Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin, 1834.Kap. II. Die Kirche im Anf. d. 16. Jahrh. beiten der unmittelbaren Nachahmer, so konnte er selbststän-digen Werken seiner Zeitgenossen seine Theilnahme nicht ent- ziehen. In seiner Gegenwart hat man die erste Tragödie, und so vielen Anstoß bei dem plautinisch-bedenklichen In- halt das gab, auch die ersten Comödien in italienischer Sprache aufgeführt. Es ist fast keine, die er nicht zuerst gesehn hätte. Ariost gehörte zu den Bekannten seiner Jugend; Machiavell hat eins und das andre ausdrücklich für ihn ge- schrieben; ihm erfüllte Raphael Zimmer, Gallerie und Ca- pelle mit den Idealen menschlicher Schönheit und rein ausgesprochener Existenz. Leidenschaftlich liebte er die Musik, die sich in kunstreicherer Uebung eben damals in Italien ausbreitete; täglich hörte man den Pallast von Musik er- schallen; murmelnd sang der Papst ihre Melodien nach. Es mag seyn, daß dieß eine Art geistiger Schwelgerei ist; es ist dann wenigstens die einzige, die einem Menschen an- steht. Uebrigens war Leo X. voller Güte und persönli- cher Theilnahme: nie, oder nur in den glimpflichsten Aus- drücken schlug er etwas ab, obgleich es freilich unmöglich war, alles zu gewähren. "Er ist ein guter Mensch," sagt einer dieser aufmerksamen Gesandten, "sehr freigebig, von gutartiger Natur; wenn seine Verwandten ihn nicht dazu brächten, würde er alle Irrungen vermeiden" 1). "Er ist gelehrt," sagt ein andrer, "ein Freund der Ge- lehrten, zwar religiös, doch will er leben" 2). Wohl nicht 1) Zorzi. Per il papa non voria ni guerra ni fatiche, ma questi soi lo intriga. 2) Marco Minio: Relazione. E docto e amador di docti,
ben religioso ma vol viver. Er nennt ihn bona persona. Kap. II. Die Kirche im Anf. d. 16. Jahrh. beiten der unmittelbaren Nachahmer, ſo konnte er ſelbſtſtaͤn-digen Werken ſeiner Zeitgenoſſen ſeine Theilnahme nicht ent- ziehen. In ſeiner Gegenwart hat man die erſte Tragoͤdie, und ſo vielen Anſtoß bei dem plautiniſch-bedenklichen In- halt das gab, auch die erſten Comoͤdien in italieniſcher Sprache aufgefuͤhrt. Es iſt faſt keine, die er nicht zuerſt geſehn haͤtte. Arioſt gehoͤrte zu den Bekannten ſeiner Jugend; Machiavell hat eins und das andre ausdruͤcklich fuͤr ihn ge- ſchrieben; ihm erfuͤllte Raphael Zimmer, Gallerie und Ca- pelle mit den Idealen menſchlicher Schoͤnheit und rein ausgeſprochener Exiſtenz. Leidenſchaftlich liebte er die Muſik, die ſich in kunſtreicherer Uebung eben damals in Italien ausbreitete; taͤglich hoͤrte man den Pallaſt von Muſik er- ſchallen; murmelnd ſang der Papſt ihre Melodien nach. Es mag ſeyn, daß dieß eine Art geiſtiger Schwelgerei iſt; es iſt dann wenigſtens die einzige, die einem Menſchen an- ſteht. Uebrigens war Leo X. voller Guͤte und perſoͤnli- cher Theilnahme: nie, oder nur in den glimpflichſten Aus- druͤcken ſchlug er etwas ab, obgleich es freilich unmoͤglich war, alles zu gewaͤhren. „Er iſt ein guter Menſch,“ ſagt einer dieſer aufmerkſamen Geſandten, „ſehr freigebig, von gutartiger Natur; wenn ſeine Verwandten ihn nicht dazu braͤchten, wuͤrde er alle Irrungen vermeiden“ 1). „Er iſt gelehrt,“ ſagt ein andrer, „ein Freund der Ge- lehrten, zwar religioͤs, doch will er leben“ 2). Wohl nicht 1) Zorzi. Per il papa non voria ni guerra ni fatiche, ma questi soi lo intriga. 2) Marco Minio: Relazione. E docto e amador di docti,
ben religioso ma vol viver. Er nennt ihn bona persona. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0096" n="70"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Kap</hi>. <hi rendition="#aq">II.</hi><hi rendition="#g">Die Kirche im Anf. d. 16. Jahrh</hi>.</fw><lb/> beiten der unmittelbaren Nachahmer, ſo konnte er ſelbſtſtaͤn-<lb/> digen Werken ſeiner Zeitgenoſſen ſeine Theilnahme nicht ent-<lb/> ziehen. In ſeiner Gegenwart hat man die erſte Tragoͤdie,<lb/> und ſo vielen Anſtoß bei dem plautiniſch-bedenklichen In-<lb/> halt das gab, auch die erſten Comoͤdien in italieniſcher<lb/> Sprache aufgefuͤhrt. Es iſt faſt keine, die er nicht zuerſt<lb/> geſehn haͤtte. Arioſt gehoͤrte zu den Bekannten ſeiner Jugend;<lb/> Machiavell hat eins und das andre ausdruͤcklich fuͤr ihn ge-<lb/> ſchrieben; ihm erfuͤllte Raphael Zimmer, Gallerie und Ca-<lb/> pelle mit den Idealen menſchlicher Schoͤnheit und rein<lb/> ausgeſprochener Exiſtenz. Leidenſchaftlich liebte er die Muſik,<lb/> die ſich in kunſtreicherer Uebung eben damals in Italien<lb/> ausbreitete; taͤglich hoͤrte man den Pallaſt von Muſik er-<lb/> ſchallen; murmelnd ſang der Papſt ihre Melodien nach.<lb/> Es mag ſeyn, daß dieß eine Art geiſtiger Schwelgerei iſt;<lb/> es iſt dann wenigſtens die einzige, die einem Menſchen an-<lb/> ſteht. Uebrigens war Leo <hi rendition="#aq">X.</hi> voller Guͤte und perſoͤnli-<lb/> cher Theilnahme: nie, oder nur in den glimpflichſten Aus-<lb/> druͤcken ſchlug er etwas ab, obgleich es freilich unmoͤglich<lb/> war, alles zu gewaͤhren. „Er iſt ein guter Menſch,“<lb/> ſagt einer dieſer aufmerkſamen Geſandten, „ſehr freigebig,<lb/> von gutartiger Natur; wenn ſeine Verwandten ihn nicht<lb/> dazu braͤchten, wuͤrde er alle Irrungen vermeiden“ <note place="foot" n="1)"><hi rendition="#aq">Zorzi. Per il papa non voria ni guerra ni fatiche, ma<lb/> questi soi lo intriga.</hi></note>.<lb/> „Er iſt gelehrt,“ ſagt ein andrer, „ein Freund der Ge-<lb/> lehrten, zwar religioͤs, doch will er leben“ <note place="foot" n="2)"><hi rendition="#aq">Marco Minio: Relazione. E docto e amador di docti,<lb/> ben religioso ma vol viver.</hi> Er nennt ihn <hi rendition="#aq">bona persona.</hi></note>. Wohl nicht<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [70/0096]
Kap. II. Die Kirche im Anf. d. 16. Jahrh.
beiten der unmittelbaren Nachahmer, ſo konnte er ſelbſtſtaͤn-
digen Werken ſeiner Zeitgenoſſen ſeine Theilnahme nicht ent-
ziehen. In ſeiner Gegenwart hat man die erſte Tragoͤdie,
und ſo vielen Anſtoß bei dem plautiniſch-bedenklichen In-
halt das gab, auch die erſten Comoͤdien in italieniſcher
Sprache aufgefuͤhrt. Es iſt faſt keine, die er nicht zuerſt
geſehn haͤtte. Arioſt gehoͤrte zu den Bekannten ſeiner Jugend;
Machiavell hat eins und das andre ausdruͤcklich fuͤr ihn ge-
ſchrieben; ihm erfuͤllte Raphael Zimmer, Gallerie und Ca-
pelle mit den Idealen menſchlicher Schoͤnheit und rein
ausgeſprochener Exiſtenz. Leidenſchaftlich liebte er die Muſik,
die ſich in kunſtreicherer Uebung eben damals in Italien
ausbreitete; taͤglich hoͤrte man den Pallaſt von Muſik er-
ſchallen; murmelnd ſang der Papſt ihre Melodien nach.
Es mag ſeyn, daß dieß eine Art geiſtiger Schwelgerei iſt;
es iſt dann wenigſtens die einzige, die einem Menſchen an-
ſteht. Uebrigens war Leo X. voller Guͤte und perſoͤnli-
cher Theilnahme: nie, oder nur in den glimpflichſten Aus-
druͤcken ſchlug er etwas ab, obgleich es freilich unmoͤglich
war, alles zu gewaͤhren. „Er iſt ein guter Menſch,“
ſagt einer dieſer aufmerkſamen Geſandten, „ſehr freigebig,
von gutartiger Natur; wenn ſeine Verwandten ihn nicht
dazu braͤchten, wuͤrde er alle Irrungen vermeiden“ 1).
„Er iſt gelehrt,“ ſagt ein andrer, „ein Freund der Ge-
lehrten, zwar religioͤs, doch will er leben“ 2). Wohl nicht
1) Zorzi. Per il papa non voria ni guerra ni fatiche, ma
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2) Marco Minio: Relazione. E docto e amador di docti,
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Zitationshilfe: | Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste01_1834/96>, abgerufen am 05.07.2024. |