Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils zweyte Abtheilung: Neuere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

zu besiegen hatte, daß hingegen der Troubadour auch gegen Begriffe von innerer Würde und äußerem Anstande bey seiner Dame ankämpfte; so lassen sich die Abweichungen, die wir in der Denkart Beyder über die Liebe antreffen, beynahe alle erklären. 18)

Haben denn die Morgenländer gar keinen Einfluß auf den Geschmack der Troubadours und ihre Ideen über die Liebe gehabt? Ich wage dieß nicht zu verneinen. Aber Alles, was man Aehnliches unter ihnen antrifft, läßt sich aus den Verhältnissen der Abendländer für sich erklären, ohne daß man nöthig hätte, auf die Sitten der Orientaler zurückzugehen. Niemahls wird man doch die Aehnlichkeit so stark finden,

18) Vielleicht aber haben die Troubadours auch gar keine bestimmten Muster unter den klassischen Autoren vor Augen gehabt; vielleicht hat sie nur der Ton geführt, der aus den Schulen herausschallete. Dieß ist gar nicht unwahrscheinlich. Ihre Ideen, ihr Ausdruck haben viel Aehnlichkeit mit demjenigen, was wir beym Philostrat, Aristenät, Alciphron und den griechischen Erotikern antreffen. Wie wenn die Nachfolger dieser Sophisten, die neueren Rhetoren, welche den Schulen vorstanden, die einmahl darin angenommene Vorstellungs- und Darstellungsart, selbst nach dem Verlust der Originale, beybehalten, sie in die Redeübungen wozu sie Anleitung gaben, übertragen hätten, und diese wieder durch einen oder mehrere ihrer Schüler, die sich in der Landessprache versuchten, nach der besondern Lage des Troubadours und seines Publikums verarbeitet, diesem letzten überliefert wären! Es ist damahls gewiß Mehreres aus den Schulen in die wirkliche Welt übergegangen, als wir gemeiniglich glauben. Die Briefe der Heloyse an Abeilard, sind sicher nach einer nahen oder fernern Kenntniß der Liebesbriefe im Geschmack der Sophisten verfertigt; und höchst wahrscheinlich sind die sogenannten Tencons Nachbildungen gewöhnlicher dialektischer Uebungen in den Schulen.

zu besiegen hatte, daß hingegen der Troubadour auch gegen Begriffe von innerer Würde und äußerem Anstande bey seiner Dame ankämpfte; so lassen sich die Abweichungen, die wir in der Denkart Beyder über die Liebe antreffen, beynahe alle erklären. 18)

Haben denn die Morgenländer gar keinen Einfluß auf den Geschmack der Troubadours und ihre Ideen über die Liebe gehabt? Ich wage dieß nicht zu verneinen. Aber Alles, was man Aehnliches unter ihnen antrifft, läßt sich aus den Verhältnissen der Abendländer für sich erklären, ohne daß man nöthig hätte, auf die Sitten der Orientaler zurückzugehen. Niemahls wird man doch die Aehnlichkeit so stark finden,

18) Vielleicht aber haben die Troubadours auch gar keine bestimmten Muster unter den klassischen Autoren vor Augen gehabt; vielleicht hat sie nur der Ton geführt, der aus den Schulen herausschallete. Dieß ist gar nicht unwahrscheinlich. Ihre Ideen, ihr Ausdruck haben viel Aehnlichkeit mit demjenigen, was wir beym Philostrat, Aristenät, Alciphron und den griechischen Erotikern antreffen. Wie wenn die Nachfolger dieser Sophisten, die neueren Rhetoren, welche den Schulen vorstanden, die einmahl darin angenommene Vorstellungs- und Darstellungsart, selbst nach dem Verlust der Originale, beybehalten, sie in die Redeübungen wozu sie Anleitung gaben, übertragen hätten, und diese wieder durch einen oder mehrere ihrer Schüler, die sich in der Landessprache versuchten, nach der besondern Lage des Troubadours und seines Publikums verarbeitet, diesem letzten überliefert wären! Es ist damahls gewiß Mehreres aus den Schulen in die wirkliche Welt übergegangen, als wir gemeiniglich glauben. Die Briefe der Heloyse an Abeilard, sind sicher nach einer nahen oder fernern Kenntniß der Liebesbriefe im Geschmack der Sophisten verfertigt; und höchst wahrscheinlich sind die sogenannten Tençons Nachbildungen gewöhnlicher dialektischer Uebungen in den Schulen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0082" n="82"/>
zu besiegen hatte, daß hingegen der Troubadour auch gegen Begriffe von innerer Würde und äußerem Anstande bey seiner Dame ankämpfte; so lassen sich die Abweichungen, die wir in der Denkart Beyder über die Liebe antreffen, beynahe alle erklären. <note place="foot" n="18)">Vielleicht aber haben die Troubadours auch gar keine bestimmten Muster unter den klassischen Autoren vor Augen gehabt; vielleicht hat sie nur der Ton geführt, der aus den Schulen herausschallete. Dieß ist gar nicht unwahrscheinlich. Ihre Ideen, ihr Ausdruck haben viel Aehnlichkeit mit demjenigen, was wir beym Philostrat, Aristenät, Alciphron und den griechischen Erotikern antreffen. Wie wenn die Nachfolger dieser Sophisten, die neueren Rhetoren, welche den Schulen vorstanden, die einmahl darin angenommene Vorstellungs- und Darstellungsart, selbst nach dem Verlust der Originale, beybehalten, sie in die Redeübungen wozu sie Anleitung gaben, übertragen hätten, und diese wieder durch einen oder mehrere ihrer Schüler, die sich in der Landessprache versuchten, nach der besondern Lage des Troubadours und seines Publikums verarbeitet, diesem letzten überliefert wären! Es ist damahls gewiß Mehreres aus den Schulen in die wirkliche Welt übergegangen, als wir gemeiniglich glauben. Die Briefe der Heloyse an Abeilard, sind sicher nach einer nahen oder fernern Kenntniß der Liebesbriefe im Geschmack der Sophisten verfertigt; und höchst wahrscheinlich sind die sogenannten <hi rendition="#aq">Tençons</hi> Nachbildungen gewöhnlicher dialektischer Uebungen in den Schulen.</note></p>
          <p>Haben denn die Morgenländer gar keinen Einfluß auf den Geschmack der Troubadours und ihre Ideen über die Liebe gehabt? Ich wage dieß nicht zu verneinen. Aber Alles, was man Aehnliches unter ihnen antrifft, läßt sich aus den Verhältnissen der Abendländer für sich erklären, ohne daß man nöthig hätte, auf die Sitten der Orientaler zurückzugehen. Niemahls wird man doch die Aehnlichkeit so stark finden,
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[82/0082] zu besiegen hatte, daß hingegen der Troubadour auch gegen Begriffe von innerer Würde und äußerem Anstande bey seiner Dame ankämpfte; so lassen sich die Abweichungen, die wir in der Denkart Beyder über die Liebe antreffen, beynahe alle erklären. 18) Haben denn die Morgenländer gar keinen Einfluß auf den Geschmack der Troubadours und ihre Ideen über die Liebe gehabt? Ich wage dieß nicht zu verneinen. Aber Alles, was man Aehnliches unter ihnen antrifft, läßt sich aus den Verhältnissen der Abendländer für sich erklären, ohne daß man nöthig hätte, auf die Sitten der Orientaler zurückzugehen. Niemahls wird man doch die Aehnlichkeit so stark finden, 18) Vielleicht aber haben die Troubadours auch gar keine bestimmten Muster unter den klassischen Autoren vor Augen gehabt; vielleicht hat sie nur der Ton geführt, der aus den Schulen herausschallete. Dieß ist gar nicht unwahrscheinlich. Ihre Ideen, ihr Ausdruck haben viel Aehnlichkeit mit demjenigen, was wir beym Philostrat, Aristenät, Alciphron und den griechischen Erotikern antreffen. Wie wenn die Nachfolger dieser Sophisten, die neueren Rhetoren, welche den Schulen vorstanden, die einmahl darin angenommene Vorstellungs- und Darstellungsart, selbst nach dem Verlust der Originale, beybehalten, sie in die Redeübungen wozu sie Anleitung gaben, übertragen hätten, und diese wieder durch einen oder mehrere ihrer Schüler, die sich in der Landessprache versuchten, nach der besondern Lage des Troubadours und seines Publikums verarbeitet, diesem letzten überliefert wären! Es ist damahls gewiß Mehreres aus den Schulen in die wirkliche Welt übergegangen, als wir gemeiniglich glauben. Die Briefe der Heloyse an Abeilard, sind sicher nach einer nahen oder fernern Kenntniß der Liebesbriefe im Geschmack der Sophisten verfertigt; und höchst wahrscheinlich sind die sogenannten Tençons Nachbildungen gewöhnlicher dialektischer Uebungen in den Schulen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-20T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-20T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-20T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als moderner Umlaut (ä, ö, ü) transkribiert.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0302_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0302_1798/82
Zitationshilfe: Ramdohr, Basilius von: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung. Dritten Theils zweyte Abtheilung: Neuere Geschichte der Geschlechtsverbindung und Liebe. Leipzig, 1798, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ramdohr_venus0302_1798/82>, abgerufen am 06.05.2024.