Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Geistige Richtung.
sagen, daß alles das Schönste, was in neuern Zeiten Ar-
chitectur, Bildhauerkunst und Malerei hervorgebracht ha-
ben, in diese kurze Epoche fällt. Es war die Tendenz der-
selben, nicht im Raisonnement, sondern in der Praxis und
Ausübung. Man lebte und webte darin. Ich möchte sa-
gen: die Festung, die der Fürst dem Feinde gegenüber errich-
tet, die Note, die der Philologe an den Rand seines Autors
schreibt, haben etwas Gemeinschaftliches. Einen strengen und
schönen Grundzug haben alle Hervorbringungen dieser Zeit.

Dabei aber wird sich nicht verkennen lassen, daß, in-
dem Kunst und Poesie die kirchlichen Elemente ergriffen, sie
den Inhalt derselben nicht unangetastet ließen. Das ro-
mantische Epos, das eine kirchliche Sage vergegenwärtigt,
setzt sich mit derselben in der Regel in Opposition. Ariosto
fand es nöthig, seiner Fabel den Hintergrund zu neh-
men, der ihre ursprüngliche Bedeutung enthält.

Früher hatte an allen Werken der Maler und Bild-
ner die Religion so viel Antheil als die Kunst. Seit
die Kunst von dem Hauche der Antike berührt worden,
löste sie sich ab von den Banden der Religion. Wir kön-
nen wahrnehmen, wie dieß selbst in Raphael von Jahr zu
Jahr entschiedener der Fall ist. Man mag dieß tadeln
wenn man will; aber es scheint fast, das profane Ele-
ment gehörte mit dazu, um die Blüthe der Entwicke-
lung hervorzubringen.

Und war es nicht sehr bedeutend, daß ein Papst selbst
unternahm, die alte Basilike St. Peter, Metropole der Chri-
stenheit, in der jede Stätte geheiligt, in der die Denkmale
der Verehrung so vieler Jahrhunderte vereinigt waren, nie-

5*

Geiſtige Richtung.
ſagen, daß alles das Schoͤnſte, was in neuern Zeiten Ar-
chitectur, Bildhauerkunſt und Malerei hervorgebracht ha-
ben, in dieſe kurze Epoche faͤllt. Es war die Tendenz der-
ſelben, nicht im Raiſonnement, ſondern in der Praxis und
Ausuͤbung. Man lebte und webte darin. Ich moͤchte ſa-
gen: die Feſtung, die der Fuͤrſt dem Feinde gegenuͤber errich-
tet, die Note, die der Philologe an den Rand ſeines Autors
ſchreibt, haben etwas Gemeinſchaftliches. Einen ſtrengen und
ſchoͤnen Grundzug haben alle Hervorbringungen dieſer Zeit.

Dabei aber wird ſich nicht verkennen laſſen, daß, in-
dem Kunſt und Poeſie die kirchlichen Elemente ergriffen, ſie
den Inhalt derſelben nicht unangetaſtet ließen. Das ro-
mantiſche Epos, das eine kirchliche Sage vergegenwaͤrtigt,
ſetzt ſich mit derſelben in der Regel in Oppoſition. Arioſto
fand es noͤthig, ſeiner Fabel den Hintergrund zu neh-
men, der ihre urſpruͤngliche Bedeutung enthaͤlt.

Fruͤher hatte an allen Werken der Maler und Bild-
ner die Religion ſo viel Antheil als die Kunſt. Seit
die Kunſt von dem Hauche der Antike beruͤhrt worden,
loͤſte ſie ſich ab von den Banden der Religion. Wir koͤn-
nen wahrnehmen, wie dieß ſelbſt in Raphael von Jahr zu
Jahr entſchiedener der Fall iſt. Man mag dieß tadeln
wenn man will; aber es ſcheint faſt, das profane Ele-
ment gehoͤrte mit dazu, um die Bluͤthe der Entwicke-
lung hervorzubringen.

Und war es nicht ſehr bedeutend, daß ein Papſt ſelbſt
unternahm, die alte Baſilike St. Peter, Metropole der Chri-
ſtenheit, in der jede Staͤtte geheiligt, in der die Denkmale
der Verehrung ſo vieler Jahrhunderte vereinigt waren, nie-

5*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0093" n="67"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Gei&#x017F;tige Richtung</hi>.</fw><lb/>
&#x017F;agen, daß alles das Scho&#x0364;n&#x017F;te, was in neuern Zeiten Ar-<lb/>
chitectur, Bildhauerkun&#x017F;t und Malerei hervorgebracht ha-<lb/>
ben, in die&#x017F;e kurze Epoche fa&#x0364;llt. Es war die Tendenz der-<lb/>
&#x017F;elben, nicht im Rai&#x017F;onnement, &#x017F;ondern in der Praxis und<lb/>
Ausu&#x0364;bung. Man lebte und webte darin. Ich mo&#x0364;chte &#x017F;a-<lb/>
gen: die Fe&#x017F;tung, die der Fu&#x0364;r&#x017F;t dem Feinde gegenu&#x0364;ber errich-<lb/>
tet, die Note, die der Philologe an den Rand &#x017F;eines Autors<lb/>
&#x017F;chreibt, haben etwas Gemein&#x017F;chaftliches. Einen &#x017F;trengen und<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;nen Grundzug haben alle Hervorbringungen die&#x017F;er Zeit.</p><lb/>
            <p>Dabei aber wird &#x017F;ich nicht verkennen la&#x017F;&#x017F;en, daß, in-<lb/>
dem Kun&#x017F;t und Poe&#x017F;ie die kirchlichen Elemente ergriffen, &#x017F;ie<lb/>
den Inhalt der&#x017F;elben nicht unangeta&#x017F;tet ließen. Das ro-<lb/>
manti&#x017F;che Epos, das eine kirchliche Sage vergegenwa&#x0364;rtigt,<lb/>
&#x017F;etzt &#x017F;ich mit der&#x017F;elben in der Regel in Oppo&#x017F;ition. Ario&#x017F;to<lb/>
fand es no&#x0364;thig, &#x017F;einer Fabel den Hintergrund zu neh-<lb/>
men, der ihre ur&#x017F;pru&#x0364;ngliche Bedeutung entha&#x0364;lt.</p><lb/>
            <p>Fru&#x0364;her hatte an allen Werken der Maler und Bild-<lb/>
ner die Religion &#x017F;o viel Antheil als die Kun&#x017F;t. Seit<lb/>
die Kun&#x017F;t von dem Hauche der Antike beru&#x0364;hrt worden,<lb/>
lo&#x0364;&#x017F;te &#x017F;ie &#x017F;ich ab von den Banden der Religion. Wir ko&#x0364;n-<lb/>
nen wahrnehmen, wie dieß &#x017F;elb&#x017F;t in Raphael von Jahr zu<lb/>
Jahr ent&#x017F;chiedener der Fall i&#x017F;t. Man mag dieß tadeln<lb/>
wenn man will; aber es &#x017F;cheint fa&#x017F;t, das profane Ele-<lb/>
ment geho&#x0364;rte mit dazu, um die Blu&#x0364;the der Entwicke-<lb/>
lung hervorzubringen.</p><lb/>
            <p>Und war es nicht &#x017F;ehr bedeutend, daß ein Pap&#x017F;t &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
unternahm, die alte Ba&#x017F;ilike St. Peter, Metropole der Chri-<lb/>
&#x017F;tenheit, in der jede Sta&#x0364;tte geheiligt, in der die Denkmale<lb/>
der Verehrung &#x017F;o vieler Jahrhunderte vereinigt waren, nie-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">5*</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[67/0093] Geiſtige Richtung. ſagen, daß alles das Schoͤnſte, was in neuern Zeiten Ar- chitectur, Bildhauerkunſt und Malerei hervorgebracht ha- ben, in dieſe kurze Epoche faͤllt. Es war die Tendenz der- ſelben, nicht im Raiſonnement, ſondern in der Praxis und Ausuͤbung. Man lebte und webte darin. Ich moͤchte ſa- gen: die Feſtung, die der Fuͤrſt dem Feinde gegenuͤber errich- tet, die Note, die der Philologe an den Rand ſeines Autors ſchreibt, haben etwas Gemeinſchaftliches. Einen ſtrengen und ſchoͤnen Grundzug haben alle Hervorbringungen dieſer Zeit. Dabei aber wird ſich nicht verkennen laſſen, daß, in- dem Kunſt und Poeſie die kirchlichen Elemente ergriffen, ſie den Inhalt derſelben nicht unangetaſtet ließen. Das ro- mantiſche Epos, das eine kirchliche Sage vergegenwaͤrtigt, ſetzt ſich mit derſelben in der Regel in Oppoſition. Arioſto fand es noͤthig, ſeiner Fabel den Hintergrund zu neh- men, der ihre urſpruͤngliche Bedeutung enthaͤlt. Fruͤher hatte an allen Werken der Maler und Bild- ner die Religion ſo viel Antheil als die Kunſt. Seit die Kunſt von dem Hauche der Antike beruͤhrt worden, loͤſte ſie ſich ab von den Banden der Religion. Wir koͤn- nen wahrnehmen, wie dieß ſelbſt in Raphael von Jahr zu Jahr entſchiedener der Fall iſt. Man mag dieß tadeln wenn man will; aber es ſcheint faſt, das profane Ele- ment gehoͤrte mit dazu, um die Bluͤthe der Entwicke- lung hervorzubringen. Und war es nicht ſehr bedeutend, daß ein Papſt ſelbſt unternahm, die alte Baſilike St. Peter, Metropole der Chri- ſtenheit, in der jede Staͤtte geheiligt, in der die Denkmale der Verehrung ſo vieler Jahrhunderte vereinigt waren, nie- 5*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste01_1834/93
Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste01_1834/93>, abgerufen am 06.05.2024.