man sich zusammennahm und sie überlegte, mußten sie her- vortreten.
Von eigentlich christlicher Gesinnung und Ueberzeu- gung konnte unter diesen Umständen nicht weiter die Rede seyn. Es erhob sich vielmehr ein grader Widerspruch gegen dieselbe.
Die Schulen der Philosophen waren in Streit, ob die vernünftige Seele zwar immateriell und unsterblich, aber eine einzige in allen Menschen, oder ob sie gradezu sterblich sey. Das letzte zu behaupten, entschied sich der namhaf- teste der damaligen Philosophen, Pietro Pomponazzo. Er verglich sich mit dem Prometheus, dessen Herz der Geyer fresse, weil er dem Jupiter sein Feuer stehlen wolle. Aber mit aller dieser schmerzvollen Anstrengung, mit allem die- sen Scharfsinn gelangte er zu keinem andern Resultat, "als daß, wenn der Gesetzgeber festgestellt, daß die Seele un- sterblich, er dieß gethan habe, ohne sich um die Wahrheit zu bekümmern" 1).
Man darf nicht glauben, diese Gesinnung sey nur We- nigen eigen gewesen oder verheimlicht worden. Erasmus ist erstaunt, welche Gotteslästerungen er anzuhören bekam; man suchte ihm, einem Fremden, aus Plinius zu bewei-
1) Pomponazzo hatte hierüber sehr ernstliche Anfechtungen, wie unter andern aus einem Auszug päpstlicher Briefe von Contelori hervorgeht. Petrus de Mantua heißt es darin asseruit, quod anima rationalis secundum propria philosophiae et mentem Aristotelis sit seu videatur mortalis, contra determinationem concilii Late- ranensis: Papa mandat ut dictus Petrus revocet: alias contra ipsum procedatur. 13 Junii 1518.
Kap. II.Die Kirche im Anf. des 16. Jahrh.
man ſich zuſammennahm und ſie uͤberlegte, mußten ſie her- vortreten.
Von eigentlich chriſtlicher Geſinnung und Ueberzeu- gung konnte unter dieſen Umſtaͤnden nicht weiter die Rede ſeyn. Es erhob ſich vielmehr ein grader Widerſpruch gegen dieſelbe.
Die Schulen der Philoſophen waren in Streit, ob die vernuͤnftige Seele zwar immateriell und unſterblich, aber eine einzige in allen Menſchen, oder ob ſie gradezu ſterblich ſey. Das letzte zu behaupten, entſchied ſich der namhaf- teſte der damaligen Philoſophen, Pietro Pomponazzo. Er verglich ſich mit dem Prometheus, deſſen Herz der Geyer freſſe, weil er dem Jupiter ſein Feuer ſtehlen wolle. Aber mit aller dieſer ſchmerzvollen Anſtrengung, mit allem die- ſen Scharfſinn gelangte er zu keinem andern Reſultat, „als daß, wenn der Geſetzgeber feſtgeſtellt, daß die Seele un- ſterblich, er dieß gethan habe, ohne ſich um die Wahrheit zu bekuͤmmern“ 1).
Man darf nicht glauben, dieſe Geſinnung ſey nur We- nigen eigen geweſen oder verheimlicht worden. Erasmus iſt erſtaunt, welche Gotteslaͤſterungen er anzuhoͤren bekam; man ſuchte ihm, einem Fremden, aus Plinius zu bewei-
1) Pomponazzo hatte hieruͤber ſehr ernſtliche Anfechtungen, wie unter andern aus einem Auszug paͤpſtlicher Briefe von Contelori hervorgeht. Petrus de Mantua heißt es darin asseruit, quod anima rationalis secundum propria philosophiae et mentem Aristotelis sit seu videatur mortalis, contra determinationem concilii Late- ranensis: Papa mandat ut dictus Petrus revocet: alias contra ipsum procedatur. 13 Junii 1518.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0098"n="72"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Kap</hi>. <hirendition="#aq">II.</hi><hirendition="#g">Die Kirche im Anf. des 16. Jahrh</hi>.</fw><lb/>
man ſich zuſammennahm und ſie uͤberlegte, mußten ſie her-<lb/>
vortreten.</p><lb/><p>Von eigentlich chriſtlicher Geſinnung und Ueberzeu-<lb/>
gung konnte unter dieſen Umſtaͤnden nicht weiter die Rede<lb/>ſeyn. Es erhob ſich vielmehr ein grader Widerſpruch gegen<lb/>
dieſelbe.</p><lb/><p>Die Schulen der Philoſophen waren in Streit, ob<lb/>
die vernuͤnftige Seele zwar immateriell und unſterblich, aber<lb/>
eine einzige in allen Menſchen, oder ob ſie gradezu ſterblich<lb/>ſey. Das letzte zu behaupten, entſchied ſich der namhaf-<lb/>
teſte der damaligen Philoſophen, Pietro Pomponazzo. Er<lb/>
verglich ſich mit dem Prometheus, deſſen Herz der Geyer<lb/>
freſſe, weil er dem Jupiter ſein Feuer ſtehlen wolle. Aber<lb/>
mit aller dieſer ſchmerzvollen Anſtrengung, mit allem die-<lb/>ſen Scharfſinn gelangte er zu keinem andern Reſultat, „als<lb/>
daß, wenn der Geſetzgeber feſtgeſtellt, daß die Seele un-<lb/>ſterblich, er dieß gethan habe, ohne ſich um die Wahrheit<lb/>
zu bekuͤmmern“<noteplace="foot"n="1)">Pomponazzo hatte hieruͤber ſehr ernſtliche Anfechtungen, wie<lb/>
unter andern aus einem Auszug paͤpſtlicher Briefe von Contelori<lb/>
hervorgeht. <hirendition="#aq">Petrus de Mantua</hi> heißt es darin <hirendition="#aq">asseruit, quod anima<lb/>
rationalis secundum propria philosophiae et mentem Aristotelis<lb/>
sit seu videatur mortalis, contra determinationem concilii Late-<lb/>
ranensis: Papa mandat ut dictus Petrus revocet: alias contra<lb/>
ipsum procedatur. 13 Junii</hi> 1518.</note>.</p><lb/><p>Man darf nicht glauben, dieſe Geſinnung ſey nur We-<lb/>
nigen eigen geweſen oder verheimlicht worden. Erasmus<lb/>
iſt erſtaunt, welche Gotteslaͤſterungen er anzuhoͤren bekam;<lb/>
man ſuchte ihm, einem Fremden, aus Plinius zu bewei-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[72/0098]
Kap. II. Die Kirche im Anf. des 16. Jahrh.
man ſich zuſammennahm und ſie uͤberlegte, mußten ſie her-
vortreten.
Von eigentlich chriſtlicher Geſinnung und Ueberzeu-
gung konnte unter dieſen Umſtaͤnden nicht weiter die Rede
ſeyn. Es erhob ſich vielmehr ein grader Widerſpruch gegen
dieſelbe.
Die Schulen der Philoſophen waren in Streit, ob
die vernuͤnftige Seele zwar immateriell und unſterblich, aber
eine einzige in allen Menſchen, oder ob ſie gradezu ſterblich
ſey. Das letzte zu behaupten, entſchied ſich der namhaf-
teſte der damaligen Philoſophen, Pietro Pomponazzo. Er
verglich ſich mit dem Prometheus, deſſen Herz der Geyer
freſſe, weil er dem Jupiter ſein Feuer ſtehlen wolle. Aber
mit aller dieſer ſchmerzvollen Anſtrengung, mit allem die-
ſen Scharfſinn gelangte er zu keinem andern Reſultat, „als
daß, wenn der Geſetzgeber feſtgeſtellt, daß die Seele un-
ſterblich, er dieß gethan habe, ohne ſich um die Wahrheit
zu bekuͤmmern“ 1).
Man darf nicht glauben, dieſe Geſinnung ſey nur We-
nigen eigen geweſen oder verheimlicht worden. Erasmus
iſt erſtaunt, welche Gotteslaͤſterungen er anzuhoͤren bekam;
man ſuchte ihm, einem Fremden, aus Plinius zu bewei-
1) Pomponazzo hatte hieruͤber ſehr ernſtliche Anfechtungen, wie
unter andern aus einem Auszug paͤpſtlicher Briefe von Contelori
hervorgeht. Petrus de Mantua heißt es darin asseruit, quod anima
rationalis secundum propria philosophiae et mentem Aristotelis
sit seu videatur mortalis, contra determinationem concilii Late-
ranensis: Papa mandat ut dictus Petrus revocet: alias contra
ipsum procedatur. 13 Junii 1518.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste01_1834/98>, abgerufen am 05.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.