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Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin, 1834.

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Unter Clemens VII.
ten Mailand den Franzosen entreißen, an die Spanier hat-
ten sie es nicht bringen wollen. Vielmehr war eben des-
halb mehr als ein Krieg geführt worden, um Mailand und
Neapel nicht an den nehmlichen Besitzer fallen zu lassen 1);
daß nun die Spanier, schon so lange Meister von Unter-
italien, sich in der Lombardei täglich fester setzten, daß sie
die Belehnung des Sforza verzögerten, empfand man zu
Rom mit Ungeduld und Widerwillen.

Clemens war auch persönlich mißvergnügt: aus jener
Instruction sehen wir, daß er schon als Cardinal oft
nicht nach seinem Verdienste berücksichtigt worden zu seyn
glaubte; noch immer gab man wenig auf ihn, und aus-
drücklich wider seinen Rath unternahm man den Angriff
auf Marseille im Jahre 1524. Seine Minister -- sie sa-
gen es selbst -- erwarteten immer größere Mißachtung des
apostolischen Stuhles; sie nahmen in den Spaniern nichts
als Herrschsucht und Insolenz wahr 2).

Wie sehr schien Clemens durch den bisherigen Gang
der Dinge, und seine persönliche Stellung, mit den Banden
der Nothwendigkeit und des Willens an die Spanier ge-
bunden zu seyn! Nunmehr stellten sich ihm tausend Gründe
dar, die Macht zu verwünschen, die er gründen helfen,
sich eben denen zu widersetzen, die er bisher begünstigt
und befördert hatte.


1) Es heißt in jener Instruction ausdrücklich: der Papst habe
sich auch zu dem, was ihm mißfällig, bereit gezeigt: purche lo stato
di Milano restasse al Duca, al quale effetto si erano fatte tutte
le guerre d'Italia.
2) M. Giberto datario a Don Michele di Silva. Lettere
di principi I, 197 b.

Unter Clemens VII.
ten Mailand den Franzoſen entreißen, an die Spanier hat-
ten ſie es nicht bringen wollen. Vielmehr war eben des-
halb mehr als ein Krieg gefuͤhrt worden, um Mailand und
Neapel nicht an den nehmlichen Beſitzer fallen zu laſſen 1);
daß nun die Spanier, ſchon ſo lange Meiſter von Unter-
italien, ſich in der Lombardei taͤglich feſter ſetzten, daß ſie
die Belehnung des Sforza verzoͤgerten, empfand man zu
Rom mit Ungeduld und Widerwillen.

Clemens war auch perſoͤnlich mißvergnuͤgt: aus jener
Inſtruction ſehen wir, daß er ſchon als Cardinal oft
nicht nach ſeinem Verdienſte beruͤckſichtigt worden zu ſeyn
glaubte; noch immer gab man wenig auf ihn, und aus-
druͤcklich wider ſeinen Rath unternahm man den Angriff
auf Marſeille im Jahre 1524. Seine Miniſter — ſie ſa-
gen es ſelbſt — erwarteten immer groͤßere Mißachtung des
apoſtoliſchen Stuhles; ſie nahmen in den Spaniern nichts
als Herrſchſucht und Inſolenz wahr 2).

Wie ſehr ſchien Clemens durch den bisherigen Gang
der Dinge, und ſeine perſoͤnliche Stellung, mit den Banden
der Nothwendigkeit und des Willens an die Spanier ge-
bunden zu ſeyn! Nunmehr ſtellten ſich ihm tauſend Gruͤnde
dar, die Macht zu verwuͤnſchen, die er gruͤnden helfen,
ſich eben denen zu widerſetzen, die er bisher beguͤnſtigt
und befoͤrdert hatte.


1) Es heißt in jener Inſtruction ausdruͤcklich: der Papſt habe
ſich auch zu dem, was ihm mißfaͤllig, bereit gezeigt: purchè lo stato
di Milano restasse al Duca, al quale effetto si erano fatte tutte
le guerre d’Italia.
2) M. Giberto datario a Don Michele di Silva. Lettere
di principi I, 197 b.
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[101/0127] Unter Clemens VII. ten Mailand den Franzoſen entreißen, an die Spanier hat- ten ſie es nicht bringen wollen. Vielmehr war eben des- halb mehr als ein Krieg gefuͤhrt worden, um Mailand und Neapel nicht an den nehmlichen Beſitzer fallen zu laſſen 1); daß nun die Spanier, ſchon ſo lange Meiſter von Unter- italien, ſich in der Lombardei taͤglich feſter ſetzten, daß ſie die Belehnung des Sforza verzoͤgerten, empfand man zu Rom mit Ungeduld und Widerwillen. Clemens war auch perſoͤnlich mißvergnuͤgt: aus jener Inſtruction ſehen wir, daß er ſchon als Cardinal oft nicht nach ſeinem Verdienſte beruͤckſichtigt worden zu ſeyn glaubte; noch immer gab man wenig auf ihn, und aus- druͤcklich wider ſeinen Rath unternahm man den Angriff auf Marſeille im Jahre 1524. Seine Miniſter — ſie ſa- gen es ſelbſt — erwarteten immer groͤßere Mißachtung des apoſtoliſchen Stuhles; ſie nahmen in den Spaniern nichts als Herrſchſucht und Inſolenz wahr 2). Wie ſehr ſchien Clemens durch den bisherigen Gang der Dinge, und ſeine perſoͤnliche Stellung, mit den Banden der Nothwendigkeit und des Willens an die Spanier ge- bunden zu ſeyn! Nunmehr ſtellten ſich ihm tauſend Gruͤnde dar, die Macht zu verwuͤnſchen, die er gruͤnden helfen, ſich eben denen zu widerſetzen, die er bisher beguͤnſtigt und befoͤrdert hatte. 1) Es heißt in jener Inſtruction ausdruͤcklich: der Papſt habe ſich auch zu dem, was ihm mißfaͤllig, bereit gezeigt: purchè lo stato di Milano restasse al Duca, al quale effetto si erano fatte tutte le guerre d’Italia. 2) M. Giberto datario a Don Michele di Silva. Lettere di principi I, 197 b.

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Zitationshilfe: Ranke, Leopold von: Die römischen Päpste. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ranke_paepste01_1834/127>, abgerufen am 08.05.2024.