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Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin, 1834.

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Unter Clemens VII.
dieß ausführen zu können. Erasmus hat es gleich damals
überzeugend auseinandergesetzt.

Allein wäre er es auch gewesen, so hätte er schwer-
lich den Willen dazu gehabt.

Er war von Natur eher gutmüthig, bedächtig, voll
Nachdenken und langsam, als das Gegentheil. Je näher
er diese Irrungen in das Auge faßte, desto mehr berühr-
ten sie eine Ader seines eigenen Geistes. Gleich seine An-
kündigung des Reichstages lautete dahin, daß er die
verschiedenen Meinungen hören, erwägen und zu einer eini-
gen, christlichen Wahrheit zu bringen suchen wolle: von
jenen gewaltsamen Absichten war er weit entfernt.

Auch wer sonst an der Reinheit menschlicher Gesin-
nung zu zweifeln gewohnt ist, kann dieß nicht in Abrede
stellen: es wäre Carls Vortheil nicht gewesen, sich der Ge-
walt zu bedienen.

Sollte er, der Kaiser, sich zum Executor päpstlicher
Decrete machen? sollte er dem Papst, und nicht allein dem
damaligen, sondern jedem künftigen, die Feinde unterwer-
fen, die demselben am meisten zu schaffen machen mußten?
Hierzu war er der Freundschaft der päpstlichen Gewalt
doch bei weitem nicht sicher genug.

Vielmehr lag in den Verhältnissen ein Vortheil für
ihn, ungesucht, natürlich, den er nur zu ergreifen brauchte,
um zu einer noch unbedingteren Superiorität zu gelangen,
als er sie bereits besaß.

Ob mit Recht oder Unrecht will ich nicht untersu-
chen: genug es war allgemein angenommen, daß nur eine
Kirchenversammlung im Stande seyn werde, so große Ir-

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Unter Clemens VII.
dieß ausfuͤhren zu koͤnnen. Erasmus hat es gleich damals
uͤberzeugend auseinandergeſetzt.

Allein waͤre er es auch geweſen, ſo haͤtte er ſchwer-
lich den Willen dazu gehabt.

Er war von Natur eher gutmuͤthig, bedaͤchtig, voll
Nachdenken und langſam, als das Gegentheil. Je naͤher
er dieſe Irrungen in das Auge faßte, deſto mehr beruͤhr-
ten ſie eine Ader ſeines eigenen Geiſtes. Gleich ſeine An-
kuͤndigung des Reichstages lautete dahin, daß er die
verſchiedenen Meinungen hoͤren, erwaͤgen und zu einer eini-
gen, chriſtlichen Wahrheit zu bringen ſuchen wolle: von
jenen gewaltſamen Abſichten war er weit entfernt.

Auch wer ſonſt an der Reinheit menſchlicher Geſin-
nung zu zweifeln gewohnt iſt, kann dieß nicht in Abrede
ſtellen: es waͤre Carls Vortheil nicht geweſen, ſich der Ge-
walt zu bedienen.

Sollte er, der Kaiſer, ſich zum Executor paͤpſtlicher
Decrete machen? ſollte er dem Papſt, und nicht allein dem
damaligen, ſondern jedem kuͤnftigen, die Feinde unterwer-
fen, die demſelben am meiſten zu ſchaffen machen mußten?
Hierzu war er der Freundſchaft der paͤpſtlichen Gewalt
doch bei weitem nicht ſicher genug.

Vielmehr lag in den Verhaͤltniſſen ein Vortheil fuͤr
ihn, ungeſucht, natuͤrlich, den er nur zu ergreifen brauchte,
um zu einer noch unbedingteren Superioritaͤt zu gelangen,
als er ſie bereits beſaß.

Ob mit Recht oder Unrecht will ich nicht unterſu-
chen: genug es war allgemein angenommen, daß nur eine
Kirchenverſammlung im Stande ſeyn werde, ſo große Ir-

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[113/0139] Unter Clemens VII. dieß ausfuͤhren zu koͤnnen. Erasmus hat es gleich damals uͤberzeugend auseinandergeſetzt. Allein waͤre er es auch geweſen, ſo haͤtte er ſchwer- lich den Willen dazu gehabt. Er war von Natur eher gutmuͤthig, bedaͤchtig, voll Nachdenken und langſam, als das Gegentheil. Je naͤher er dieſe Irrungen in das Auge faßte, deſto mehr beruͤhr- ten ſie eine Ader ſeines eigenen Geiſtes. Gleich ſeine An- kuͤndigung des Reichstages lautete dahin, daß er die verſchiedenen Meinungen hoͤren, erwaͤgen und zu einer eini- gen, chriſtlichen Wahrheit zu bringen ſuchen wolle: von jenen gewaltſamen Abſichten war er weit entfernt. Auch wer ſonſt an der Reinheit menſchlicher Geſin- nung zu zweifeln gewohnt iſt, kann dieß nicht in Abrede ſtellen: es waͤre Carls Vortheil nicht geweſen, ſich der Ge- walt zu bedienen. Sollte er, der Kaiſer, ſich zum Executor paͤpſtlicher Decrete machen? ſollte er dem Papſt, und nicht allein dem damaligen, ſondern jedem kuͤnftigen, die Feinde unterwer- fen, die demſelben am meiſten zu ſchaffen machen mußten? Hierzu war er der Freundſchaft der paͤpſtlichen Gewalt doch bei weitem nicht ſicher genug. Vielmehr lag in den Verhaͤltniſſen ein Vortheil fuͤr ihn, ungeſucht, natuͤrlich, den er nur zu ergreifen brauchte, um zu einer noch unbedingteren Superioritaͤt zu gelangen, als er ſie bereits beſaß. Ob mit Recht oder Unrecht will ich nicht unterſu- chen: genug es war allgemein angenommen, daß nur eine Kirchenverſammlung im Stande ſeyn werde, ſo große Ir- 8

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste01_1834/139>, abgerufen am 08.05.2024.