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Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin, 1834.

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Kap. I. Epochen des Papstthums.
früheren Verfassung die volle Unabhängigkeit bestand, in der
Vereinigung der Religion und des Staates, lag bei der da-
maligen die Besiegelung der Unterjochung. Daß das Chri-
stenthum dem Kaiser zu opfern verbot, schloß die großar-
tigste Befreiung ein. Das älteste ursprüngliche religiöse
Bewußtseyn, wenn es wahr ist, daß ein solches allem
Götzendienst vorangegangen, erweckte es in den Nationen
wieder, und setzte es dieser weltherrschenden Gewalt entge-
gen, die nicht zufrieden mit dem Irdischen, auch das Göt-
liche umfassen wollte. Dadurch bekam der Mensch ein gei-
stiges Element, in dem er wieder selbstständig, frei und
persönlich unüberwindlich wurde; es kam Frische und neue
Lebensfähigkeit in den Boden der Welt; sie wurde zu neuen
Hervorbringungen befruchtet.

Es war der Gegensatz des Irdischen und des Geisti-
gen, der Knechtschaft und der Freiheit; allmähligen Ab-
sterbens und lebendiger Verjüngung.

Es ist hier nicht der Ort, den langen Kampf dieser
Prinzipien zu beschreiben. Alle Elemente des Lebens wurden
in die Bewegung gezogen, und allmählig von dem christ-
lichen Wesen ergriffen, durchdrungen, in diese große Rich-
tung des Geistes fortgerissen. Von sich selber, sagt Chry-
sostomus, ist der Irrthum des Götzendienstes verloschen 1).
Schon ihm erscheint das Heidenthum wie eine eroberte
Stadt, deren Mauern zerstört, deren Hallen, Theater und
öffentliche Gebäude verbrannt, deren Vertheidiger umge-

1) logos eis ton makarion Babulan kai kata Ioulianou kai
pros Ellenas. Chrysostomi Opp. ed. Paris. II, 540.

Kap. I. Epochen des Papſtthums.
fruͤheren Verfaſſung die volle Unabhaͤngigkeit beſtand, in der
Vereinigung der Religion und des Staates, lag bei der da-
maligen die Beſiegelung der Unterjochung. Daß das Chri-
ſtenthum dem Kaiſer zu opfern verbot, ſchloß die großar-
tigſte Befreiung ein. Das aͤlteſte urſpruͤngliche religioͤſe
Bewußtſeyn, wenn es wahr iſt, daß ein ſolches allem
Goͤtzendienſt vorangegangen, erweckte es in den Nationen
wieder, und ſetzte es dieſer weltherrſchenden Gewalt entge-
gen, die nicht zufrieden mit dem Irdiſchen, auch das Goͤt-
liche umfaſſen wollte. Dadurch bekam der Menſch ein gei-
ſtiges Element, in dem er wieder ſelbſtſtaͤndig, frei und
perſoͤnlich unuͤberwindlich wurde; es kam Friſche und neue
Lebensfaͤhigkeit in den Boden der Welt; ſie wurde zu neuen
Hervorbringungen befruchtet.

Es war der Gegenſatz des Irdiſchen und des Geiſti-
gen, der Knechtſchaft und der Freiheit; allmaͤhligen Ab-
ſterbens und lebendiger Verjuͤngung.

Es iſt hier nicht der Ort, den langen Kampf dieſer
Prinzipien zu beſchreiben. Alle Elemente des Lebens wurden
in die Bewegung gezogen, und allmaͤhlig von dem chriſt-
lichen Weſen ergriffen, durchdrungen, in dieſe große Rich-
tung des Geiſtes fortgeriſſen. Von ſich ſelber, ſagt Chry-
ſoſtomus, iſt der Irrthum des Goͤtzendienſtes verloſchen 1).
Schon ihm erſcheint das Heidenthum wie eine eroberte
Stadt, deren Mauern zerſtoͤrt, deren Hallen, Theater und
oͤffentliche Gebaͤude verbrannt, deren Vertheidiger umge-

1) λόγος εἰς τὸν μακάϱιον Βαβύλαν καὶ κατὰ Ἰουλιανοῦ καὶ
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[8/0034] Kap. I. Epochen des Papſtthums. fruͤheren Verfaſſung die volle Unabhaͤngigkeit beſtand, in der Vereinigung der Religion und des Staates, lag bei der da- maligen die Beſiegelung der Unterjochung. Daß das Chri- ſtenthum dem Kaiſer zu opfern verbot, ſchloß die großar- tigſte Befreiung ein. Das aͤlteſte urſpruͤngliche religioͤſe Bewußtſeyn, wenn es wahr iſt, daß ein ſolches allem Goͤtzendienſt vorangegangen, erweckte es in den Nationen wieder, und ſetzte es dieſer weltherrſchenden Gewalt entge- gen, die nicht zufrieden mit dem Irdiſchen, auch das Goͤt- liche umfaſſen wollte. Dadurch bekam der Menſch ein gei- ſtiges Element, in dem er wieder ſelbſtſtaͤndig, frei und perſoͤnlich unuͤberwindlich wurde; es kam Friſche und neue Lebensfaͤhigkeit in den Boden der Welt; ſie wurde zu neuen Hervorbringungen befruchtet. Es war der Gegenſatz des Irdiſchen und des Geiſti- gen, der Knechtſchaft und der Freiheit; allmaͤhligen Ab- ſterbens und lebendiger Verjuͤngung. Es iſt hier nicht der Ort, den langen Kampf dieſer Prinzipien zu beſchreiben. Alle Elemente des Lebens wurden in die Bewegung gezogen, und allmaͤhlig von dem chriſt- lichen Weſen ergriffen, durchdrungen, in dieſe große Rich- tung des Geiſtes fortgeriſſen. Von ſich ſelber, ſagt Chry- ſoſtomus, iſt der Irrthum des Goͤtzendienſtes verloſchen 1). Schon ihm erſcheint das Heidenthum wie eine eroberte Stadt, deren Mauern zerſtoͤrt, deren Hallen, Theater und oͤffentliche Gebaͤude verbrannt, deren Vertheidiger umge- 1) λόγος εἰς τὸν μακάϱιον Βαβύλαν καὶ κατὰ Ἰουλιανοῦ καὶ πϱὸς Ἕλληνας. Chrysostomi Opp. ed. Paris. II, 540.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste01_1834/34>, abgerufen am 21.11.2024.