der jeſuitiſchen Schule paarweiſe nach Eichſtaͤdt, um bei der Firmelung „mit dem Thau“ geſtaͤrkt zu werden, „der aus dem Grabe der heiligen Walpurgis traͤufele.“ Eine Geſinnung, die in den Schu- len gegruͤndet, durch Predigt und Beichte uͤber die ge- ſammte Bevoͤlkerung ausgebreitet wurde. Es iſt dieß ein Fall, wie er vielleicht in der Weltge- ſchichte niemals wieder auf eine aͤhnliche Weiſe vorgekom- men iſt. Wenn eine neue geiſtige Bewegung die Menſchen er- griffen hat, iſt es immer durch großartige Perſoͤnlichkei- ten, durch die hinreißende Gewalt neuer Ideen geſchehen. Hier ward die Wirkung vollbracht, ohne große geiſtige Pro- duction. Die Jeſuiten mochten gelehrt und auf ihre Art fromm ſeyn: aber Niemand wird ſagen, daß ihre Wiſſen- ſchaft auf einem freien Schwunge des Geiſtes beruhe, daß ihre Froͤmmigkeit von der Tiefe und Ingenuitaͤt eines ein- fachen Gemuͤthes ausgegangen ſey. Sie ſind gelehrt ge- nug, um Ruf zu haben, Zutrauen zu erwecken, Schuͤler zu bilden und feſtzuhalten: weiter ſtreben ſie nicht. Ihre

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste02_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste02_1836/46
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 2. Berlin, 1836, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste02_1836/46>, abgerufen am 03.12.2024.